Die IT-Welt: Europa kapiert es einfach nicht!

Einst mächtige europäische Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologie haben den Anschluss verpasst. Es wäre allerhöchste Zeit für einen Innovationsschub und eine Bündelung der Kräfte in Europa.

Wenn Innovation in Europa nicht zur ersten Agenda befördert wird, werden wir schon bald in der Belanglosigkeit verschwinden. Nokia und Loewe haben demonstriert, wie einst mächtige Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologie den Anschluss verpassten und zu Restposten für Investoren aus den USA und Asien verkamen. Es führt nur ein Weg aus diesem Dilemma: die Schaffung einer europäischen Autonomie mittels Normung und Innovation.

Ein deutscher Musiker und Journalist wollte vor Kurzem in die amerikanischen Südstaaten reisen, dort ein paar Konzerte in kleinen Cafés geben und eine Tante in Alabama das erste Mal treffen. So weit ist es jedoch nie gekommen. Am Flughafen Minneapolis wurde der junge Mann abgefangen, verhört und wieder nach Europa zurückgeschickt.

„Amerika weiß alles...“

Die Grenzbeamten wussten seinen Künstlernamen, sie kannten die anvisierten Konzerttermine – alle Inhalte von Korrespondenzen, die via E-Mail über den Atlantik hin- und hergegangen waren. Auf die Frage nach der Informationsquelle kam ein lapidares „America knows everything“.

Der US-Abhördienst NSA verschafft sich im Namen der Terrorbekämpfung so gut wie überall Einblick – und wo gelänge das besser als über die IT-Giganten der USA. Die amerikanische Vorherrschaft in der Informations- und Kommunikationstechnologie konnte es so weit kommen lassen. Jetzt ist es hoch an der Zeit, dass Europa in Sachen Innovation aufholt und Autonomie zurückerobert.

Denn solange wir weiter schwächeln, verleiben sich amerikanische und inzwischen auch asiatische Großinvestoren innovative europäische Positionen ein, schaden damit der hiesigen Wertschöpfung und vernichten Arbeitsplätze – ein Konjunkturdämpfer, für den fälschlicherweise die Finanzkrise verantwortlich gemacht wird.

Der Kommunikations- und Informationssektor ist einem hohen Innovationsdruck unterworfen. Nokia hat dies gerade mit einiger Dramatik vorgeführt: Bis vor fünf Jahren galt das finnische Unternehmen mit über 40 Prozent Marktanteil noch als Riese der Mobiltelefonie, verschlief dann aber die neuesten Entwicklungen und konnte zuletzt nur noch 14 Prozent des Gesamtmarktes und unauffällige 3,1 Prozent im Bereich Smartphones für sich beanspruchen. In diesem jämmerlichen Zustand übernahm Microsoft, Hersteller des Nokia-Betriebssystems, die Mobilfunksparte um 5,4 Milliarden Euro.

Und noch ein weiteres Beispiel für die Folgen mangelnden Weitblicks: Loewe verzeichnete 2012 einen Verlust von 45 Millionen Euro bei 250 Millionen Umsatz. Nun ist der bayerische Hersteller formvollendeter Fernsehgeräte insolvent und auf Investorensuche. Die Kundschaft bewertete Design einfach nicht mehr so hoch wie das Management. Im Moment zählt allein die Bildschirmauflösung, und hier hat Samsung die Nase vorn.

Wie macht Samsung das nur?

Der südkoreanische Konzern jongliert im TV-Sektor bereits mit über 50 Prozent des Weltmarkts, und im Bereich Smartphones werden die großen Mitbewerber gerade zügig überholt. Wie macht Samsung das? Innovation zählt hier alles. Sobald sich die nächste Generation an Leuchtdiodentechnik ankündigt, werden alle Investitionen in die Fortentwicklung der aktuellen abgebrochen und ausschließlich in Novitäten gepumpt.

