Arbeitsmarktpolitik: Weg ist richtig, aber noch weit

Bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, vor allem der junger Leute, gilt Österreich inzwischen europaweit als vorbildlich.

Wie machen die das in Österreich, fragt man anderswo: „Europa schaut nach Österreich“ („Die Zeit“); „The Austrian Miracle“ („Foreign Policy“); „Autriche, voyage au pays du plein-emploi“ (L'Expansion). Viele ausländische Medien und Politiker machen sich in jüngster Zeit auf den Weg, um in Österreich nach erfolgreichen Rezepten gegen die Arbeitslosigkeit zu suchen.

So sehr aktuell auch Österreich selbst mit der Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat – die letzten Zahlen von Arbeitssuchenden in Österreich sind die höchsten, die bei uns seit Langem gemessen wurden – so sehr gilt unser Land europaweit noch immer als besonders erfolgreich bei der Bekämpfung der Erwerbslosigkeit. Gerade unsere relativ niedrige Jugendarbeitslosigkeit findet dabei immer mehr internationales Interesse.

So stellte zuletzt sogar die renommierte „New York Times“ dem AMS die schon oft gehörte Frage: „Wie macht ihr das eigentlich in Österreich?“

Die österreichische Wirtschaft hat sich in den letzten zehn Jahren im Vergleich zu den meisten anderen EU-Ländern besser entwickelt. So wuchs – bedingt durch die weltweite Krise 2009 – unser reales Bruttoinlandsprodukt in diesem Zeitraum zwar nur um durchschnittlich 1,64Prozent, jedoch lag dieser Wert deutlich über dem Durchschnitt des Euroraums (knapp unter einem Prozent) und war auch deutlich besser als in der EU-27 (1,21Prozent). Natürlich erklärt diese wirtschaftliche Entwicklung in hohem Maße unsere relativ bessere Arbeitsmarktsituation.

Duale Berufsausbildung

Aber auch unsere duale Ausbildung bietet in arbeitsmarktpolitischer Sicht unschlagbare Vorteile: Denn erstens bleiben die vermittelten Inhalte immer up to date: Verändert sich die Wirtschaft, verändern sich Produktionsmethoden oder Dienstleistungserbringung. So lernen die Auszubildenden sofort die neuen Anforderungen kennen. Ein vorfixierter schulischer Lehrplan muss hier naturgemäß immer hintennach sein.

Und zweitens: Im Anschluss an jede schulische Ausbildung besteht die Notwendigkeit einer Arbeitssuche. Genau dies ist nach einer Lehrlingsausbildung jedoch häufig nicht mehr nötig, da viele Jugendliche einfach in den jeweiligen Ausbildungsbetrieben bleiben.

In Italien, das aktuell eine Jugendarbeitslosigkeit von rund 40 Prozent beklagt, dauern Kündigungsverfahren aufgrund eines überholten Kündigungsschutzes, wie er auch in Frankreich oder Spanien gilt, durchschnittlich noch immer mehrere Jahre. Ist es da verwunderlich, wenn dort Unternehmen in unsicheren Zeiten bei der Neueinstellung von Personal zurückhaltend sind?

Ein Beispiel: Wird etwa einem Unternehmen in einem dieser Länder ein zusätzlicher Auftrag angeboten, der mit dem gegenwärtigen Mitarbeiterstand kaum bewältigbar ist, so wird es diesen Auftrag entweder ablehnen oder durch Überstunden zu erledigen versuchen; oder es wird sich mit Zeitarbeit, mit rechtlich fragwürdigen Schein-Selbstständigen-Konstruktionen oder auch mit Schwarzarbeit zu helfen wissen.

Österreichs Unternehmen hingegen stellen auch in solchen Fällen zusätzliches Personal ein, weil sie dieses bei verringerter Auftragslage notfalls wieder kündigen können. Die davon Betroffenen aber bleiben in Österreich nicht allein. Eine starke aktive Arbeitsmarktpolitik kümmert sich darum, dass arbeitslos gewordene Menschen durch zielgerichtete Förderung – sei es durch Qualifizierung oder etwa Lohnzuschüsse – bald wieder einen Job finden.

