Schule der Zukunft und der Faktor Leistung

Auf welche markanten Ergebnisse des jüngsten PISA-Tests für Erwachsene die Bildungsforscher viel mehr achten müssten und was dieser über die konfuzianische und protestantische Ethik sowie die Gesamtschule aussagt.

Drei europäische Länder haben zuletzt aufhorchen lassen: die Niederlande, weil die Regierung mit teilweiser Zustimmung der Opposition das Netz des Sozialstaates wesentlich weitmaschiger gemacht hat; Finnland, weil es per einstimmigem (!) Parlamentsbeschluss das Pensionsantrittsalter angehoben hat. Und Norwegen, das wie weiland Dagobert Duck in einer Riesenwanne voll Ölgeld baden könnte und trotzdem auf Sparen für die Zukunft setzt.

Der norwegische Staatsfonds verfügt über ein Vermögen von 400Milliarden Euro, von dem aber kein Cent für Steuersenkungen oder für die Erhöhung von Pendlerpauschalen angerührt wird. Das Pensionsalter ist dort auf 67 hinaufgesetzt worden.

Europas Vorzugsschüler

Ziemlich zeitgleich sind die Ergebnisse von PIAAC, dem PISA-Test für Erwachsene, veröffentlicht worden. Finnland, die Niederlande und Norwegen zählen im Verein mit Schweden zu Europas Vorzugsschülern. Schweden hat in den vergangenen Jahren der Verbesserung der ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit auch zulasten des Sozialstaats Priorität eingeräumt.

Ist das Zufall? Ich bin einigermaßen verblüfft, dass kein Bildungsforscher der Frage nachgeht, ob zwischen den beiden Phänomenen ein Zusammenhang besteht. Ob mit der Bereitschaft, Verzicht zu üben, nicht auch eine verstärkte Leistungsbereitschaft verknüpft ist?

Ja, es stimmt. Alle diese Musterländer verfügen über eine achtjährige Gesamtschule (in den Niederlanden von vier bis zwölf Jahren). Aber sie sind auch die einzigen Vorzeigeländer mit einer solchen Schulorganisation, was von den Adoranten der Gesamtschule geflissentlich verschwiegen wird.

Italien, Spanien und Frankreich – alle drei ebenfalls traditionelle Gesamtschulländer – liegen bei PIAAC Lichtjahre hinter Finnland und den Niederlanden und noch immer Lichtmonate hinter dem viel gescholtenen Österreich. Frankreich hat seit mehr als 35 Jahren eine Gesamtschule, alle Lehrer sind akademisch ausgebildet, und die Franzosen sind immer besonders stolz auf ihre strenge Lehrerauswahl gewesen. Gebracht hat das bis jetzt desaströse Ergebnisse. Ob das nicht vielleicht damit zusammenhängt, dass sie sich für das feierliche Wahlversprechen eines Präsidentschaftskandidaten begeistern konnten, auch noch die letzten Reste französischer Wettbewerbsfähigkeit zu beseitigen?

Ein Monsieur François Hollande wäre damit in den Niederlanden, in Schweden oder in Finnland völlig chancenlos gewesen. Dass die Schweizer, die auch sehr gute PISA-Ergebnisse aufweisen, sich in einem Plebiszit gegen mehr Urlaub ausgesprochen haben, passt auch in dieses Bild.

Leistungsorientierte Asiaten

Ich bin auch verblüfft, dass keinem Bildungsforscher aufgefallen ist, dass bei den deutschen PISA-Tests Schüler mit asiatischen Migrationshintergrund nicht nur besser abschneiden als Kinder mit einem nicht asiatischen Hintergrund, sondern auch bessere Ergebnisse als ihre deutschen Schulkameraden liefern. Bei gleicher Schulorganisation und den gleichen Lehrern.

Wenn man – ich vermute, zu Recht – die Möglichkeit verwirft, dass Vietnamesen im Schnitt intelligenter sind als Deutsche, dann bleibt nur die Erklärung, dass Kinder aus Vietnam oder Korea eine höhere Bereitschaft zu Leistung mitbringen. Ist ja auch kein Wunder, wenn man um die in Asien tief verwurzelte konfuzianische Ethik Bescheid weiß, in der die Verpflichtung zu Leistung einen besonders hohen Stellenwert hat.

