Die vergessene Demokratie

In Montenegro ist eine Diffamierungskampagne gegen regierungskritische Zeitungen und Parlamentarier im Gange.

Die Entwicklungen in Montenegro bleiben angesichts der Komplexität der neuen regionalen Staatsgefüge auf dem Balkan oft unbemerkt. Während der vergangenen Jahre von der EU-Kommission oft als Musterschüler gelobt, wurden kritische gesellschaftspolitische Tendenzen innerhalb des technokratisch geprägten EU-Annäherungsprozesses oft nicht berücksichtigt.

Die Gründe dafür schienen plausibel: Sei es wegen der relativ stabilen außenpolitischen Situation des Landes in einer ansonsten fragilen Region; sei es wegen des – zum größten Teil künstlich importierten – Wohlstands; sei es wegen der mehr als überschaubaren Größe von 630.000 Einwohnern.

So verweilte der Adriastaat längere Zeit abseits jeglichen öffentlichen Interesses. Dieses Desinteresse weicht nun zögerlich einer intensiveren internationalen Berichterstattung über das kleine Land mit den großen Ambitionen. Die Themen sind derzeit eine Einladung zum Nato-Beitritt und Verhandlungen über eine EU-Mitgliedschaft. Hier stellen Kapitel 23 und 24 die größten Herausforderungen dar: der Aufbau eines funktionalen Rechtsstaats sowie die Bekämpfung der Korruption und organisierten Kriminalität.

Milo Djukanović, seit über 23Jahren der starke Mann des Landes und ein Überbleibsel der postkommunistischen Führungsgeneration der 1990er-Jahre, bemüht sich, sein Land nach außen hin als modernen, multiethnischen Staat zu präsentieren.

Rückfall um zehn Jahre

Die internen Prozesse aber lassen viele Zweifel aufkommen: Zuletzt wurden die wenigen regierungskritischen Printmedien „Dan“, „Vijesti“ und „Monitor“ in einer einzigartigen Hetzkampagne von regierungsnahen NGOs diffamiert.

Das hat dazu geführt, dass der Styria-Verlag als Eigentümer einer der verleumdeten Zeitungen einen Brief auch an den Ministerpräsidenten geschickt hat. In der Organisation Seemo (South East European Media Organisation) wird zum Stand der Medienfreiheit festgestellt, dass es mehr oder weniger einen Rückfall um zehn Jahre gebe.

Neben den sich wiederholenden physischen Angriffen auf kritische Journalisten und Redaktionen sowie der Hetze gegen junge, kritische Stimmen im Parlament ist es vor allem eine Vielzahl unaufgeklärter Korruptionsaffären, die ein autoritär gefärbtes Gesellschaftsklima schafft, das sicher keine Empfehlung für einen Nato- und noch weniger für einen EU-Beitritt ist.

Dabei ist das Geschehen in Montenegro symptomatisch für die aktuell vernachlässigte EU-Erweiterungsdebatte: Potenzielle Probleme werden meist nur dann wahrgenommen, wenn es schon zu spät ist. Ein solcher Zugang verwundert nicht, da die Region die Welt jahrelang mit blutigen Bürgerkriegen in Atem gehalten hat.

Ein Land, das keine Probleme mit ethnischen Minderheiten oder seinen Nachbarn hat und von dem keine „Destabilisierung“ ausgeht, gilt oft als akzeptabel, ja fast vorbildlich. Aber so einen außenpolitischen Pragmatismus können sich vielleicht die USA erlauben. Die EU hingegen darf sich, um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren, nicht nur mit der Erfüllung einfacher technokratischer Kriterien zwecks mittelfristiger Lösungen zufriedengeben. Sonst läuft sie Gefahr, die Essenz der europäischen Idee in den Hintergrund zu drängen.

Vizekanzler a.D. Erhard Busek (*1941 in Wien) ist Koordinator der südosteuropäischen Kooperationsinitiative (Seci) und Vorstand des Institutes für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM).


E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2013)

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