Höchste Zeit für soziale Marktwirtschaft 2.0

Peter Kufner www.peterkufner.com
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Der Bundespräsident und alle Parlamentsparteien wären eingeladen, sich für mehr Neoliberalismus im klassischen Sinn einzusetzen. Denn es geht um Wohlstand und Wohlbefinden für alle Bevölkerungsschichten.

Also sprach der Bundespräsident: Der Wettbewerb sei eine „öffnende Kraft“, die „althergebrachte Privilegien und zementierte Machtstrukturen aufbricht“ und so „Raum für mehr Teilhabe und Mitwirkung schafft“. Erfreulich, dass der Staatschef solche Worte findet – in einer Zeit, in der das Misstrauen gegenüber der Marktwirtschaft so breit wuchert wie schon lange nicht mehr. Schade nur, dass es der deutsche Bundespräsident, Joachim Gauck, war, der solches sagte und nicht unser Bundespräsident, Heinz Fischer.

Bei einem Vortrag ging ich jüngst der Frage nach: „Die Wirtschaft ist für die Menschen da – oder umgekehrt?“ Die Antwort ist klar: Ja, die Wirtschaft ist für die Menschen da. Punkt. Und nein, der Markt ist nicht böse. Es kommt darauf an, was wir daraus machen.

Das ist wie mit einem Küchenmesser; dieses ist auch nicht böse. Es ist ein Instrument, das wir hoffentlich sinn- und dienstvoll einsetzen. Es hängt alles davon ab, wie wir das Instrument führen.

Der Staat als Partner

Auch die Marktwirtschaft braucht Führung. Sie braucht einen entschlossenen Staat als Partner. Dort, wo die Führung auslässt, kann es gefährlich werden. Wenn der Staat den Markt nicht immer wieder auf die Gesellschaft und die Menschen verpflichtet, entfaltet er mitunter dysfunktionale Dynamiken.

Fehlendes Marktverständnis oder mangelnde Entschlossenheit des Staates führt beispielsweise zu Monopolbildungen oder zu ungesunden Oligopolen (vergleiche zum Beispiel den Energieversorgungssektor in Österreich: Die Bürger bezahlen das Versagen des Staates mit zu hohen Preisen).

Fehlende Rahmensetzungen provozieren ausufernde Spekulationen (von Finanzkrise bis Hypo Alpe Adria). Und falsche Anreize – wie etwa monströse Bonusregelungen und die Fixierung auf kurzfristige Quartalsergebnisse – forcieren abstrakte Renditen, für die man auch breit angelegte Jobvernichtung in Kauf nimmt.

Von diesen Dynamiken ist das Wirtschaften der Handels- und Gewerbetreibende wohl weit entfernt. Ihre unternehmerische Tätigkeit findet eingebettet in den sozialen Kontext vor Ort statt. Die kleinstrukturierte österreichische Wirtschaft ist per se eine soziale Marktwirtschaft. Und das ist ein Glücksfall für unser Land.

Der deutsche Kultursoziologe und Nationalökonom Alfred Müller-Armack (1901–1978) gilt als der Erfinder der sozialen Marktwirtschaft. Er beabsichtigte, „auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die wirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden“.

Damals wurde dieser Ansatz der Denkschule des Neoliberalismus zugerechnet. Heute ist dieser Begriff zum Schimpfwort verkommen. Und meint dann wohl auch etwas anderes, als das, was Müller-Armack und Ludwig Wilhelm Erhard (1897–1977) unter ihrer Vision verstanden. Erhard trieb 1949 bis 1963 als Wirtschaftsminister und danach als deutscher Bundeskanzler die Implementierung der sozialen Marktwirtschaft voran.

Wohlstand für breite Massen

Österreich übernahm diesen neoliberalen Ansatz weitgehend und schuf damit in den Nachkriegsjahrzehnten einen Wohlstand, der uns in den Olymp der reichsten Länder führte.

Die soziale Marktwirtschaft ist zweifelsfrei jenes Instrument, dem es auf diesem Planeten bisher am besten gelungen ist, Wohlstand für breite Massen zu schaffen. Wir sollten also vorsichtig sein mit Schlachtrufen wie: „Unsere Krise heißt Kapitalismus.“ Diese Hypothese wabert diffus durch den Raum und die Politik ist leider zu feige, hier dagegenzuhalten.