So braucht ein moderner, hoch entwickelter Arbeitsmarkt in Zeiten wie diesen beides: sowohl Flexibilität für die Unternehmen als auch Sicherheit für die Arbeitnehmer; Sicherheit durch die Gewissheit einer ordentlichen sozialen Absicherung, durch die Unterstützung einer starken aktiven Arbeitsmarktpolitik, sowie durch das Angebot einer konsequenten Lifelong-Learning-Strategie.

Aktive Arbeitsmarktpolitik

Für die Interventionsstärke des AMS gebührt der österreichischen Politik großes Lob: Obwohl unser Land aktuell die niedrigste Arbeitslosenquote in der EU vorweisen kann und damit vergleichsweise politisch weniger Druck auf diesem Thema lastet, hat das AMS (gemessen an BIP und Arbeitslosenquote) für seine vielfältigen Aufgaben auf dem Arbeitsmarkt doch das vierthöchste Budget in der EU.

Wenn daher das AMS als eine der erfolgreichsten Arbeitsmarktverwaltungen Europas bezeichnet wird, dann ist auch darauf hinzuweisen, dass die Verantwortlichen in Österreich sich diesen Erfolg auch etwas kosten lassen.

So sehr jede einzelne arbeitslose Person jeden Alters Anspruch auf Hilfe des AMS hat – unser wichtigstes arbeitsmarktpolitisches Ziel ist die Verhinderung von Jugendarbeitslosigkeit. Und die stärkste Waffe dafür ist die sogenannte Ausbildungsgarantie, die heute bereits Vorbild für das Vorhaben der EU zur Implementierung der „youth guarantee“ ist. Unsere Ausbildungsgarantie besagt, dass jeder Jugendliche, der eine Lehrausbildung machen möchte, dies mithilfe des AMS auch dann kann, wenn er keine Lehrstelle findet.

Kopfarbeit statt Muskelkraft

Wir alle wissen es: In ganz Europa gehen täglich Arbeitsplätze für Menschen ohne Berufsausbildung bzw. höhere Bildung verloren. Das zeigen auch die Aufzeichnungen in Österreich, wo seit 1990 die Arbeitslosenquoten nach Bildungsabschluss erfasst werden.

In diesen 22 Jahren sind die sogenannten Registerarbeitslosenquoten von Personen mit Matura (3,5Prozent), Universitäts- (2,5 Prozent) oder Lehrabschluss (6,5 Prozent) annähernd stabil geblieben. Dagegen aber hat sich die Arbeitslosenquote von Personen, die lediglich Pflichtschulabschluss vorweisen, von neun auf 19Prozent mehr als verdoppelt.

Warum? Dafür wieder ein einleuchtendes Beispiel: Bekam ein Lagerarbeiter früher seinen Job, weil er physisch stark war, verlangt dieser Arbeitsplatz heute Kenntnisse in Lagerlogistiksoftware, Kommunikation mit diversen anderen Abteilungen, einen Staplerführerschein und oftmals auch eigenverantwortliches Organisieren. Und für all diese Fähigkeiten braucht es Ausbildung.

Immer mehr junge Österreicher haben diese Logik verstanden, immer mehr von ihnen haben sie akzeptiert. Deshalb sind es nur noch etwa 7,5Prozent, die lediglich die Pflichtschule absolvieren. Doch im Interesse von uns allen: Es sind noch immer viel zu viele!

Bisherige Erfolge verpflichten

Wir müssen deshalb noch mehr tun. Die aktuelle Idee einer Ausbildungsverpflichtung bis 18 würde in Verbindung mit großen Reformen im Bildungssystem und einem Ausbau der Frühförderung in diesem Sinne wirken. Denn: Auch wenn Methoden und Erfolge unserer Arbeitsmarktpolitik für viele andere Länder heute als vorbildlich gelten mögen: Wir wissen auch in Österreich, dass es noch ein weiter Weg ist. Aber wir wissen auch, wir sind auf dem richtigen. Das sei in aller Bescheidenheit gesagt.

Dieser Kommentar entstand in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik; er ist Teil von deren Serie „Policy Brief“: www.oegfe.at/policybriefs

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2013)

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