Die Entsorgung kulturellen Wissens per Gesetz

Mit der eben beschlossenen Lehramtsstudienreform geht Österreich einen überaus gefährlichen Weg. Sie wird die Geisteswissenschaften im Lande nachhaltig gefährden. In der Forschung ist mit schweren Einbußen zu rechnen.

Die heutige Welt sähe ohne das geistige Erbe Europas, die griechische Philosophie, die Malerei der Renaissance, die Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution oder die Romane Goethes, ganz anders aus. Aber dieses Erbe ist nicht einfach gegeben, sondern bedurfte und bedarf der Auswahl, Erklärung und Aufbereitung durch die Geisteswissenschaften.

Dennoch ringen diese heute in ihrer Nutzlosigkeit für die biologische und ökonomische Existenz der Menschen weithin vergeblich um gesellschaftliche Anerkennung, die den Naturwissenschaften wahrhaft ausreichend zuteil wird. Wirtschaft und Staat stellen dafür auch hierzulande ungleich mehr finanzielle Mittel als für die Geisteswissenschaften zur Verfügung. Natürlich brauchen diese auch weniger davon – jedoch unbedingt Förderung, nicht Behinderung durch den Gesetzgeber.

Österreich fällt zurück

Wer über die heimatliche Enge hinaus zumindest den deutschen Sprachraum in den Blick nimmt, wird erkennen, dass Österreich auf diesem Gebiet durch die Reformen der Schulen, Hochschulen, Universitäten immer mehr ins Hintertreffen geraten ist und weiter gerät. Als „flankierende Maßnahme“ hat man kürzlich überdies viele Forschungseinrichtungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zerschlagen.

Als das bekannt wurde, ging – viel zu spät und zu leise – ein Aufschrei durch die Medien. Die Politik hat sich darum nicht geschert und bloß Beruhigungspillen verteilt. Wenn deren Wirkung verflogen ist, wird sich in zwei, drei Jahren die verheerende Wirkung der Maßnahmen erst richtig zeigen.

Die Universitäten sollten hier nach dem Willen der Politik einspringen, sind aber als Stätten der Forschung durch die endlosen Organisations- und Studienreformen jahrzehntelang selbst systematisch geschwächt worden. Nun aber ist der Höhepunkt erreicht.

Die überwiegende Mehrheit der Studierenden der geisteswissenschaftlichen Fächer an Universitäten strebt ein Lehramt an höheren Schulen an, da es außerhalb derselben nur ganz wenige und kleine Berufsfelder für die Absolventen und Absolventinnen gibt. In der Mathematik ist das ähnlich, nicht jedoch in den „harten“ Naturwissenschaften, wo die Wirtschaft mit attraktiven Angeboten den Schulen die Absolventen abspenstig macht, sodass für diese zumeist nicht die besten übrig bleiben.

Spotten über den „Professor“

Physiker, Chemiker usw. können somit durchaus auch außerhalb öffentlicher Einrichtungen weiterforschen, nicht aber Philologen, Historiker usw. Es ergibt sich daher für diese meist eher zufällig eine Forschungstätigkeit an einer Universität, die zum Doktorgrad oder gar darüber hinaus führt. Die meisten und oft auch sehr gute Absolventen werden ihr Brot schließlich doch in der Schule verdienen. Das bedeutet umgekehrt, dass es überwiegend Lehramtskandidaten sind, aus deren Reihen auch die Doktoranden kommen.

Diese Basis wird der Geisteswissenschaft aber jetzt in Österreich endgültig wegbrechen, wenn die eben beschlossene Lehramtsstudienreform greift. Es wird grundsätzlich nur noch ein Bachelor-Master-Studium für alle Lehrer aller Schultypen mit relativ geringen Unterschieden im Detail geben. Also für Volksschullehrer ein unnötiger Aufwand, für Sekundarstufenlehrer eine katastrophale Nivellierung, deren äußeres Zeichen der Professorentitel für alle Lehrer sein wird. Das wird im Ausland für weiteren Spott sorgen, wo schon bisher ein bayerischer oder sächsischer Studienrat an einem Gymnasium eine härtere Ausbildung als der österreichische Professor genossen hat.

