Zwei christliche Bischöfe als Geiseln in Syrien

Die Christen in Syrien treten für den Aufbau einer demokratischen und offenen Gesellschaftsstruktur ein.

Am 22.April 2013, also vor rund 100 Tagen, wurden die beiden syrischen Metropoliten Mar Gregorios Youhanna Ibrahim (syrisch-orthodox) und Boulos (Paul) Yazigi (griechisch-orthodox) von Unbekannten entführt. Niemand hat seither verlässliche Nachrichten über den Aufenthaltsort und die Situation der Bischöfe, die beide für Aleppo zuständig sind. Aleppo, noch vor etwas mehr als zwei Jahren eine kosmopolitische levantinische Metropole, mit dem Unesco-Weltkulturerbesiegel ausgezeichnet, war eine Stadt voll Leben. Heute ist sie eine Ruinenstadt, deren Bewohner nie sicher sein können, dass es Wasser und Strom, Brot, Milch und andere Grundnahrungsmittel, Medikamente und Kleidung gibt.

Bei den Christen in Syrien und im ganzen Nahen Osten hat das Schicksal der beiden Bischöfe größte Bestürzung, Trauer und begründete Sorge über ihre eigene Zukunft ausgelöst. Man hat ihre beiden Bischöfe zu Geiseln gemacht. In gewisser Weise trifft diese Geiselsituation auf die orientalischen Christen insgesamt zu. Es drohen weitere Auswanderungswellen, die zum Untergang der 2.000 Jahre alten christlichen Kultur Syriens führen könnten.

Herausragende Persönlichkeiten

Die beiden Bischöfe sind herausragende Persönlichkeiten: Boulos Yazigi, Bruder des griechisch-orthodoxen Patriarchen von Antiochien, ist seit jeher um die Verbesserung der Lebensumstände der gesamten Bevölkerung Syriens bemüht. Er hat sich immer für Ausgleich und Verständigung eingesetzt. Mar Gregorios ist ein Vorkämpfer des ökumenischen und interreligiösen Dialogs, ein Vorkämpfer auch des Einsatzes für den Frieden und für die Versöhnung zwischen den Streitparteien. Vor Jahresfrist hat er eine „Roadmap für den Frieden in Syrien“ vorgelegt, deren vier Punkte von brennender Aktualität sind: Herbeiführung eines anhaltenden Waffenstillstands, damit es für die Menschen in Syrien wieder einen normalen Alltag geben kann, massive humanitäre Hilfe für die Inlandsflüchtlinge und alle Notleidenden, Möglichkeit zur Heimkehr für alle Vertriebenen und Flüchtlinge und Suche nach einer politischen Lösung für die Krise am Verhandlungstisch unter Einbeziehung des gesamten Meinungsspektrums.

Demokratische Einstellung

Auch für die orientalischen Christen insgesamt gilt, dass sie durch ein hohes Bildungsniveau, durch eine demokratische Einstellung ausgezeichnet sind. Die im Umbruch begriffenen Gesellschaften des nahöstlichen Raums würden den Beitrag dieser Menschen – die sich nicht als Angehörige einer fremden Minderheit verstehen, sondern zutiefst mit ihrer Heimat verbunden sind, die seit Jahrtausenden auch die Heimat ihrer Vorfahren war – auch heute dringend brauchen. Es gibt nicht wenige muslimische Intellektuelle, Politiker und Journalisten im Nahen Osten, die das offen aussprechen.

Sie wollen nicht eine Rückkehr in einen fantasierten „reinen Islam der Anfänge“, sondern eine demokratische offene Gesellschaft, in der alle Bürgerinnen und Bürger gleiche Rechte und gleiche Pflichten haben, in der es für jeden und jede die Möglichkeit gibt, auskömmlich und in Würde zu leben.

Der Aufbau einer modernen Gesellschaft ist ohne die Christen nicht möglich, die den spezifischen Beitrag ihrer religiösen Tradition einbringen können, einer Tradition, die nicht an Siegeszügen, sondern an gewaltfreier allseitiger Entwicklung der Gesellschaft und an der Bergpredigt orientiert ist. Damit sie das tun können, muss ihnen freilich volle Gleichberechtigung eingeräumt werden. Und gerade das verwehrt ihnen der neue Polit-Islam unter verschiedenen Vorwänden.

Der Autor ist Präsident der Stiftung Pro Oriente.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2013)

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