Es kommt auch sicher nicht von ungefähr, dass die Niederlande, Finnland und die skandinavischen Staaten Länder mit stark protestantisch geprägter Tradition sind. In der protestantischen Ethik ist Leistung einfach positiver besetzt als in der katholischen. In Deutschland ticken die Uhren übrigens ein bisschen anders. Bei insgesamt eher mageren PISA-Ergebnissen stechen vier Bundesländer besonders positiv hervor. An oberster Stelle zwei protestantische– Sachsen und Thüringen –, gefolgt von den kernkatholischen Ländern Bayern und Baden-Württemberg.

Gymnasium, Gesamtschule?

Alle vier haben europäisches Topniveau, und alle vier sind die einzigen deutschen Bundesländer, die entweder die Gesamtschule nie eingeführt oder sie als erste Maßnahme nach der Wende abgeschafft haben.

Jetzt laufen auch bei uns Koalitionsverhandlungen, bei denen die Frage der künftigen Schulorganisation ein wichtiges Streitthema ist: Hie Gymnasium, hie Gesamtschule. Es würde gut zu uns passen, wenn auf typisch österreichische Art ein Sowohl-als-auch herauskommen würde.

Allen, die in diese Richtung denken, würde ich einen Blick über die Grenze nach Deutschland empfehlen. Dort gibt es nämlich in den meisten Bundesländern ein Sowohl-als-auch: weil die Sozialdemokraten immer eine Gesamtschule wollten, aber aus Angst vor einem Aufstand der Bildungsbürger nie die Courage hatten, das Gymnasium abzuschaffen.

Das Ergebnis ist, dass die Gesamtschule zum B-Zug des Gymnasiums verkommen ist und Eltern alle Anstrengungen unternehmen, für ihre Kinder zum Abschluss der vierten Klasse die Gymnasialreife bestätigt zu bekommen. Angesichts schlechter PISA-Leistungen auch der Berliner Gymnasiasten hat sich der sozialdemokratische Schulsenator gezwungen gesehen, die Volksschulen anzuweisen, weniger großzügig mit der Zuerkennung der Gymnasialreife zu sein!

Golflehrer – aber wie viele?

Jetzt wird ein neuer Vorschlag populär: In Fächern wie Sprachen, Mathematik, Naturwissenschaften sollen nur mehr Mindeststandards gelten, während die Schüler ihren besonderen Neigungen und Begabungen (Sport, musische Fächer etc.) in speziellen Schulformen nachgehen können sollen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie viel Trost ein Lehrer einem Vater spenden kann, wenn er ihm erklärt, dass das Kind zwar Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung habe, aber dafür ein beachtliches schauspielerisches Talent.

Dennoch: Wer eine solche Schule der Zukunft propagiert, versündigt sich an der Zukunft der Kinder. Und wer das nicht glaubt, dem sei die Lektüre einer wirklich erschütternden Reportage in der Hamburger „Zeit“ empfohlen. Hauptperson des Textes ist ein Kontrabassist und dreifacher Familienvater, der aus Einsparungsgründen seine Planstelle in einem drittklassigen Orchester verloren hat und sich verzweifelt bemüht, irgendwo in Deutschland wieder eine solche Stelle zu ergattern.

Das Hauptthema ist Angst. Existenzangst und die Angst, seiner Frau immer wieder die Botschaft überbringen zu müssen, dass er beim Vorspielen zwar in die Endauswahl gekommen, aber immer einer besser gewesen sei.

Für alle Bewegungstalente gilt das Gleiche. Für tausend hochbegabte Golfer gibt es vielleicht zehn Stellen als Golflehrer. Und nur maximal einer unter 1000 kann wirklich ordentliches Geld verdienen.

DER AUTOR

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DDr. Bernhard Görg (*1942 in Horn) studierte Geschichte, Latein und Rechtswissenschaften in Wien.

Von 1968 bis 1986 war er in Führungspositionen bei IBM tätig, von 1986 bis 1992 Geschäftsführer der Neumann-Beratungsgruppe in Wien. Von 1992

bis 2002 war er Chef der Wiener Volkspartei, von 1996 bis 2001 Planungsstadtrat. [ Clemens Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2013)

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