Ziel ist die Unabhängigkeit

Gastkommentar. Eine Umfrage des Karmasin-Instituts über die Zukunft Südtirols beflügelt die Selbstbestimmungsbefürworter.

Südtirol, Land des Lächelns“ – mit einem Hauch fernöstlicher Operettenklischees betitelte vor einiger Zeit die in Bozen erscheinende deutschsprachige Tageszeitung „Dolomiten“ ihren Bericht über die Ergebnisse der Studie des Landesinstituts für Statistik (Astat). Demnach sind fast zwei Drittel, nämlich 63,5 Prozent, der befragten Bewohner Südtirols – Deutsche, Ladiner, Italiener und „Sonstige“ – mit ihrem Leben derzeit sehr zufrieden.

Getrübt wird die Stimmung allerdings von der anhaltenden Wirtschaftskrise. Beinahe zwei Fünftel der Befragten gaben an, dass sich ihre finanzielle Situation innerhalb nur eines Jahres verschlechtert habe. Allerdings klagen immer mehr über eine finanzielle Verschlechterung ihrer Lage. Das mag ein Grund dafür gewesen sein, dass im Vergleich zur vorigen Astat-Erhebung (2011) die Zahl der Zufriedenen um vier Prozentpunkte gesunken ist. Aber immerhin – nicht wirklich ein Grund zur Klage, wie der Bericht suggeriert.

Ähnlich lautet der parallel dazu publizierte Befund aus einer Studie von Handelskammer Venedig und Unioncamere Veneto, der Handelskammervereinigung ganz Venetiens: In den Autonomen Provinzen Bozen-Südtirol und Trentino – aufgrund eines Tricks des Nachkriegsregierungschefs Alcide DeGasperi zusammengeschlossen in der Autonomen Region Trentino-AltoAdige, um in diesem Selbstverwaltungskörper die italienische Majorität gesichert zu wissen – „lebt es sich am besten – im Vergleich zu den Provinzen Nordostitaliens, aber auch italienweit“, wie es in dem „Dolomiten“-Bericht mit der Schlagzeile „Gut bei Kasse und gut versorgt“ heißt.

Mehrfacher Klassenbester

Demnach ist der Südteil Tirols mit seinen 511.000 Einwohnern „Klassenbester“ in den ökonomisch-sozialen Sphären materieller Wohlstand, Gesundheit und Arbeit. Hinsichtlich materiellen Wohlstands wurden das Pro-Kopf-Einkommen, die Durchschnittsausgaben für Güter und Dienstleistungen (ausgenommen Lebensmittel) sowie das Verhältnis zwischen Arm (Quote von Menschen in relativer Armut) und Reich (Quote von Menschen in relativer Wohlhabenheit) zugrunde gelegt.

Hinsichtlich des Lebensqualitätskriteriums Arbeit wurden Beschäftigungslosenrate, Dauer der Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse sowie der Anteil berufstätiger Frauen und Jugendlicher bis 24 Jahren durchleuchtet. Auch hierbei belegt Südtirol – trotz einer mittlerweile auf 4,5 Prozent gestiegenen Arbeitslosenrate (noch vor zwei Jahren 2,8 Prozent) – italienweit den ersten Platz.

Schließlich steht Südtirol auch hinsichtlich des Faktors Gesundheit (gemessen wurden: Lebenserwartung, Mortalitäts- und Suizidrate, Anzahl der Diabetiker, Raucher, Trinker, Übergewichtigen und Bewegungsmuffel) auf dem Siegespodest. „Dass wir in diesen Bereichen an erster Stelle sind, wundert mich nicht“, sagt Landeshauptmann Luis Durnwalder, befragt von den „Dolomiten“, dazu. „Erst vor wenigen Tagen hat die ,Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ unter anderem über uns als ,Region der Rebellen‘ berichtet und uns als florierendes Land dargestellt. Auch laut dem Statistischen Amt der EU – Eurostat – zählen wir zu den Wohlstandsregionen.“

Wie gut es den Südtirolern geht, soll den „Dolomiten“-Lesern – mit Abstand die Mehrheit der deutsch- und der ladinischsprachigen Bewohner des Ende des Ersten Weltkriegs von Italien annektierten und ihm im Friedensdiktat von St. Germain en Laye zugesprochenen Südteils des (von 1363 bis 1918) Habsburger-Kronlandes – vor Augen geführt werden. Und zwar anhand eines kontrastierenden Berichts unter dem Titel „Italiener müssen Gürtel immer enger schnallen“. Darin heißt es mit Bezug auf das italienische Statistikamt Istat, dass die monatlichen Ausgaben je Familie auf ein Rekordtief von 2419 Euro gesunken seien, was einem Rückgang von 2,8 Prozent gegenüber 2011 entspreche.

