Wirbelstürme und Eisflächen: Die eigene Welt der Meteorologen

Wir können nur mit Spannung verfolgen, was uns das globale Experiment, das wir losgetreten haben, schlussendlich bieten wird.

Meteorologen und Klimatologen leben in einer eigenen Welt. Sie definieren ihre Jahreszeiten selbst und sind bereits im Herbst, wenn laut Kalender noch Sommer ist. Sie pflegen auch bestimmte Tage im Jahr mit besonderer Aufmerksamkeit zu begehen, so wie für gewöhnliche Leute Geburts- oder Namenstage.

Einer dieser besonderen Tage ist der 10. September. Er gilt als Höhepunkt und Halbzeit der atlantischen Hurrikansaison. Im Durchschnitt muss man bis zu diesem Datum bereits mit drei solchen Monstern rechnen. Heuer ist, trotz Vorhersage einer überdurchschnittlichen Hurrikanaktivität infolge des sehr warmen tropischen Atlantiks, bis zu diesem Termin kein einziger aufgetreten. Erst am 14. September ist der tropische Sturm Ingrid zum Hurrikan hochgestuft worden.

Dieses Jahr zeigt jedoch auch wieder deutlich, dass hohe Meerestemperaturen in der Karibik allein nicht ausreichen, um die Entstehung von tropischen Wirbelstürmen zu erklären. Das vertikale Profil der Winde, der Temperatur und Feuchte muss die Organisation dieser Wettersysteme erst erlauben. Somit ist auch die einfache Formel, dass die globale Erwärmung mit einer Zunahme der Hurrikans einhergeht, nicht haltbar. Was derzeit wissenschaftlich diskutiert wird, ist, ob sich die Intensität der Hurrikans durch den Klimawandel erhöht.

Der Blick in den Arktischen Ozean

Was kümmern europäische Meteorologen die Hurrikans? Es zeigt sich, dass diese Wirbel am Ende ihrer Lebenszeit meist in die Westwindzone, die unser europäisches Wetter prägt, einbezogen werden. Durch die Zufuhr von deren Energie in unsere Breiten kommt es dabei häufig zu einer grundlegenden Umgestaltung der europäischen Großwetterlage. Diesen Einfluss können aber auch die harmloseren tropischen Sturmzyklonen ausüben, deren es heuer bereits neun im atlantischen Raum gegeben hat. Ein weiterer wichtiger Tag für Wetter- und Klimaforscher ist der 15.September. Zu diesem Termin tritt im arktischen Ozean gewöhnlich das Minimum der Eisbedeckung auf. Vergleicht man die heurige Lage mit der vor einem Jahr, so findet man eine um rund 50 Prozent größere Eisfläche vor als 2012. Hat der Klimawandel gar aufgehört?

Heißere Sommer, kältere Winter

So wie man aus einzelnen extremen Witterungsphasen keine Trends ablesen kann, so darf man auch aus der heurigen Eisbedeckung keine Rückschlüsse auf eine Trendumkehr ziehen. Im heurigen Sommer war die arktische Zirkulation meist so gestaltet, dass die seichte, schützende Kaltlufthaut über dem Packeis kaum durch kräftige Winde nach Süden abtransportiert wurde. Dadurch fiel die Abschmelzung des Eises von oben her schwächer als sonst aus. Fest steht jedoch, dass die Eisfläche im arktischen Sommer über die vergangenen Jahrzehnte beängstigend rasch abgenommen hat.

Was kümmern wir Europäer uns um die arktische Eisbedeckung? Internationale, aber auch österreichische Untersuchungen weisen darauf hin, dass eine Arktis mit weniger Meereis oder gar ein eisfreier arktischer Ozean im Sommer signifikante Auswirkungen auf unseren Kontinent haben kann. Die meisten Studien weisen auf eine Verschiebung hin zu einem kontinentaleren Klima, was mit trockeneren, heißen Sommern, aber auch mit – trotz globaler Erwärmung – kälteren europäischen Wintern verbunden wäre.

Die Komplexität der atmosphärischen und ozeanischen Zirkulation lässt aber auch hier keine exakte Vorhersage zu. Wir können nur mit Spannung verfolgen, was uns das globale Experiment, das wir losgetreten haben, schlussendlich bieten wird.

Reinhold Steinacker ist Professor für Allgemeine Meteorologie und Klimatologie an der Universität Wien.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2013)

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