Der Papst, die Homo-Ehe und die brutale Vergewaltigung von Delhi

Für die Männer und Frauen in Indien, die sich gegen sexuelle Gewalt auflehnen, hat Benedikt XVI. keine Worte der Solidarität gefunden.

Menschliches Sexualverhalten kann gefährlich sein. Die entsetzliche Vergewaltigung einer 23-jährigen Frau durch sechs Männer in einem Bus in Delhi im Dezember hat es einmal mehr gezeigt. Nach einem Kinobesuch wurden die Frau und ihr Freund zusammengeschlagen, und anschließend wurde die 23-Jährige über eine Stunde lang brutal vergewaltigt und mit einer Eisenstange traktiert. 13 Tage später erlag sie ihren Verletzungen.

Es wird häufig behauptet, dass es bei Vergewaltigungen eigentlich gar nicht um Sex gehe, sondern um Macht. Das stimmt schon, doch stehen Vergewaltigungen trotzdem mit Sex in Beziehung. Der Sexakt wird als eine Form der Folter eingesetzt, oder in manchen Fällen sogar als tödliche Waffe.

Dies freilich war nicht, was Papst Benedikt XVI. im Sinne hatte, als er jüngst über die Gefahren sexuellen Verhaltens sprach. In seiner vorweihnachtlichen Ansprache an die römische Kurie fiel kein Wort über Vergewaltigungen.

Stattdessen verwies der Papst in seiner Verteidigung der Familie – oder, wie er es formulieren würde: der heiligen Union zwischen Mann und Frau – darauf, wie sexuelle Arrangements außerhalb dieser Union die menschliche Zivilisation bedrohten. Woran er dabei dachte, ohne es offen zu sagen, waren gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften.

Wider Gott und die Natur

Es war eine zutiefst verwirrte Ansprache. Seine Abhandlung über die Gefahren, die von gleichgeschlechtlichen Ehen ausgehen, folgte auf eine Passage, in der die moderne Neigung zur Vermeidung lebenslanger Bekenntnisse in menschlichen Beziehungen beklagt wurde – als ob es bei der gleichgeschlechtlichen Ehe nicht gerade darum ginge.

Natürlich ist ein Bekenntnis zu einer gleichgeschlechtlichen Beziehung aus Sicht des Papstes Teil des Problems: Immer mehr Menschen, insbesondere im Westen, nehmen inzwischen die Freiheit für sich in Anspruch, ihre sexuelle Identität selbst zu wählen, statt sich an die „von Gott bestimmten“ „natürlichen“ Rollen zu halten.

Die Worte des Papstes suggerieren, dass Homosexualität eine Art Lebensstilentscheidung sei, eine Form moderner Dekadenz – ein weltlicher, ja, sogar blasphemischer Akt wider Gott und die Natur– statt qua Geburt bestimmt.

Dies ist eine verbreitete Sichtweise unter religiösen Menschen, seien es nun konservative Katholiken, Protestanten, Juden oder Muslime. Es ist aufschlussreich, dass Benedikt XVI. gerade Gilles Bernheim, den Oberrabbiner von Frankreich, zitiert hat, der ähnliche Ansichten über die Bedrohungen für das traditionelle Familienleben zum Ausdruck gebracht hat.

Die Furcht vor sexuellen Verhaltensweisen ist einer der Hauptgründe dafür, dass die meisten Religionen strenge Regeln in Bezug auf sexuelle Beziehungen festlegen. Die Ehe ist eine Methode, unsere Gelüste im Schach zu halten. Die Beschränkung sexuellen Verhaltens auf die Zeugung soll die Welt sicherer und friedlicher machen.

Da Frauen die Begierden der Männer anstacheln, werden sie außerhalb der engen Grenzen des familiären Heims als Bedrohung angesehen. Dies ist der Grund, warum sie dieses Heim in manchen Gesellschaften nicht oder nur voll verschleiert und in Begleitung eines männlichen Verwandten verlassen dürfen.

