Gotteshäuser sind weder Asylplätze noch Notschlafstellen

Speziell geschützte Orte sind für eine funktionierende Demokratie unerlässlich. Auch um die Religionsfreiheit zu gewährleisten.

Es gibt in funktionierenden Demokratien eigene Zonen, die unter dem Schutz der Verfassung stehen. Das sind Orte für anerkannt rituelle Handlungen, aber auch demokratisch legitimierte Kraftzentren. Um das Parlament herrscht eine Bannmeile. Während der Sitzungen darf im Umkreis von 300 Metern keine Versammlung unter freiem Himmel stattfinden. Dies gilt auch für Wahllokale, wo während der Stimmabgabe politische Agitation verboten ist.

Solche Zonen sollen Menschenmengen vor undemokratischer Einflussnahme fern- und abhalten. In Gerichten sind individuelle Äußerungen der Meinungsfreiheit zu Recht verboten und werden streng sanktioniert. Kirchen, wie auch Moscheen, Synagogen und Pagoden, sind ebenfalls geschützte Orte, um die Religionsfreiheit – ohne Behinderung und Störung – ausüben zu können.

Kirchenasyl ist modern geworden. Es gibt ähnliche Aktionen in anderen Ländern, die auf ein konzertiertes Vorgehen hinweisen. Nach einer Kirchenbesetzung in Lille, Frankreich, wurde das exterritoriale Gelände der Apostolischen Nuntiatur des Vatikans in Paris feindlich okkupiert. Stellt sich die Frage: Wird diese Eskalationsstufe bei uns auch noch kommen?

Orte der Andacht

Parlamente zu belagern oder Kirchen zu besetzen ist ein Akt von besonders heikler Relevanz. Solche Besetzungen wurden zu anderen Zeiten schon als Kriegsgrund ausgelegt. Doch davon sind wir heutzutage weit entfernt. Unserer friedlichen und toleranten Realverfassung sei's gedankt. An der rituellen Kultstelle einer anderen Konfession wäre das Argument der Entweihung sofort ein Anlass, um die Intervention zu beenden. Aber wo bleibt hier der Respekt? Alle Gotteshäuser sind Orte der Andacht und verdienen Respekt.

Das Wort „Asyl“ ist griechischer Herkunft. Es bedeutet „Zufluchtsstätte“ und erhofften Schutz vor Verfolgung. Seit ewigen Zeiten wird der Kult um die wundersame Errettung an diesen Orten genährt. Bereits durch eine Berührung des Kirchenportals erlangte man Asyl, selbst wenn man vor verschlossenen Toren stand.

Unmenschliche Härten?

Im Codex Iuris Canonici von 1983 wurde das Kirchenasylrecht nicht mehr berücksichtigt. Seither erfreut es sich zunehmender Beliebtheit. Die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche evaluierte die Erfolgsaussichten in Deutschland und fand heraus, dass Kirchenasyle in mehr als 70Prozent aller Fälle die Schutzsuchenden vor „unmenschlichen Härten oder Gefahren für Leib und Leben“ bewahrten.

„Unmenschliche Härten oder Gefahren für Leib und Leben“ im Staate Österreich? Abgewiesene Asylwerber erhalten die Grundversorgung. Da ohnehin niemand Österreich verlassen muss, könnte der Fluchtort Votivkirche schön langsam aufgegeben werden. Damit wäre auch das kostbare Gut der freien Religionsausübung wieder gewährleistet.

Denn man stelle sich vor: Einheimische würden eine Gruppe Strenggläubige bei deren Religionsausübung behindern. Was da wieder los wäre im „unmenschlichen Unrechtsstaat Österreich“, der aber dennoch begehrt und bekannt ist in der großen weiten Welt des Elends und der Verfolgung.

Politiker brauchen auch nicht „ihre Krawatten und Jacketts auszuziehen, in die Kirche zu kommen und hier zu übernachten, damit sie wissen, wie es sich anfühlt, Asylwerber in Österreich zu sein“ – wie gefordert. Kirchen sind weder als Asylplätze noch als Notschlafstellen vorgesehen. Dazu gibt es bei uns weitaus besser geeignete Einrichtungen. Das ist auch gut so!

Karl Weidinger (*1962) ist Schriftsteller und Übersetzer mit Vorliebe für die Gesellschaftskritik.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2013)

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