Daher möchte ich eine Lanze für den Kapitalismus und die soziale Marktwirtschaft brechen: Ich bin ein bekennender Fan der Marktwirtschaft. Und ja, lieber Wettbewerb, wir wollen dich und wir brauchen dich. Du bist unser Garant für Kreativität, für Innovation und für hohe Produktivität. Du bist damit unser Schlüssel zum Wohlstand.

Ökologie, Ökonomie, Soziales

Wir sollten die soziale Marktwirtschaft weiterentwickeln. Wir sollten das Sowohl-als-auch stärken: Es geht um Wettbewerb und Kooperation – beide sind schöpferisch und beide sind zerbrechlich. Sie gehören zusammen.

Wir sollten als zweites Zwillingspaar Leistung und Solidarität in den Mittelpunkt stellen – wir brauchen ein menschenwürdiges Wirtschaften, das sich auch gesellschaftlicher Verantwortung stellt. Und wir sollten auf Wohlstand und Wohlbefinden fokussieren – unser Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnis sollte ein ganzheitlicheres, ein systemischeres, ein integraleres werden.

Eine soziale Marktwirtschaft 2.0 muss natürlich den Gedanken der Nachhaltigkeit stärker in den Fokus rücken. Wir brauchen die Verständigung und den Ausgleich zwischen Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft. Ökologie, Ökonomie und Soziales sind die drei Säulen nicht nur unseres Wohlstandes, sondern vor allem auch eines gesamtgesellschaftlichen Wohlbefindens. Die Optimierung dessen ist das Höchste, was eine liberale Gesellschaft anstreben kann. Sie bewegt sich im Spannungsfeld von Freiheit und Verantwortung.

Das Glück ist individuell, aber der Staat und die Politik haben die optimale Absprungbasis ins persönliche Glück zu schaffen.

Was konkret zu tun wäre

Und was kann man jetzt ganz konkret in Österreich machen, werden die Selbstständigen im ganzen Land fragen. Viel, lautet meine Antwort: Steuer- und Abgabenquote senken (Ziel: 40Prozent), Pensions-, Gesundheits-, Verwaltungs- und Föderalismusreform, Chancengerechtigkeit in der Bildung stärken, duale Ausbildung weiterentwickeln (zum Beispiel Berufsakademie), Jungunternehmen fördern (zum Beispiel Eigenkapitalfonds, Gewinnfreibetrag nicht beschränken).

Und noch ein paar weitere Maßnahmen: Gewerbeordnung entrümpeln, Kammerpflicht abschaffen, Kreditklemme für Mittelstand beseitigen, Wettbewerb stärken (etwa in der Energiewirtschaft), Spekulationswirtschaft eindämmen (Bankeninsolvenzrecht), Finanztransaktionssteuer auf EU-Ebene forcieren, alternative Kennzahlen zum Bruttoinlandsprodukt entwickeln (zum Beispiel Nachhaltigkeitsindex), Gleichgewicht zwischen verschiedenen Formen gesellschaftlicher Aktivität stärken (zwischen monetären und nicht monetären Tätigkeiten), Europa gestalten (die Europapolitik als Innenpolitik begreifen).

Wünsche an das Christkind sind zuletzt ja nicht so gut angekommen. Aber es handelt sich hier ja zum Glück um sehr irdische Dinge. Daher formuliere ich diese Hommage an die soziale Marktwirtschaft als Einladung nicht nur an den Bundespräsidenten, sondern an alle Parlamentsparteien, dass wir für mehr Neoliberalismus im klassischen Sinne kämpfen.

Es geht um nichts anderes als um Wohlstand und Wohlbefinden für breite Massen. Das ist ein zutiefst liberales Vorhaben.

Der Autor

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Dr. Matthias Strolz
(geboren 1973 in Bludenz) studierte Wirtschafts- und Politikwissenschaften an der Uni Innsbruck. Unternehmensberater, Mitarbeiter im ÖVP-Parlamentsklub. Im Oktober 2012 Gründung der Partei Neos. Seit Oktober 2013 Nationalratsabgeordneter und Klubobmann der Neos – Das neue Österreich und Liberales Forum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2014)

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