So extrem ist Benedikt XVI. nicht. Auch ruft er nicht zur Gewalt gegen Homosexuelle auf. Im Gegenteil, er betrachtet sich selbst als zutiefst zivilisierten Mann des Friedens. Tatsächlich aber ermutigt seine Ansprache zu der Art von sexueller Aggression, die in die Barbarei von Delhi mündet.

Die sechs Vergewaltiger, die die junge Frau töteten, waren keine dekadenten modernen Menschen. Ausgehend von dem, was wir in diesem Fall – und vielen anderen ähnlichen Fällen – mutmaßen können, sind sie die semiurbanisierten Produkte einer hochgradig konventionellen ländlichen Gesellschaft, in der die Rollen von Männern und noch mehr von Frauen streng reguliert sind.

Die Frau als Freiwild

Ihr Opfer, eine gebildete Physiotherapiepraktikantin, scheint sehr viel moderner gewesen zu sein als ihre Angreifer. Die Männer waren nicht ungebildet, aber sie waren nicht in der Lage, mit den Freiheiten, die moderne Frauen haben, umzugehen.

Aus diesem Grund betrachteten die sechs Vergewaltiger sie als „Flittchen“, als „Stadtschlampe“ – und damit als Freiwild. Schließlich war sie spätabends mit ihrem Freund unterwegs. Dies waren genau die Schmähungen, die die Männer an das junge Paar richteten: Was eine unverheiratete junge Frau in den Straßen von Delhi mit einem jungen Mann verloren habe? Sie bekäme nur, was sie verdiente.

Die Reaktion aus gewissen Zirkeln lautete ähnlich. Als in Delhi Demonstrationen gegen sexuelle Gewalt ausbrachen, denunzierte der Sohn des indischen Präsidenten die Protestierenden als „angeknackste Lackaffen“. Einige Politiker haben Vergewaltigungsopfer als „abenteuerlustig“ beschrieben.

Hass auf Homosexuelle

Der gewalttätige Hass auf Homosexuelle speist sich aus einer ähnlichen Quelle. Genau wie Frauen außerhalb des familiären Heims – die Ansprüche im öffentlichen Raum anmelden und mit Männern zusammenarbeiten und -leben – als gefährliche Verführerinnen betrachtet werden, werden Männer, die Männer lieben, häufig als sexuelle Ausbeuter betrachtet, die bereit sind, sich auf die Kinder der Gesellschaft zu stürzen. Was viele Menschen fürchten, ist nicht nur unkontrolliertes sexuelles Verhalten, sondern Sex per se.

Doch je mehr Sex unterdrückt wird und die Menschen in Furcht davor versetzt werden, desto eher kommt es zu sexueller Gewalt, weil jeder, der möglicherweise unsere sexuellen Gelüste reizen könnte – egal, ob Mann oder Frau –, zum potenziellen Ziel unserer Wut wird.

Dies könnte erklären helfen, was in Delhi passiert ist, entschuldigt es jedoch in keiner Weise. Schließlich würden die meisten Männer in dieser Stadt ein junges Paar nicht mit Metallrohren zusammenschlagen und die Frau vergewaltigen, sodass sie stirbt. Hunderttausende von Indern demonstrieren dieser Tage auf den Straßen, um ihre Abscheu vor derartigen Gräueltaten kundzutun.

Keine Worte der Ermutigung

Man wünschte sich, dass der Papst hierzu etwas gesagt und den Männern und Frauen in Indien, die von sexueller Gewalt – die nicht von modernen Libertins, sondern von zutiefst gehemmten Männern ausgeht – genug haben, ein paar Worte der Ermutigung angeboten hätte. Doch dies ist mehr, als man von einem Mann erwarten kann, der das Sexualleben kaum zu begreifen scheint – und deshalb, statt über Vergewaltiger zu sprechen, friedliche Schwule und Lesben ins Visier genommen hat, die ihre Bindung zu ihren Geliebten dadurch zeigen möchten, dass sie sie heiraten.

Aus dem Englischen von Jan Doolan, Copyright: Project Syndicate.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2013)

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