EU-Mitglied Kroatien und die Gespenster der Vergangenheit

Dalmatinische Widersprüche. Die Klagen über die Korruption in ihrem Land sind laut. Zugleich machen viele Kroaten bei korrupten Praktiken munter mit.

DÉJÀ-Vu
Was hat sich in Kroatien durch den Beitritt zur EU am 1.Juli geändert? „In der Politik alles, bei den Leuten nichts“, lautet die Antwort einer Journalistin aus Rijeka, die mit der regierenden sozialistischen Partei sympathisiert. Dennoch sieht sie die Regierung kritisch: „Der Finanzminister ist der Einzige, der etwas arbeitet.“ Das meint sie nicht wörtlich, sondern eher metaphorisch.

Mit Kroatien hat die EU ein weiteres Mitglied wie Griechenland bekommen, in dem Steuerzahlen nicht selbstverständlich ist und die Methoden der Steuervermeidung vielfältig sind. Die Aufgabe des Finanzministers sei daher eigentlich nicht zu bewältigen.

Die Widersprüchlichkeit ihrer Situation ist vielen Kroaten durchaus bewusst. Wenn man sie fragt, was sie sich vom Beitritt zur EU wünschen, kommt erstaunlicherweise nicht zuerst eine Verbesserung ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage, sondern der Wunsch nach mehr Gesetzlichkeit in ihrem Land, nach einer unparteiischen Justiz, durchsetzungswilligen Behörden, weniger Korruption in öffentlichen Dingen.

Alltägliche Rechtsunsicherheit

Zugleich beteiligen sich viele Kroaten aber selbstverständlich an eben diesen korrupten Methoden. Die Praktik, Touristen in Privatquartieren nicht anzumelden und dadurch die Abgaben zu vermeiden, ist weit verbreitet, die Tricks, um das sogar legal zu machen, sind vielfältig.

Typisch für diese Zustände ist auch die illegale Bautätigkeit an der Küste. Der Staat war dabei sogar noch behilflich. Illegal – meistens viel zu nahe am Strand – errichtete Häuser konnten bis zu einem Stichtag „legalisiert“ werden. Mit einer kleineren oder größeren Summe, diskret über den Tisch geschoben, konnte man dabei nachhelfen. Manch einer versäumte die Überfuhr, weil ihn ein Nachbar – oft aus Revanche – anzeigte. Viele halb fertige und nicht bezogene Bauten zeugen davon.

Rechtsunsicherheit bestimmt das alltägliche Leben. Vor einiger Zeit wollte ein Österreicher in Istrien ein größeres Grundstück kaufen. Bei den Verhandlungen war es schon schwierig, überhaupt Pläne der Liegenschaft zu beschaffen. Als sie dem Investor dann doch übermittelt wurden, stellte er fest, dass sie mit den tatsächlichen Ausmaßen am Ort nicht übereinstimmten.

Schließlich war man handelseins, und der Österreicher schlug die selbstverständliche Vorgangsweise bei einem solchen Geschäft vor: Die Kaufsumme wird bei einem Notar treuhänderisch hinterlegt, und wenn die Eigentumsübertragung im Grundbuch vermerkt ist, wird das Geld freigegeben. „Grundbuch?“, lachte der Verkäufer ungläubig: „Funktioniert nicht. Eine Eintragung dauert Jahre.“ Das Geschäft kam deshalb nicht zustande. Wäre die Hypo Alpe Adria in Kroatien so umsichtig gewesen wie der österreichische Geschäftsmann, stünde die Republik heute nicht vor ihrem größten Finanzskandal.

Die gesellschaftlichen Gräben, die das Land durchziehen, sind kaum überbrückt. Die gebildete Mittelschicht, die sich mit den Kommunisten irgendwie arrangiert hatte, fühlte sich im neuen Kroatien der Tudjman-Zeit an den Rand gedrängt. Den Ton gaben Leute aus anderen Schichten an, die durch den Krieg groß geworden oder aus dem Ausland gekommen waren. Jetzt, hoffen sie, habe sich der Wind zu ihren Gunsten gedreht.

