Russland: Die Rückkehr der Kalten Krieger in den Kreml

Gastkommentar. Theorien von westlichen Umsturzplänen gegen Russland haben Hochkonjunktur, Staatsmedien reaktualisieren die alten Feindbilder.

Die Dynamik gibt Anlass zur Sorge. Seit Anfang 2012 nimmt der staatliche Druck auf die Zivilgesellschaft in Russland stetig zu. Gerade auch für den unabhängigen Journalismus wird die Lage immer schwieriger: Zuletzt wurden mit openspace.ru und russlife.ru zwei wichtige Onlinemedien von ihren Besitzern einfach abgedreht. Das Mediensterben dürfte dieses Jahr noch weitergehen.

Inzwischen startete auch ein politisch motiviertes Gerichtsverfahren gegen den Oppositionellen Aleksej Nawalny. Weitere fragwürdige Prozesse gegen Dutzende Teilnehmer einer Demo vom 6.Mai 2012 werden bald folgen. Ihnen wird das Schüren von Massenunruhen vorgeworfen.

2013 könnte zu einem Schlüsseljahr für Russland und sein Verhältnis zur westlichen Welt, vor allem zu Europa werden. Denn was in Moskau geschieht, hat Relevanz vor allem für weite Teile Mittel- und Osteuropas, darunter auch etliche EU-Mitgliedstaaten. Gerade deshalb wäre es höchste Zeit, Strategien zur Rettung eines gesamteuropäischen Integrationsprozesses zu entwickeln. Es gilt, dadurch eine Neuauflage des Kalten Krieges zu verhindern, der im russischen Staats-TV zuletzt immer wieder beschworen wurde.

Verschwörungstheorien

Gerade die europäische Zivilgesellschaft ist jetzt gefragt: Kulturelle und wissenschaftliche Institutionen sollten den Austausch mit russischen Partnern intensivieren. Vermehrter Kontakt zwischen Bürgern der EU und Russlands würde die grassierenden Theorien von westlichen Verschwörungen gegen Russland konterkarieren.

Die EU sollte dabei die Bedingungen schaffen, um den zivilgesellschaftlichen Dialog zu erleichtern. Und obwohl vom Kreml derzeit kaum konstruktive Reaktionen zu erwarten sind, sollen EU-Politiker auch weiterhin zu Grundrechtsfragen deutlich Position beziehen – dies sind äußerst wichtige Signale an die russische Zivilgesellschaft. Außenpolitisch ist die Situation ziemlich verfahren. Wohl deshalb hat US-Präsident Barack Obama Mitte April im Rahmen des „Magnitski-Gesetzes“ eine Sanktionsliste mit lediglich 18 Russen veröffentlicht, denen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.

Noch nie, so der Moskauer Radiojournalist Aleksej Wenediktow, habe bei einem Staatsbesuch Wladimir Putins ein solches Klima der Konfrontation geherrscht wie zuletzt in Deutschland und Holland: In Hannover hatte sich Angela Merkel über Razzien gegen NGOs in Russland beklagt – darunter auch zwei deutsche Stiftungen.

Demonstrantinnen beschimpften den Staatsgast als „Diktator“. Der Präsident kommentierte den Vorfall entspannt, aber der Kreml schäumte: Putins Pressesprecher machte den Gastgebern schwere Vorwürfe bezüglich der Sicherheitsvorkehrungen.

Auch die Deutschen legten nach: „Der Spiegel“ berichtete, dass Russlands Inlandsgeheimdienst FSB Druck auf lokale Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Moskau ausgeübt habe. „Prophylaktische Gespräche“ von FSB und Co. mit dem Personal ausländischer Vertretungen gelten als relativ normal. Nur liest man davon üblicherweise nichts darüber in der Zeitung.

Dies gilt auch für eine Nachricht aus Helsinki: Durch ein Leck war bekannt geworden, dass sich Wladimir Putin auf einer geheimen Fahndungsliste befand. Finnische Medien begründeten dies mit der Affinität des Präsidenten zur russischen Bikerszene. Plausibler erscheint ein Konnex mit den frühen 1990er-Jahren: Der damalige Petersburger Vizebürgermeister Putin sah sich mit unbewiesenen Vorwürfen konfrontiert, er habe Kontakte zum organisierten Verbrechen. Und er unternahm auch häufig Besuche in Finnland.