Bisher war der Kern der Lehrerausbildung auch an österreichischen Universitäten immerhin noch das Studium mindestens zweier Fachwissenschaften, auch wenn es in der jüngsten Vergangenheit schon immer weiter auf Grundkenntnisse reduziert worden war.

Ideologie statt Erkenntnisse

Jetzt aber werden die Fachwissenschaften zugunsten der Studienanteile der Erziehungswissenschaften auf einen Schlag nochmals radikal gekappt – ja, im abschließenden Masterstudiengang auf ganz wenige Lehrveranstaltungen beschränkt. Diese werden niemanden mehr befähigen, danach noch ein Promotionsstudium aufzunehmen. Seinerzeit hat man sich damit gebrüstet, in die Gymnasien voruniversitäre Inhalte eingebracht zu haben. Nun nimmt man dem Universitätsstudium eben jene Inhalte, die es noch als wirklich wissenschaftlich ausgewiesen hatten!

Zu einem wesentlichen Teil hat dazu die Überschätzung der Erziehungswissenschaften beigetragen, die vielfach mangelnde sichere, objektivierbare wissenschaftliche Erkenntnisse in einem verhängnisvoll hohen Maße durch Ideologie zu ersetzen pflegen. Vor allem, wo sie sich im angewandten Bereich der pädagogischen Praxis bewegen und glauben, pädagogische Begabung und Begeisterung durch Einübung didaktischer Verfahren ersetzen zu können.

Jetzt sollen die pädagogischen Hochschulen – auf welche Weise auch immer – auch die Universitäten mit Didaktik beglücken. So bekommt schließlich die Vermittlung der Lehrinhalte das Übergewicht über diese oder ersetzt sie sogar.

Doch wer das komplizierte Geflecht von Wirtschaft, Gesellschaft, Macht und Ideen zur Zeit der Französischen Revolution nicht gründlich studiert und verstanden hat, kann dieses Phänomen keinem Schüler – mit welchen didaktischen Finessen auch immer – verständlich machen. Diese können ebenso wenig andere Kernkompetenzen wie die perfekte Beherrschung einer Fremdsprache oder profunde literarästhetische Kenntnisse ersetzen.

Verschobene Gewichte

Nur eine fehlgeleitete, kurzsichtige Politik kann die gründliche universitäre fachwissenschaftliche Ausbildung von Lehrern an höheren Schulen abschaffen, um diese Lehrer dann im Lehrerdienstrecht logischerweise den anderen Lehrern gleichzustellen, wie dies der neue Gesetzesentwurf vorsieht. Nicht die Länge, sondern die Richtung des Studiums ist jedoch entscheidend.

Wo man da wirklich etwas lernen muss, wissen die Studierenden sehr wohl und fliehen daher nicht selten aus den fachwissenschaftlichen in die erziehungswissenschaftlichen Studien. Jetzt werden sie das meist nicht mehr nötig haben, da sich die Gewichte in der Lehrerausbildung ohnehin dorthin verschieben.

Die Geisteswissenschaften in Österreich aber werden ohne ausreichende Zahl von Doktoranden schwere Einbußen in der Forschung erleiden und im Folgenden von den Schulen her auch keinen Nachschub mehr bekommen, wo sie nur noch als gesunkenes Kulturgut in Form didaktisch ausgefeilter Schaubilder verbleiben werden.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comFritz Peter Knapp (*1944 in Wien) war ab 1976 Professor für Ältere deutsche Sprache und Literatur an den Universitäten Wien, Passau, Kiel und zuletzt bis zur Emeritierung 2009 Ordinarius in Heidelberg. Er ist Mitglied der Heidelberger und Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er lebt im Ruhestand wieder in Wien. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2013)

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