Nach dem Volksentscheid zum Bundesheer: Nichts ist erledigt!

Die Reaktionen nach der Volksbefragung lassen befürchten, dass in der Sicherheitspolitik alles beim Alten bleibt. Zum Schaden der Republik.

Es kam, wie zu befürchten war: Der Zivildienst, Nebeneffekt des Wehrpflicht, der Katastrophenschutz, Nebenaufgabe des Bundesheers, haben die Wehrpflicht „gerettet“. Und schon stürzt sich die Regierung auf die „Attraktivierung“ der Wehrpflicht. Kosten darf das allerdings nix, beeilen sich Vizekanzler und Finanzministerin als Begleithohn dem zum Suppeauslöffeln verdonnerten zwangsbekehrten Verteidigungsminister zuzurufen.

Damit wäre der Vorwahlkampf vorbei, die eigentlichen Themen Sicherheitspolitik, Bundesheerreform vom Tisch, dem Interesse einer erschöpften Öffentlichkeit entschwunden – wohl auch als Wahlkampfthema. Das Volk wurde gefragt und hat – vorbeiinformiert an den eigentlichen Problemen – entschieden. Demokratisch-treuherzig bleibt den Parteien gar nichts anderes übrig, als unter Berufung auf den „Volksentscheid“ alles beim Alten zu belassen und alle weiterhin unangenehmen Folgeprobleme zu ignorieren. Die spielten bei der Volksbefragung ohnedies kaum eine Rolle. Sie sind aber leider nicht mit-„erledigt“:

Es fängt schon damit an, was eigentlich mit all jenen Bürgerinnen und Bürgern ist, die hingingen, ihre Meinung kundtaten, aber die Befragung als inhaltliche Zumutung empfanden. Und was vor allem ist mit jener Fasthälfte, die sich derart gefrotzelt fühlte, dass sie erst gar nicht zu der Befragung hingegangen ist? Da sind noch einige Fragen offen, die im Nationalratswahlkampf hoffentlich beantwortet werden.

Wer eigentlich ist „gebunden“?

Damit stellt sich weiters die demokratiepolitisch wichtige Frage: Wer ist eigentlich an das Ergebnis der Volksbefragung „gebunden“? Die jetzige Koalition? Gewiss. Auch die nächste Bundesregierung? Kommt auf ihre Zusammensetzung an. Das nächste Parlament? Das wäre ein starkes Stück, würde die alte Regierung dem neu gewählten Parlament inhaltliche Bindungen auferlegen, obwohl die Verfassung bei Volksbefragung exakt diese Bindung zum Unterschied von der Volksabstimmung ausdrücklich verneint. Da würden ja frei gewählte neue Mandatare der SPÖ zu etwas „Mega-Sinnlosem“ gezwungen, Grüne, Orange ebenso, vielleicht auch der eine oder andere Schwarze oder Blaue? Das wäre wohl eine weitere seltsame Facette der österreichischen „Realverfasstheit“ in puncto Parlament, freies Mandat und Volkswahl!

Die im Herbst neu gewählten Verantwortlichen werden sich nämlich den zahlreichen Problemen der Sicherheits- und Militärpolitik der Republik nicht so billig entziehen können:

1. Was ist mit der eigentlichen Grundlage der Bundesheerreform, der Österreichischen Sicherheitsstrategie, deren Entwurf seit zwei Jahren im Parlament liegt, dort die Befassung und Diskussion aber verweigert werden?

2. Was ist, wenn sich nach einer sachlichen Debatte herausstellt, dass die quantitativen und qualitativen Anforderungen an das zukünftige Bundesheer eher mit einem Berufsheer als durch eine sechsmonatige Wehrpflicht erreichbar wären?