Sparstift in italienischen Familien

Die Hälfte der italienischen Familien gäbe weniger als 2078 Euro im Monat aus, und selbst die einkommensstärkeren Familien setzten den Sparstift an und hätten 2012 ihre Ausgaben um 5,7 Prozent auf 3280 Euro im Monat reduziert. Dagegen sei Südtirol mit 2919 Euro die Provinz mit den höchsten Monatsausgaben pro Familie.

Ob so viel geballter Positivberichterstattung des „Tagblatts der Südtiroler“ bei ansonsten rundum negativer Welt-, EU(ro)- und Italien-Schlagzeilen sagt der in Südtirol urlaubende echte Piefke „Nachtigall, ik hör dir trappsen“, eine Sentenz, welche selbst dem eingefleischtesten Ösi nicht unbekannt sein dürfte, der – da der „Walsche“ als zahlender Gast ausbleibt – zwischen Brenner und Salurner Klause ebenso gern gesehen wird wie der reichsdeutsche Piefke.

Warum häufen sich „Dolomiten“-Berichte, laut denen es den Südtirolern angeblich so gut geht? Weil sich seit zwei Jahren in den internationalen Medien immer wieder „Los von Rom“-Artikel über Südtirol finden. Sodann, weil der in der Italien-Krise mitkriselnden SVP – Regierungspartei seit 1945 – die schwierigste Landtagswahl seit ihrer Gründung bevorsteht, bei der ihr, allen Meinungsumfragen zufolge, die absolute Mehrheit der Stimmen und Mandate abhanden kommen dürfte.

Schließlich mehr noch, weil jüngste demoskopische Befunde gänzlich dem als Ziel politischer Wünsche ausgegebenen „Vollautonomie“-Leitbild der SVP zuwiderlaufen und stattdessen die „Los von Rom“-Publizistik, beispielhaft manifestiert in jenem unlängst in der der „FAZ“-Sonntagsausgabe erschienenen dreiseitigen „Rebellen“-Beitrag über Südtiroler, Basken, Schotten und Bayern, zu bestätigen scheinen, auf die sich Landeshauptmann Durnwalder – wenngleich auf anderer Lesart fußend – bezog.

So hat nämlich das in Wien beheimatete Meinungsforschungsinstitut Karmasin in einer Telefonumfrage, welche die Gesamttiroler Arbeitsgruppe Selbstbestimmung in Auftrag gegeben hat, unter 700 repräsentativ ausgewählten Südtirolern deutscher, respektive ladinischer Zunge ermittelt, dass sich nur sechs Prozent von ihnen als Italiener, 86 Prozent der Befragten hingegen als Südtiroler fühlen. Ebenso stark fallen die Antworten auf die Frage nach der Zukunft Südtirols ins Gewicht: 54 Prozent der Befragten würden nämlich – im Falle eines Selbstbestimmungsreferendums – für die Unabhängigkeit von Italien stimmen, und lediglich 26Prozent bei Italien bleiben wollen.

Letzterer ein Prozentsatz, der sich bei weiterer Verschlechterung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation in Italien noch verringern würde, gibt sich die Arbeitsgruppe für Selbstbestimmung gewiss.

Vorangetrieben von der im Bozner Landhaus (Landtag) vertretenen Partei Süd-Tiroler Freiheit, zielt die Arbeitsgruppe auf eine Volksabstimmung über die Zukunft des Landes. Dem Karmasin-Ergebnis nach kann sie dabei darauf zählen, dass auch Sympathisanten anderer Parteien dieses Verlangen unterstützen. So befürworten mehr als die Hälfte der SVP-Wähler, nämlich 56 Prozent, die Unabhängigkeit von Italien, bei jenen der Freiheitlichen sind es sogar 78 Prozent, nur in der Wählerschaft der Grünen findet sich eine Mehrheit von 45 Prozent für den Verbleib beim italienischen Staat, wohingegen 40 Prozent für die Unabhängigkeit sind.

Referendum im Herbst

Weshalb die Süd-Tiroler Freiheit zwischen Anfang September und Ende November ein „selbst verwaltetes Selbstbestimmungsreferendum“ durchführen wird, bei dem alle 380.000 Wahlberechtigten des Landes, aber auch Südtiroler, die im Ausland leben, via Online- oder Briefwahl, SMS-Abstimmung oder traditioneller Stimmabgabe auf die Frage „Bist du dafür, dass die Südtiroler ihr Recht auf Selbstbestimmung ausüben, um frei über die Zukunft des Landes zu entscheiden?“ ihre Antwort geben können.

Auf dieses selbst verwaltete Abstimmungsergebnis, welches bei positivem Ausgang zu einem echten Selbstbestimmungsreferendum führen soll, darf man ebenso gespannt sein wie auf den Ausgang der Südtiroler Landtagswahl am 21.Oktober.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2013)

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