Hardware bevorzugt

„Europa kapiert die strategische Bedeutung von Software einfach nicht“, konstatierte Burton Lee auf dem gerade stattgefundenen 5. Europäischen Innovationsgipfel. Als Ausnahmen lässt der Stanford-Professor für Europäische Unternehmensführung und Innovation nur Finnland und Großbritannien gelten oder Unternehmen wie SAP, Skype oder Spotify. Eine ärmliche Aufzählung angesichts der Unternehmensdichte im kalifornischen Silicon Valley.

Die europäische Industrie und Politik bevorzugen nach wie vor Greifbares, also Hardware, so Burton Lees These. In Unternehmen wird die Abteilung für Informationstechnologie oft im Keller versteckt oder gar ausgelagert, das Vorkommen eines IT-Repräsentanten auf strategischer Ebene ist eher ungewöhnlich. Fatal, wenn man bedenkt, dass Unternehmen und Institutionen immer stärker von diesem Bereich abhängen. In den USA sind IT-Vorstände keine Seltenheit mehr.

Es existiert kein einziger Tablet-PC „made in Europe“, kein europäisches Betriebssystem – diese Versäumnisse der vergangenen zehn Jahre verursachen Kosten in Form massiver Produktivitätseinbußen. Bis zu 100.000 Arbeitsplätze hätten mittlerweile geschaffen werden können, schätzt Lee.

Er macht aber gleichzeitig Mut: Wenn die südkoreanische Informations- und Kommunikationstechnologie innerhalb von fünf Jahren Richtung Weltspitze davongaloppiert, kann Europa das theoretisch auch.

Der Weg aus dem Dilemma

Dazu müssen wir dringend einen europäischen Weg der Zusammenarbeit und Normung finden. Beweis für eine erfolgreiche europäische Wirtschaftsautonomie stellen EADS/Airbus und Galileo dar. Normungen, ursprünglich „made in Europe“ und heute global im Einsatz, gab es seinerzeit auch für den Mobilfunk GSM.

Diese Vorgehensweise hat sich wirtschaftlich und sicherheitstechnisch bewährt. Nokia setzte beispielsweise rechtzeitig auf GSM und verschaffte sich damit anfangs einen enormen Wachstumsschub.

Ein wichtiger Schritt zur Stärkung einer europäischen Autonomie ist die Forschungsförderung, wie etwa das mit 70 Milliarden Euro dotierte „Horizon 2020“. Aber erst eine deutliche Erleichterung der bürokratischen Hindernisse und besserer Zugang zu Risikokapital machen die Markteinführung von Innovationen realistisch.

Dazu braucht es aber auch wieder eine Wachstumsbörse nach dem Vorbild des Frankfurter „Neuen Marktes“, der leider ausgelaufen ist. Die Idee des Börsensegments „Neuer Markt“ war richtig, denn kleinen und mittelständischen innovativen Unternehmen wurde der Zugang zu Kapital ermöglicht.

„United Clouds of Europe“

Unternehmen, vor allem aus den Branchen Umwelttechnik, Telekommunikation, Biotechnologie und Multimedia, konnten sich mit Risikokapital versorgen. Der Erfolg einiger Unternehmen wäre ohne dieses Börsesegment in den Jahren von 1997 bis 2003 nicht realisierbar gewesen.

Die Rettung der Informations- und Kommunikationstechnologie liegt meiner Ansicht nach im Cloud-Computing, also einer gemeinschaftlichen Rechnerwolke. Und diese „United Clouds of Europe“ sind vieles, aber sicher kein Traumgespinst: Wer sich an den Kampf der Giganten zwischen dem europäischen Gemeinschaftsunternehmen Airbus und Boeing erinnert, weiß, was eine Bündelung europäischer Kräfte bewirken kann.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Helmut Fallmann
(* 1966) studierte Informatik an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Mit seinem Studienkollegen Leopold Bauernfeind gründete er vor 25 Jahren den Softwarekonzern Fabasoft und ist heute Vorstandsmitglied. Fabasoft hat sich zu einem führenden europäischen Softwarehersteller und Cloud-Anbieter etabliert. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2013)

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