Überrollte Verfassungsartikel

3. Vor allem die ÖVP umging die Frage nach ihren Bundesheerreform-Plänen mit dem Hinweis auf die Verfassungslage und die Ergebnisse der Bundesheer-Reformkommission. Das wirft die Frage auf: Was geschieht mit den Bestimmungen der Verfassung, die jetzt schon von der politischen Realität überrollt wurden?
a) Art. 9a Bundesverfassungsgesetz (B-VG) spricht vom Wehr-„Ersatz“-Dienst aus „Gewissensgründen“. Aber Realität ist der „Alternativ“-Dienst, die Freiheit des Betroffenen, ob er sich für den Wehr- oder Zivildienst entscheidet. Der Widerspruch muss behoben werden.
b) Mit dem Alternativdienst taucht das grundrechtliche Gleichheitsproblem auf: die unterschiedliche Dauer von Wehr- und Zivildienst, auch wenn dies jetzt übergangen wird. Und die Frage des Frauenzivildienstes wird wohl ebenfalls nicht einfach weggewünscht werden können.
c) Im Art. 79 B-VG (Aufgaben des Bundesheers) steht noch immer, die „Landesverteidigung“ beruhe auf dem Grundsatz der „Miliz“, obwohl diese spätestens seit der Aufhebung der verpflichtenden Übungen 2006 durch den damaligen Minister Günther Platter weitestgehend abgeschafft, eine Rückkehr dazu im Zuge der Volksbefragungsdebatte ausgeschlossen wurde. Auch hier ist eine B-VG-Änderung unausweichlich.

Problem Systemerhalter

4. Die Berufung auf die Bundesheer-Reformkommission führt zur Frage, inwieweit ihre im Vergleich zu heute beträchtlichen Um- und Ausbaupläne noch gültig sind.

5. Schon eine Bundesheerreform mit Fokus auf Attraktivierung des Wehrdienstes, also Überleitung der Masse der Systemerhalter zu militärischer Ausbildung im engeren Sinn, wirft folgende grundsätzliche Fragen auf:
a) Wie viel militärisch wirklich Ausgebildete braucht das Bundesheer? Das ist natürlich erst nach einer Entscheidung über die Sicherheitsstrategie rational beantwortbar. Wie viele, wie starke Einheiten braucht es, um die höhere Zahl Ausgebildeter aufzunehmen?
b) Die Wehrpflicht wurde mit der Zuführung von Freiwilligen zur (heute nur noch in Restbeständen existenten) Miliz (je ein Infantriebataillon pro Bundesland, Wien zwei, neun Pionierkompanien etc.) begründet. Werden dann die wesentlich mehr Ausgebildeten in neu aufzustellende Milizeinheiten übergeführt? Sind dann doch wieder verpflichtende Übungen unvermeidlich?
c) Das Problem der Überalterung, des Überbestandes an Verwaltungspersonal erfordert losgelöst von der Wehrpflichtfrage umfassende Reformen. Inwieweit besteht politische Bereitschaft, die notwendigen Verwaltungs- und Dienstrechtsreformen zu realisieren?

Wie viel Geld für die Reformen?

6. Bei der Berufung auf die Bundesheer-Reformkommission wird gern „übersehen“, dass diese für die Umsetzung ihrer Vorschläge ein Militärbudget von mindestens einem Prozent des Bruttonationalproduktes voraussetzt. Allein eine „Attraktivierung“ der Wehrpflicht, die militärisch sinnvoll sein soll, erfordert mehr finanzielle Mittel. Der finanzielle Spielraum bei Wegfall der Wehrpflicht steht nicht zur Verfügung. Wie soll das Budgetproblem gelöst werden, wenn beide Seiten der Wehrpflichtdebatte versprochen haben, am jetzigen Budgetrahmen festzuhalten?

All dies hätte natürlich vor der Volksbefragung diskutiert und entschieden werden sollen, vor allem die Grundlage jeder Bundesheerreform, die Sicherheitsstrategie. Nur sie kann den Rahmen für Quantität und Qualität, den Personalbedarf des zukünftigen Heeres vorgeben und damit die Entscheidung Wehrpflicht oder Berufsheer ermöglichen.

Die ersten Reaktionen nach der Volksbefragung lassen befürchten, dass all diese Fragen rasch wieder vergessen, vor sich hergeschoben werden. Dass also alles beim Alten bleibt – zum Schaden der Republik. Es liegt an den Bürgerinnen und Bürgern, es liegt an der Öffentlichkeit, dies nicht zuzulassen.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comFriedhelm Frischenschlager (*6. 10. 1943 in Salzburg) war von 1983 bis 1986 Verteidigungsminister einer SPÖ/FPÖ-Koalition. 1993 Mitbegründer des Liberalen Forums, 1996 bis 1999 Abgeordneter des LIF zum EU-Parlament. Seit November 2007 Bundesvorsitzender der Europäischen Föderalistischen Bewegung Österreichs. [Mirjam Reither]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2013)

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