Parlamentarier überall in Europa, redet mit!

Im gegenwärtigen Krisenmanagement dominieren die Regierungen das Geschehen. Dennoch haben die nationalen Parlamente zahlreiche Möglichkeiten zur Einflussnahme. Allerdings werden diese bisher sehr unterschiedlich genutzt.

Die gegenwärtige Eurokrise wird in der öffentlichen Debatte oft als eine Finanz- und Schuldenkrise dargestellt. Es geht dabei leicht unter, dass die Krise ihre tiefer gehenden Ursachen vor allem in einer unzureichenden Effektivität und Legitimation europäischer Institutionen hat. Effektivität und Legitimation stehen dabei in einem deutlichen Spannungsverhältnis zueinander.

Europäische Institutionen sind auch heute noch, trotz aller Reformbemühungen, nicht in der Lage, effektiv auf übermäßige Haushaltsdefizite in EU-Mitgliedstaaten zu reagieren. Auch verfügen sie über keine ausreichende demokratische Legitimation, um finanzielle Hilfen für kriselnde Mitgliedstaaten bereitzustellen.

Die EU bleibt ein Verbund von Staaten, der sich größtenteils aus den Beiträgen seiner Mitglieder finanziert und über keine eigenen finanziellen Ressourcen verfügt. Somit musste das Krisenmanagement von Anfang an zwischen souveränen Nationalstaaten koordiniert werden.

„Vergipfelung“ der Krisenpolitik

Die Folge ist, wie Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlamentes, es ausdrückt, eine „Vergipfelung“ der Krisenpolitik, die demokratische Institutionen auf nationaler und europäischer Ebene leicht umgeht. Obwohl einige Parlamente in Sitzungen des EU-Hauptausschusses die Gipfeltreffen regelmäßig vorbereiten und teilweise Handlungsempfehlungen für ihre Regierungen aussprechen, ist deren Einfluss sehr begrenzt.

Das „demokratische Defizit“ der EU hat sich deshalb seit dem Ausbruch der Finanz- und Schuldenkrise noch verschärft. Dies ist paradox, da der Lissabonner Vertrag seit 2009 die Rolle der Parlamente in der EU ursprünglich deutlich gestärkt hatte.

Vor allem das Erfordernis einer raschen Reaktion auf Turbulenzen auf internationalen Finanzmärkten erschwert eine umfängliche Einbindung nationaler Volksvertretungen. Unter dem Druck der Märkte haben die europäischen Staats- und Regierungschefs seit Ausbruch der Griechenland-Krise 2010 auf mehreren Gipfeltreffen Maßnahmen verabschiedet, die dann von ihren Parlamenten nur noch abgesegnet werden konnten. Sogenannte Rettungsschirme wie die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) oder auch der europäische Fiskalvertrag sind dabei außerhalb des EU-Rechtsrahmens etabliert worden.

Die EU ist zunehmend mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass nicht alle Mitgliedstaaten alle Rettungsmaßnahmen im gleichen Umfang mittragen wollen. So entstehen intergouvernementale Verträge, die von den Regierungen innerstaatlich wie Außenpolitik behandelt werden – mit der Konsequenz, dass Parlamente mit schwächeren Beteiligungsrechten ausgestattet sind, da Außenpolitik traditionellerweise eine Domäne der Exekutiven darstellt.

Man muss sich jedoch vor Augen halten, dass EU-Rettungsschirme oder der Fiskalvertrag nicht nur einmalig auf europäischen Gipfeln beschlossen und anschließend einmalig von nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Im Gegenteil: Im Rahmen der EU-Rettungsschirme wird sowohl über Rettungspakete für kriselnde Staaten als auch über einzelne finanzielle Tranchen aus ebendiesen Rettungspaketen regelmäßig politisch entschieden.

Möglichkeiten zur Beteiligung

Auch ermöglicht der Fiskalvertrag den nationalen Parlamenten, fortan gemeinsam mit dem Europäischen Parlament über die künftige Haushaltspolitik in Europa zu diskutieren (Fiskalvertrag, Art.13). Auch das Europäische Semester – ein jährlich wiederkehrender Zyklus zur besseren Koordination der Haushaltspolitiken der Mitgliedstaaten – erlaubt es nationalen Parlamenten, frühzeitig auf die Gestaltung ihrer nationalen Haushaltsentwürfe Einfluss zu nehmen.

Die Ausgestaltung dieser Beteiligungsmöglichkeiten zeigt jedoch eine erhebliche Varianz in den EU-Mitgliedstaaten. Während der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages – auch aufgrund entsprechender Urteile des Bundesverfassungsgerichtes – für jede Tranche eines Rettungspaketes seine Zustimmung geben muss, sind einige Parlamente nicht einmal in die Entscheidung über ein Rettungspaket eingebunden. In den meisten Fällen, auch in Österreich, sind Regierungen nur verpflichtet, das Parlament regelmäßig über Aktivitäten innerhalb des Rettungsschirms zu unterrichten.

Zudem erfordert die gemeinsame Diskussion über die künftige Haushaltspolitik in Europa, wie es der Fiskalvertrag vorsieht, ein erhebliches Maß an interparlamentarischer Kooperation. Dieses verhältnismäßig neue Instrument der Einflussnahme nationaler Parlamente hängt allerdings stark von den finanziellen und zeitlichen Ressourcen der einzelnen Parlamentarier ab.

Ein wichtiges Bindeglied

Nur wenige Kammern ziehen bisher auch in Betracht, ihre parlamentarischen Beratungsverfahren zu ändern, um bereits im Vorfeld Einfluss auf die Ausgestaltung ihrer Haushaltsentwürfe zu nehmen. Festzuhalten bleibt deshalb, dass Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik von nationalen Parlamenten bisher sehr unterschiedlich genutzt werden.

Unabhängig von der Nutzung formaler Einflussmöglichkeiten kommt nationalen Parlamenten eine noch entscheidendere Rolle zu: Sie können die gegenwärtige EU-Krisenpolitik öffentlich diskutieren und den Wählern erklären.

Auch wenn zu Recht beklagt wird, dass die Rolle nationaler Parlamente im jetzigen Krisenmanagement marginalisiert wurde, können sie auf die langfristigen Linien der Europapolitik Einfluss nehmen. Auch wenn in Krisenzeiten häufig die Regierungen die Letztentscheidung über konkrete Krisenmaßnahmen treffen, sind Parlamente doch das einzige Bindeglied zwischen Wählerschaft und Regierung. Sie können die europäische Rettungspolitik transparent und damit auch ein Stück weit demokratischer machen.

Dieser Kommentar entstand in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik; er ist Teil von deren Serie „Policy Brief“: www.oegfe.at/policybriefs.

Die Autoren


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Oliver Höing (*31.Oktober 1984 in Borken/Westfalen) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Jean-Monnet-Lehrstuhl der Universität zu Köln und betreut dort ein Projekt zur Rolle nationaler Parlamente in der EU. Seit 2010 promoviert der Politikwissenschaftler zum Thema „Nationale Parlamente in der Finanz- und Wirtschaftskrise“.

Dr. Christine Neuhold studierte Politikwissenschaft in Wien. Sie ist Associate Professor of European Governance (Europäisches Regieren) an der Universität Maastricht; Direktorin des Forschungs-Masters für Europäische Studien und Koordinatorin eines internationalen Netzwerkes zur inter-institutionellen Kooperation. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2013)

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