Der ÖVP-Trend: Kleiner, enger, kälter

Die Volkspartei würde eine Reform brauchen wie 1970, als die Parole ausgegeben wurde: „Näher zum Bürger“.

Die großen Volksparteien im Europa, linke wie rechte, kommen derzeit gerade noch auf 25 bis 35 Prozent. Die ÖVP liegt mit ihren 23,99 Prozent vom vergangenen September am unteren Ende der Skala. Es ist dies die Station auf einer Reise, die 1990 begann und seither bei den Nationalratswahlen von einem steten Abstieg – mit einem einzigen „Ausreißer“ (2002) – gekennzeichnet ist. Daher liegt die Frage: Wie geht es weiter?

Es ist bekannt, dass gerade in einer Zeit der Regierungstätigkeit die Parteiarbeit vernachlässigt wird. Das war auch bei der Volkspartei der Fall. Wie sonst hätte es geschehen können, dass man 2009 (bei den gegen den Bundestrend verlaufenden EU-Wahlen) weit mehr als 100.000 Vorzugsstimmenwähler vor den Kopf stieß, 2013 eine Gruppe wie Strolz und Co. grußlos abschwirren ließ, in den Städten und den sie umgebenden Speckgürteln zusieht, wie sich bürgerliche Wähler politisch neu orientieren?

Trutzburg der Beamten

Als die ÖVP 1970 nach 25 Jahren der Regierungstätigkeit auf die Oppositionsbank geschickt wurde, hatte sie den Mut zu tiefgreifenden Reformen. Sie verschrieb sich dem „Näher zum Bürger“, löste sich vom Klischeebild einer klerikalen Partei, gab sich ein liberaleres Programm, das Öffnung und Dynamik signalisierte. Sie gewann in den Betrieben, eroberte Städte.

Aber in den letzten Jahren ist die Volkspartei nicht nur kleiner, sie ist auch enger und kälter geworden (siehe den Umgang miteinander, wenn es um Personalrocharden geht). Die organisatorischen Strukturen haben mit den Veränderungen in der Gesellschaft nicht Schritt gehalten.

Ein paar Beispiele: Der ÖAAB ist kaum noch die politische Heimat aller Arbeitnehmer, sondern vor allem die Trutzburg der Beamten. Arbeitnehmer, die mit „Golden Handskakes“ verabschiedet werden und eine Ein-Personen-GmbH gründen, fühlen sich noch lange nicht beim Wirtschaftsbund daheim. Im öffentlichen Erscheinungsbild wird die Partei oft auf den Bauernbund reduziert, weil sich dieser primär auf die optimale Vertretung seiner Klientel versteht.

Ein mehrköpfiges Wesen

Nicht nur im öffentlichen Leben, auch in der Partei wäre eine Verwaltungsreform angebracht. Hier gibt es nämlich ein Neben- und Übereinander von Dienststellen, zumal die ÖVP von der Bundes- bis hinunter zur Lokalebene als mehrköpfiges Wesen auftritt. So hat nicht nur die Gesamtpartei, sondern jede der sechs Teilorganisationen ihre eigene Repräsentanz, bei der sich oft schon mehr Funktionäre als Mitglieder und Sympathisanten tummeln.

Was der ÖVP fehlt, ist eine breit aufgestellte Entwicklungsabteilung. Darunter ist nicht ein kleines Grüppchen von Leuten zu verstehen, die im stillen Kämmerlein Gedanken über die Zukunft aushecken. Gemeint ist eine breite Plattform, die flächendeckend präsent ist, den offenen Dialog pflegt, Menschen aus allen Lebens- und Berufsbereichen anzieht, die über den Tellerrand hinaussehen und mitgestalten wollen. Und deren Denkresultate auch in die Politik einfließen.

Die Allenbacher Meinungsforscher geben immer wieder interessante Anstöße, die Orientierungspunkte liefern. Vor zwei Jahren fanden sie heraus, dass eine Politik, die sich glaubhaft an christlichen Werten orientiert, durchaus Bestand hat. Unlängst wies eine Studie darauf hin, dass viele Bürger eine Existenzberechtigung für eine liberale Politik sehen (ohne dass es dazu einer eigenen F-Partei bedarf).

Der richtige Mix

Aus vielen Ideen und notwendigen Zwängen den richtigen Mix für einen Aufbruch ins Morgen zu finden, ohne dabei auf die eigenen Wurzeln zu vergessen, wird beinahe zur Überlebensstrategie.

Mag. Herbert Vytiska (* 1944) war 15 Jahre lang Pressesprecher des früheren ÖVP-Obmanns und Außenministers Alois Mock. Jetzt ist er Kommunikationsberater in Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2013)

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