Serben, das Spiel ist zu Ende

Nach der Kosovo-Pleite brauchte Serbien einen Neubeginn. Höchste Zeit, sich vom Nationalismus zu verabschieden.

Das nationale Drama, das zuletzt in Serbien rund um die Kosovo-Frage inszeniert worden ist, geht in die nächste Runde. Das vorläufige Scheitern der Verhandlungen in Brüssel mag auf den ersten Blick frustrierend sein. Dafür liegen die Karten nun klar auf dem Tisch.

Eine in der serbischen Tageszeitung „Politika“ unlängst veröffentlichte Karikatur bringt das Drama auf den Punkt. Man sieht den serbischen Premierminister Ivica Dačić verzweifelt über einem in Brüssel platzierten Schachbrett. Dačić sind von seinen weißen Figuren nur noch der König und ein Bauer übrig geblieben. Er sieht sich einer Übermacht schwarzer Figuren von Hashim Thaçi ausgeliefert.

Catherine Ashton blickt als Schiedsrichterin streng auf Dačić und drängt ihn zum letzten Zug. Die hinter den Schultern von Dačić aufgefädelten Proponenten des serbisch-konservativen Nationalismus der letzten Jahrzehnte – Milošević, Šešelj, Koštunica – scheinen noch immer an den serbischen Sieg zu glauben. Aber die Zeit läuft ab, das Spiel ist längst verloren. Auf dem Schachbrett ist alles längst bekannt, Überraschungen kann es keine mehr geben. Der Kosovo ist ein souveräner Staat, der die Unterstützung der USA und der EU genießt. Eine Art Republika Srpska wird es im Kosovo nicht geben. Die dort lebenden Serben werden weitgehende Autonomie-, aber keine Exekutiv- und Legislativrechte erhalten. Der Souverän wird die Regierung des Kosovo sein.

Überfällige Katharsis

Serbien muss den Kosovo de facto anerkennen. Tut es dies nicht, wird der serbische EU-Integrationsprozess gestoppt werden.

Der Kosovo ist nur noch eine innenpolitische Frage. Es geht nur darum, dass irgendjemand der serbischen Öffentlichkeit die Wahrheit mitteilt: dass der Kosovo verloren ist. Das wissen die Machthaber in Belgrad. Zuletzt inszenierten sie nur noch für das Publikum und kauften Zeit, um der eigenen Bevölkerung den Verlust des bereits Verlorenen schonend beizubringen.

Das Drama auf dem Schachbrett könnte den Beginn einer überfälligen Katharsis der serbischen Gesellschaft einläuten. Serbien braucht einen Neubeginn, es muss ein neuer Staat werden. Serbien braucht eine neue, moderne Verfassung – befreit von Geistern der Vergangenheit. Die jetzige Lage stellt paradoxerweise die historische Chance für den Abschied Serbiens vom Nationalismus der vergangenen 30 Jahre dar.

Zoran Djindjić hat eine Modernisierung Serbiens versucht, die mit seiner Ermordung jäh gestoppt worden ist. Es ist nun aber an der Zeit, diesen Prozess fortzusetzen. Das nächste Schachspiel für Serbien – jenes, bei dem es um reale Probleme der serbischen Gesellschaft gehen wird –, kann nur beginnen, wenn das letzte aussichtslose Kosovo-Match dem unausweichlichen Ende zugeführt wird.

Der Prozess kann auch für die Kosovaren reinigend wirken: Sie werden endlich in die Lage versetzt werden, ihrer Regierung genauer auf die Finger zu schauen. Damit könnte das lange praktizierte Versteckspiel der kosovo-albanischen Politiker, die sich seit Jahren hinter den Fragen der Unabhängigkeit und der Souveränität haben verbergen können, zu Ende sein. Und das könnte auch das Ende der Ära Thaçi bedeuten.

Vedran Dzihic (*1976) ist Senior Fellow am Österreichischen Institut für Internationale Politik und Lehrbeauftragter an der Uni Wien.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.