Gentechnik und Lebensmittel: Wir entscheiden „aus dem Bauch“

Gentechnik ist in Österreich faktisch tabuisiert – ohne ein Experiment, einen einzigen kontrollierten Freisetzungsversuch.

Vor einigen Monaten habe ich im Supermarkt einen Liter Milch gekauft. Auf der Packung wurde darauf hingewiesen, diese Milch sei „Ohne Gentechnik hergestellt“. Nun könnte man meinen, es sei doch nett von der Molkerei, den Kunden zu informieren, dass die österreichischen Kühe, die diese Milch produzieren, nicht gentechnisch verändert (gv) sind. Dies wäre jedoch eine ziemlich überflüssige Feststellung, da es weltweit nur vereinzelt gv Rinder gibt, deren Milch Proteine verschiedener Herkunft enthält.

Ich vermute jedoch, diese Bezeichnung für heimische Milch soll darauf hinweisen, dass die Kühe kein gv Futter gefressen haben. Dem Futter dieser Tiere werden häufig Produkte aus Sojabohnen beigemengt, um den Gehalt an Protein zu erhöhen. Nun sind weltweit rund 80Prozent der Sojabohnen gentechnisch so verändert, dass sie resistent gegen ein Herbizid sind. Es werden jedoch auch noch herkömmliche Sojabohnen in geringer Menge produziert.

Der genannte Hinweis auf der Milchpackung mag manche Kunden, die sich vor der Gentechnik fürchten, beruhigen, auf das Produkt Milch hat das aber keinen Einfluss. Im Magen der Kühe werden die einzelnen Bestandteile des Futters verdaut, das heißt sie werden in ihre Bestandteile gespalten.

Was ist dran an genfreier Milch?

Bei Proteinen sind dies Aminosäuren, die dann im Blut der Tiere zirkulieren, zum Teil von den Milchdrüsen aufgenommen und dort für die Produktion der Milchproteine verwendet werden. Ein Nachweis, ob diese Aminosäuren aus normalen oder gv Sojabohnen stammen, ist nicht möglich. Nur durch eine Überprüfung der Lieferungen an die Bauern ließe sich feststellen, welche Bohnen gekauft wurden. Einen Hinweis, was denn so speziell an Milch „ohne Gentechnik“ sei, konnte ich nicht finden.

Inzwischen habe ich in einem Supermarkt auch gentechnikfreien Käse gefunden, ob der aus gentechnikfreier Milch hergestellt wird, weiß ich nicht. Zur Produktion von Käse muss die Milch zunächst gerinnen, wozu vor allem Labferment (Chymosin) aus dem Mägen von nur mit Milch gefütteren Kälbern verwendet wurde.

Inzwischen gibt es aber auch Chymosin, das mit gentechnischen Methoden in Mikroorganismen hergestellt wird. Diese Methode der Produktion ist einfacher, verbraucht weniger Energie, und das Endprodukt hat einen höheren Reinheitsgrad.

Das eingesetzte Chymosin findet sich zum Großteil in der Molke und ist im Käse nur mehr in Spuren vorhanden. Ob sich der sogenannte gentechnikfreie Käse, der mit Chymosin aus Kälbermägen produziert wird, von den übrigen Käsesorten unterscheidet, wird nicht verraten. Und übrigens – in England wird Käse für Vegetarier angeboten mit dem Hinweis, dass für dessen Produktion kein tierisches Protein, also kein Chymosin aus Kälbermägen verwendet wurde. Kürzlich war zu lesen, dass bald auch Fleisch und Eier von „gentechnikfreien“ Hühnern angeboten werden. Auch hier gilt das für Milch Gesagte. Die Proteine in Körnern von Pflanzen mit oder ohne gentechnische Veränderung, die das Huhn frisst, werden abgebaut und die resultierenden Aminosäuren dann im Fleisch oder in den Eiern für den Aufbau neuer Proteine verwendet. Auch dies sind Produkte, die identisch mit den herkömmlichen sind, die aber gläubige Gegner der Gentechnik wohl beruhigen.