Den Beitritt zur EU sehen sie irgendwie in Zusammenhang mit dem Machtwechsel in Zagreb, den sie irgendwie als „Befreiung“ von der Herrschaft der HDZ betrachten. Mancher Korruptionsprozess gegen HDZ-Politiker trägt denn auch verdächtige Züge einer politischen Abrechnung.

Ortstafelstreit in Vukovar

Symptomatisch für diese Brüche sind die Ausschreitungen wegen kyrillischer Ortstafeln in Vukovar. Während die Regierung sich darauf beruft, dass den Serben nach europäischem und kroatischem Recht die Ortstafeln zustehen, wollen viele Kroaten und natürlich die Kriegsveteranen nicht vergessen, dass die Stadt monatelang von Serben belagert und fast dem Erdboden gleichgemacht worden war. Die sozialdemokratische Regierung beschuldigt die HDZ, hinter den Ausschreitungen zu stehen.

Wie stark die alten kommunistischen Seilschaften immer noch oder schon wieder in Kroatien sind, illustriert der erste Konflikt mit der EU, den Ministerpräsident Zoran Milanović kaum zwei Monate nach dem Beitritt vom Zaun gebrochen hat.

Milanović weigerte sich, die Beschränkung der zeitlichen Gültigkeit des europäischen Haftbefehls aufzuheben, worauf EU-Justizkommissarin Viviane Reding Sanktionen nach dem kroatischen Beitrittsvertrag androhte. Zagreb will den früheren kommunistischen Geheimdienstoffizier Josip Perković nicht ausliefern, der in Deutschland wegen Mordes angeklagt ist. Erstaunlich ist der anmaßende Ton der Regierung in Zagreb, die sich darüber beklagt, dass es die Kommission „wagt, einen Mitgliedstaat zu kritisieren“.

Kroatien hat in die EU auch ein Grenzproblem mitgebracht, das es im Europa der 28 eigentlich nicht mehr geben dürfte. Seinerzeit in Jugoslawien wurde für die Teilrepublik Bosnien ein zehn Kilometer breiter Streifen der dalmatinischen Küste aus Kroatien herausgeschnitten, um der Teilrepublik Bosnien einen Meeresstrand zu verschaffen.

Grenzkontrollen im eigenen Land

Für einen Hafen ist der Ort Neum zwar ungeeignet, er erfreute sich aber großer Beliebtheit bei den Parteifunktionären aus allen jugoslawischen Republiken. Dem neu geschaffenen Kroatien war Neum, das sein Territorium entzweischneidet, von Anfang an ein Dorn im Auge. „Warum muss ich, wenn ich in meinem Land unterwegs bin, zweimal in kurzem Abstand eine Grenzkontrolle über mich ergehen lassen“, klagt die Dame aus Istrien. In dieser Frage denkt auch sie kroatisch-national.

Virulent wurde das Problem erst, als Kroatien neben der alten, berühmt-berüchtigten Jadranska Magistrala, der Adria-Hauptstraße, eine Autobahn von der slowenischen Grenze bis Dubrovnik zu bauen begann, die unterdessen fast fertiggestellt ist.

Es tauchte die Idee auf, Neum durch eine große Brücke über den Meeresarm auf die Halbinsel Peljesac zu umfahren und die Autobahn dadurch nur auf kroatischem Territorium zu halten. Das löste den Protest der Republik Bosnien-Herzegowina aus, die auch gern einen Autobahnanschluß haben möchte und sich von Kroatien umgangen fühlt.

Wie einst in der DDR

Wenn Kroatien alsbald zum Schengen-Raum kommt, wird die Grenze zu Neum eine EU-Außengrenze mit allen Konsequenzen sein. Bosnien stellt sich nun vor, dass die Autobahn nach Neum führt und man dort entweder über eine Grenze nach Bosnien einreist oder über einen hinter hohen Mauern geführten Korridor ohne Kontrolle weiter nach Dubrovnik fährt. Das erinnert an die Interzonenautobahn von Westberlin nach Westdeutschland durch die DDR.

Eine internationale Kommission soll nun eine Lösung erarbeiten, die beide Seiten akzeptieren wollen. Letztlich wird die Frage von der EU direkt über die Finanzierung entschieden. Denn Kroatien könnte sich die Brücke allein nicht leisten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.