Wo bleibt der Aufschrei gegen Abtreibung?

Niemand wagt auszusprechen, worum es bei Schwangerschaftsabbrüchen wirklich geht: Um die Vernichtung menschlichen Lebens.

Ginge es nicht um ein so ernstes Thema, man müsste Sibylle Hamann für ihren „Quergeschrieben“-Beitrag („Die Presse“, 17.Juli 2013) eigentlich dankbar sein.

Denn einen Vergleich zwischen einer verpfuschten Zahnbehandlung und einem Eingriff eines Arztes, in dem ein menschliches Wesen aus dem Mutterleib „entsorgt“ wird, ernsthaft zu ziehen ist nur in einer Gesellschaft möglich geworden, die sich über den (im Strafgesetzbuch nach wie vor bestehenden) Unrechtstatbestand des Schwangerschaftsabbruches nicht mehr im Klaren ist.

Ein Schelm, wer dabei als Ursache die sogenannte Fristenregelung aus dem Jahr 1975 ansieht, an der (parteiübergreifend) nicht mehr „gerüttelt“ werden darf. Aus einer Ausnahmeregelung, wonach in bestimmten Fällen die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden soll, ist längst ein gesellschaftlicher Konsens (frei nach der „Mein Bauch gehört mir“-Philosophie), der den Schwangerschaftsabbruch als „Recht“ der Frau betrachtet, geworden.

Nichtdiskurs um Abtreibung

Und so verwundert es auch nicht weiter, dass anlässlich der Vorfälle rund um die nicht „sorgfältig“ ausgeführten Schwangerschaftsabbrüche einer Wiener Ärztin ein Nichtdiskurs stattfindet.

Ein Aufschrei all jener Kräfte, denen das ungeborene Leben noch irgendwie am Herzen liegt, müsste ergehen, wenn in der medialen Berichterstattung die Kernproblematik, um die es bei der Abtreibung geht, bewusst verschwiegen wird.

Der sogenannte Eingriff des Arztes ist nichts anderes als die Beseitigung menschlichen Lebens. Vorgenommen von Menschen, deren primäre Aufgabe in der „Heilung“ anderer Menschen bestehen sollte.

Wo sind die Stimmen der christlichen Politiker sowie der führenden Kräfte in Österreichs Kirche? Sie schweigen wie immer. Zu heiß ist das Thema. Zu groß offenkundig die Angst vor der medialen und politischen Auseinandersetzung mit dem Mainstream. Dabei wäre sie (schon ökonomisch betrachtet) notwendiger denn je.

Frau Hamann weist zutreffend (wenn auch aus anderen Beweggründen) auf die Nichtexistenz der in Österreich erfassten Daten über Schwangerschaftsabbrüche hin. Die Schätzungen liegen bei 40.000 bis 60.000 pro Jahr. Und das bei einer (laut Statistik Austria) jährlichen Geburtenrate von nicht ganz 80.000!

Thema für Konservative abgehakt

Die einstmals christliche Vorzeigepartei ÖVP hat das Thema Fristenlösung offenkundig abgehakt, das heißt, sich mit ihr abgefunden. Angesichts des Nichtwiderstandes der österreichischen Bischofskonferenz gegen die bestehende Gesetzeslage (sieht man einmal von dem mutigen, aber leider einsamen Kampf des Salzburger Weihbischofs ab), kann man es ihr nicht einmal verdenken. Warum sollte man auch päpstlicher sein als der Papst?

Ein sarkastischer Zukunftsblick? Für Lebensschützer könnte es noch viel schlimmer kommen. Wie geht das? Ganz einfach. Rot-Grün erreicht endlich die medial heiß ersehnte parlamentarische Mehrheit.

Dann ginge es Schlag auf Schlag: Abtreibung raus aus dem Strafrecht, Ärzte und Spitäler könnten zur Mitwirkung am Schwangerschaftsabbruch „gezwungen“ werden, ansonst wird der Geldhahn zugedreht, Abtreibung als „Gesundheitsleistung“ auf Krankenschein et cetera.

Dass somit nunmehr ausgerechnet die ÖVP zur „Bewahrerin“ der (einstmals zu Recht heftig bekämpften) Fristenlösung in der derzeit bestehenden Form mutiert ist darf als politische Ironie des Schicksals bezeichnet werden. Traurig, aber wahr!


Dr. Michael Etlinger ist Jurist und seit 2002 als Senatsvorsitzender der unabhängigen Kontrollinstanz Bundesvergabeamt tätig.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2013)

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