Wenn wir beim jetzigen System bleiben, dann bleibt alles beim Alten

Anhaltende Unbeweglichkeit in der Sicherheitspolitik wäre für Österreich das größere Risiko als ein falscher nächster Schritt.

Auf den Debattenseiten der „Presse“ hat es zuletzt mehrere Beiträge gegeben, die voll auch meine innere Wut widerspiegelten. „Organisierter Demokratiebetrug“: Michael Fleischhacker hat recht! „Truppenübung“ der Regierungsparteien vor der Nationalratswahl: Kurt Bergmann hat damit ins Schwarze (und Rote) getroffen!
Und dann bekennen beide, sie würden als kleineres Übel für die Beibehaltung der Wehrpflicht stimmen – als Signal: „Zurück an den Start!“ Ich hingegen fürchte: Die Politik würde daraus ein „Zurück ins Weiterwursteln“ machen.
Was bei Verfechtern beider Modelle irritiert, ist die Realitätsverweigerung. Seit es das Bundesheer gibt, höre ich die Versicherung, der Grundwehrdienst sei verbesserungswürdig. Ich kann das Versprechen, der Leerlauf werde abgeschafft, nach einem halben Jahrhundert Nichteinhaltung nicht mehr hören. Sicher ist: Wenn wir beim gegenwärtigen System bleiben, wird alles beim Alten bleiben.

Schandbare Realitätsverweigerung betreibt auch die Gegenseite, indem sie behauptet, ein Berufsheer koste nicht mehr, vielleicht sogar weniger Geld. Das Bundesheer hat für eine ernsthafte Landesverteidigung immer zu wenig Mittel gehabt. Wie immer die Volksbefragung ausgeht: Wir werden mehr Geld in die Hand nehmen müssen! Da sich das aber niemand zu sagen getraut, sind alle Vergleiche mit den Systemen anderer Staaten ein Betrug.

Arbeitsteilige EU-Verteidigung


Ein Heer der Zukunft müsste idealtypisch ein Profiheer mit „klar definierten Teilaufgaben innerhalb einer europäisch-transatlantischen Sicherheitsarchitektur“ sein, wie Fleischhacker treffend formulierte. Dazu müsste man in der Tat auch mit Neutralität und Nato wirklichkeitsnah umgehen.

Ohne arbeitsteilige EU-Verteidigung ergeben Kampfjäger, die bei falschem Wind schon in der Startphase über die Landesgrenzen hinausschießen, keinen Sinn für Österreich. Aber das traute sich auch jene Regierung nicht laut zu sagen, die sie einst anschaffte.
Während meiner gesamten Berufstätigkeit als Journalist habe ich eine umfassende öffentliche Debatte über die Sicherheitspolitik gefordert. Alle Bundesregierungen sind diese schuldig geblieben.

Widerspruchsvolles Geschnatter


In den vergangenen Wochen wurde tatsächlich mehr über das Heer diskutiert als je zuvor. Ergebnis: Nun soll ich für die Wehrpflicht stimmen, damit Krankenwagen rechtzeitig am Unfallort eintreffen und die – selbstverständlich unverzichtbare – Ehrenamtlichkeit im Land nicht gefährdet wird.

Auch ich habe ein nagendes Gewissen bei einem Profiheer. Werden sich die richtigen Leute dafür finden? Europa-Verteidigung überwiegend mit frustrierten Rambo-Naturen? Nein, danke! Leider entlastet dieses Gewissen auch das widerspruchsvolle Geschnatter sogenannter Fachleute nicht: Sind Gutachten heutzutage schon in allen Sparten käuflich?

Trotz allem: Unbeweglichkeit wäre das größere Risiko als ein falscher nächster Schritt. Die Umsetzung wird, was immer herauskommt, noch Jahre dauern.
Ein echter Trost ist: Andere Politiker als die heutigen werden den Schlussstrich ziehen. Man wird die unausweichliche Reform der Sicherheitspolitik bald schon „Sicherheitsreform“ nennen, wie wir es von der „Gesundheitsreform“ ja kennen.

Die geballte Unlogik solcher Wörter wird so ganz falsch aber auch wieder nicht sein. Denn für eine echte „Politikreform“ scheint die Stunde noch längst nicht angebrochen.

Dr. Hubert Feichtlbauer (* 1932) war unter anderem USA-Korrespondent des „Kurier“, Chefredakteur der „Furche“ und arbeitet heute als freier Journalist.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

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