Bewährt seit 40 Jahren

Die Methoden der Gentechnik sind schon rund 40 Jahre alt. Die neue Möglichkeit des Austauschs von Genen zwischen Organismen wurde anfangs sehr skeptisch gesehen und es wurden Richtlinien über Vorsichtsmaßnahmen festgelegt, die bei verschiedenen Typen von Experimenten eingehalten werden mussten.

Es zeigte sich jedoch bald, dass diese theoretischen Risken stark überschätzt wurden, und die restriktiven Verordnungen wurden schrittweise gelockert und schließlich großteils aufgehoben. Aber der in der Öffentlichkeit entstandene Eindruck, es handle sich da um gefährliche Experimente mit eventuell unvorhersehbaren Konsequenzen, blieb bestehen. Es gab unzählige Diskussionen zu diesem Thema, unter anderem in einer Enquetekommission des österreichischen Parlaments. Bei den Gegnern der Gentechnik waren reisende Profis aktiv, die gekonnt, wenn auch repetitiv, ihre Argumente vorbrachten. Vor rund 20 Jahren ging es bei uns vor allem um das Thema „humanes Insulin“. Darf das in Mikroorganismen hergestellte Produkt in der Medizin verwendet werden, oder muss man bei dem aus der Bauchspeicheldrüse von Schweinen isolierten Insulin bleiben? Diese Kontroverse war jedoch vom Tisch, nachdem es gelang, mit gentechnischen Methoden menschliche Proteine zu produzieren, die bisher nicht zugänglich waren. Der Prototyp dieser Entwicklung war das Erythropoietin (Epo), ein Hormon, das in der Niere produziert wird und für die Bildung von Erythrozyten essenziell ist. Seither werden in der Humanmedizin immer mehr mittels gentechnischen Methoden produzierte Proteine verwendet, und die Erfolge dieser „roten“ Gentechnik sind beeindruckend.

Europas Zurückhaltung

Ganz anders ist jedoch die Situation bei gv Nutzpflanzen. Diese werden weltweit seit 20 Jahren in steigendem Maße angebaut, inzwischen auf mehr als einer Million km. In den USA sind etwa Mais, Zuckerrüben, Sojabohnen, Raps und Baumwolle zu mehr als 80% genetisch modifiziert. Europa ist da jedoch eine Ausnahme, gv Nutzpflanzen werden meist skeptisch beurteilt, und es gibt sehr aufwendige Bewilligungsverfahren für deren Anbau. In gewissen Abständen erscheinen Publikationen mit Horromeldungen über die Nachteile solcher Pflanzen. Diese sind vor allem bei Gentechnikgegnern sehr populär, ehe sich dann bei genauerer wissenschaftlicher Prüfung zeigt, dass sie nicht stimmen. Bei dieser Ablehnung der „grünen“ Gentechnik ist Österreich führend, die gemeinsamen Aktivitäten von Boulevardmedien, NGOs und den Grünen führten dazu, dass dieses Thema faktisch tabuisiert wurde – und das ohne ein Experiment, einen einzigen kontrollierten Freisetzungsversuch mit einer gv Nutzpflanze. Bei uns wird halt einfach „aus dem Bauch“ entschieden.

Und nun also, wie die eingangs erwähnten Beispiele zeigen, noch eine Steigerung bei der Ablehnung der Gentechnik. Ein eifernder Grüner hat zudem schon verlangt, dass das Gütezeichen für Fleisch nur vergeben werden darf, wenn die Tiere nicht mit gv Pflanzen gefüttert wurden. Der gute Mann geht nicht weit genug – es muss doch wohl Futter aus biologischem Anbau sein.

Der Milch solcher Kühe, den Eiern solcher Hühner und so weiter könnte man dann schon das Prädikat „Bio zum Quadrat“ verleihen. Allerdings ist die Verquickung von biologischem Landbau und Gentechnik völlig unlogisch, aber das ist ein anderes Thema. Im Unterschied zu einer steigenden Zahl von Ländern gilt bei uns das mit viel Emotionen vertretene Prinzip: „Keine Gentechnik auf dem Teller“.

Zur Person


E-Mails an: debatte@diepresse.com

A.o. Prof. Dr.Günther Kreilist pensionierter Molekularbiologe und Mitglied der Akademie der Wissenschaften, wo er geschäftsführender Direktor des Instituts für Molekularbiologie in Salzburg ist. [Clemens Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2013)

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