Bliebe es bei diplomatischen Sticheleien, wäre der Schaden begrenzt. Doch parallel wird die russische öffentliche Meinung auf Schlimmeres vorbereitet.

Selektive Berichterstattung

Zwar lässt sich auch internationalen Medien ein bisweilen selektiver Blick, die Bedienung von Klischees oder oberflächliche Informiertheit in ihrer Russland-Berichterstattung vorwerfen. In Russland sieht man jedoch vermehrt Sujets, die nicht mehr viel mit Journalismus zu tun haben: Staatliche und staatsnahe Medien setzen auf Strategien, die an vergangene Zeiten erinnern.

Was nicht verwundert: Gemeinsam mit Wladimir Putin sind zahlreiche alte Kalte Krieger an die Macht gekommen, die im KGB der 1990er- und 1980er-Jahre geprägt worden sind. Im einstigen sowjetischen Staatsfunk arbeiteten noch Journalisten wie Dmitrij Kisseljow, die von der Verschärfung der Klassengegensätze im krisengeschüttelten kapitalistischen Westen berichten sollten. Heute verkündet der Fernsehmoderator Kisseljow in seinem Programm auf Rossija1 nahezu wöchentlich den laufenden Untergang der Europäischen Union. Er enthüllt westliche Verschwörungen, die auf eine Zerstörung Russlands abzielten.

„Gefährliche“ Ritterspiele

Hier und in anderen Medien wie der ehemals renommierten „Iswestija“ werden alte Feindbilder reaktualisiert. Die Berichterstattung, die mit dem Kreml und oft auch mit Strafverfolgern koordiniert ist, soll auch die Drangsalierung kritischer NGOs legitimieren und alles „Westliche“ diskreditieren.

Mit Erfolg: Im nordwestrussischen Wyborg wurden dieser Tage traditionelle Ritterspiele eines lokalen Vereins namens Deutschritterorden untersagt. „Besorgnis erweckt die politische Inkorrektheit der Veranstaltungen: Der Deutsche Ritterorden ist eine historisch gewachsene feindliche Struktur für Russland, gegen die seinerzeit der heilige Fürst Alexander Newski auf heldenhafte Weise gekämpft hat“, heißt es im Ablehnungsbescheid.

Abgesehen von Anekdotischem ist auch Drastischeres zu befürchten. Wiederholt wurden zuletzt Einschränkungen der Reisefreiheit andiskutiert – in sozialen Medien mehrten sich Berichte, dass Bürokraten in ganz Russland Probleme bei der Ausfertigung von Reisepässen machen.

Gerade hier hätte die EU eine rare Möglichkeit gegenzusteuern: Der Wert der Reisefreiheit liegt darin, dass man sie auch konsumieren kann. Daher sollte die EU „normalen“ russischen Bürgern dringend Reisen gen Westen erleichtern. Fast 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer ist es höchst an der Zeit, eine allgemeine Visafreiheit anzupeilen.

Bittere Pille in Verhandlungen

Freilich gibt es in den aktuellen Visa-Verhandlungen mit Russland eine bittere Pille: Moskau fordert eine sofortige Liberalisierung gerade für die Träger von Dienstpässen. Diplomaten in der EU befürchten nicht ganz zu unrecht, dass nach der Zufriedenstellung von tausenden Dienstpass-Bürokraten das Interesse Moskaus für weitere Visa-Liberalisierungen rasch versiegen könnte.

Dennoch: Diese Pille sollte geschluckt und gleichzeitig sichergestellt werden, dass vor allem die russische Bevölkerung maximal von Erleichterungen profitiert. Denn es gibt kaum schlimmere Propaganda gegen die EU als Schikanen bei der Visavergabe.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comHerwig G. Höller(geboren 1974) hat Physik und Slawistik in Graz und in Moskau studiert. Er unterrichtet Landeskunde am Institut für Slawistik der Grazer Uni. Außerdem ist er als Journalist und Publizist für zahlreiche Medien tätig. Er war Mitglied der Redaktion des „Falter“ in der Steiermark, schreibt für die Österreich-Seiten der „Zeit“ und für „Dnevnik“. [.Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2013)

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