Wie die Friedensmacht Europa in Syrien ihren Ruf endgültig verspielt

Statt ständig Angriffspläne zu schmieden, hätten die westlichen Regierungen schon längst Friedensszenarien überlegen sollen.

Der Westen hat beschlossen, alle Friedensgespräche mit dem Bürgerkriegsland Syrien auf Eis zu legen, zieht nun sogar in Erwägung, militärisch gegen das Regime Bashar al-Assads vorzugehen – und das ohne eine UNO-Resolution. Bereits vor dem Irak-Krieg 2003 hatte sich die „Koalition der Willigen“ die Freiheit herausgenommen, auf den Sanktus des UNO-Sicherheitsrates zu verzichten, auch wenn die Situation damals eine andere war.

Dass Militärs aus Europa und den USA nicht schon längst in das Krisengebiet entsandt wurden, ist dem bisherigen Zögern von US-Präsident Barack Obama zu verdanken, der ironischerweise für den jetzt ins Auge gefassten Angriff der Auslöser sein könnte. Obama hatte vor einem Jahr gewarnt, dass der Einsatz von Giftgas eine „rote Linie“ bedeute, die nicht überschritten werden dürfe. Diese Aussage bringt ihn nun in Zugzwang. Ein Syrien-Krieg aber würde auch Europa seiner Legitimität als Friedensmacht berauben.

Nun sollen also Beweise für C-Waffen-Einsätze vorliegen, nachdem Gerüchte darüber schon seit Monaten kursieren. Dass diese dem Assad-Regime zuzuschreiben sind, bleibt aber weiter ungewiss, ja sogar fraglich. Die Rebellen hatten über ein Jahr Zeit, um den Einsatz von Giftgas zu planen und Assads Regime dafür verantwortlich zu machen. Eine Reaktion des Westens war sicher. Den geringsten Nutzen aus dem Einsatz von C-Waffen aber kann Assad ziehen.

Unkooperative Opposition

Man vergesse auch nicht, dass es die syrische Opposition ist, die sich bei den bisherigen Vorbereitungen einer Friedenskonferenz in Genf als äußerst unkooperativ erwiesen hat. So sehr am Herzen liegt den „Rebellen“ der Frieden im eigenen Land also wohl doch nicht.

Eine UNO-Friedenskonferenz scheint inzwischen nicht nur aus der Perspektive vermeintlicher Opfer, sondern auch aus Sicht vieler westlicher Staaten nahezu unmöglich. Das Säbelrasseln des britischen Premierministers, David Cameron, und des französischen Staatspräsidenten, François Hollande, darf dabei nicht sonderlich überraschen. Auch beim Sturz Muammar Gaddafis in Libyen waren die beiden früheren Kolonialmächte vorgeprescht.

Das Beispiel Libyen

Ergebnis ist ein instabiles Libyen, in dem die Idee eines Rechtsstaates wohl oder übel der Waffengewalt des Stärkeren weichen und an der Machtausweitung der Islamisten scheitern musste.

Dasselbe Szenario spielt sich bereits in Syrien ab – es wird sich auch ohne Assad und dessen Regierung fortsetzen. Daran werden die gut gemeinten Absichten westlicher Regierungen, die an die Achtung der Menschenrechte appellieren, aber internationale Foren wie den UNO-Sicherheitsrat missachten, nichts ändern.

Kann noch von einer Friedensmacht Europa die Rede sein, wenn Regierungen wie Großbritannien und Frankreich eigenmächtig Entscheidungen treffen und Militäreinsätze einer UNO-Friedenskonferenz vorziehen? Kann sich Europa noch seiner Vorreiterrolle als Verfechter der Menschenrechte rühmen, wenn Waffen an oppositionelle Kräfte geliefert werden, die alles andere als den Schutz von Minderheiten und religiöse Toleranz im Sinn haben?

Angriffspläne liegen den westlichen Regierungen längst vor, aber Friedensszenarien für ein Syrien nach Assad können sie keine bieten. Über Letztere sollte man in Europa allerdings eher nachdenken als voreilig nicht nur die Leben zahlreicher syrischer Zivilisten, sondern auch eigener Soldaten aufs Spiel zu setzen.

Stefan Haderer ist Kulturanthropologe und Politologe mit Spezialisierung auf internationale Friedens- und Konfliktforschung in Wien.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2013)

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