Die drei Fehler im Blick auf den 12. Februar

Nach 80 Jahren wäre es eigentlich höchste Zeit, die Geschehnisse rund um die Februarkämpfe von 1934 ohne ideologische Scheuklappen zu bewerten. Aber auch heute werden ständig die alten Formeln wiedergekäut.

Es ist eine besondere Geste, zu der sich die Koalitionsregierung anlässlich des Gedenkens der Februarkämpfe vor 80Jahren durchgerungen hat: Erstmals seit 50Jahren werden der sozialdemokratische Kanzler und sein Vizekanzler von der Volkspartei gemeinsam einen Kranz beim Mahnmal auf dem Wiener Zentralfriedhof niederlegen.

Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie viel Hass dieses historische Ereignis hervorgerufen hat und noch immer hervorruft, kumuliert in dem Namen Engelbert Dollfuß. Dieser Einmütigkeit vorangegangen war 2012 das von SPÖ und ÖVP gemeinsam vorgelegte Gesetz zur Rehabilitierung der Opfer der Jahre 1933–1938.

Diese politischen Gesten sind zweifellos ein wichtiger Fortschritt, um das Lagerdenken der Zwischenkriegszeit endlich zu überwinden. Dennoch beinhalten sie zumindest drei fundamentale Fehler in der tradierten Geschichte über die Februarereignisse.

Eine falsche linke Rechnung

Der erste Fehler, der von linker Seite bewusst bis heute propagiert wird, ist die folgende Formel: Ständestaat = Faschismus, Faschismus = Nationalsozialismus. Durch diese Gleichsetzung wird suggeriert, das Dollfuß/Schuschnigg-Regime sei ideologisch auf der Seite des Nationalsozialismus anzusiedeln, ein Konkurrenzsystem also. Somit lässt sich ein wunderbar einfacher Gegensatz konstruieren: Hier die „Guten“, also die Sozialdemokraten, und dort die „Bösen“, die Austrofaschisten und die Nazis.

Nur geht die Rechnung nicht auf. Denn es waren vor allem die Funktionäre des Ständestaates, die 1938 allesamt im Konzentrationslager landeten, während Karl Renner unbehelligt in seiner Villa saß und dazu aufrief, für den Anschluss zu stimmen. Wie peinlich!

Ist diese Gleichsetzung von Ständestaat und Nationalsozialismus etwa ein bewusstes Manöver, um von der Zurückhaltung der Sozialdemokratie beim aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus abzulenken?

Wie vollkommen verfehlt diese Gleichsetzung ist, wird auch in der Erinnerungskultur deutlich: Auf dem besagten Mahnmal, vor dem nun SP- und VP-Spitze einmütig gedenken, steht: „Den Opfern für ein freies Österreich 1934–1945“. Damit wird suggeriert, der Ständestaat und die NS-Diktatur seien ein kontinuierliches System gewesen.

Diese Formel ist auch auf anderen Tafeln auf Gedenkstätten zu lesen, die der Erinnerung an die Gräuel der Nationalsozialisten gewidmet sind. Diese Inschriften sind blanke Geschichtsfälschung und eine Verharmlosung der Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur! Es ist gerade an solchen Orten mehr als unangebracht, Austrofaschismus und Nationalsozialismus gleichzusetzen.

Es ging nicht um Demokratie

Der zweite Fehler besteht in der Behauptung, den Februarkämpfern sei es allesamt um die Wiedererrichtung der Demokratie gegangen. In Politikeransprachen bei SPÖ-Gedenkveranstaltungen hört sich das etwa so an: „Die Verteidigung der Demokratie ist militärisch gescheitert, aber die Sozialdemokratie ist der moralische Sieger geblieben!“ (Wiens SP-Stadtrat Ludwig 2012). Ganz anders berichten das Zeitzeugen, etwa Franz Olah, 1934 junger Gewerkschafter und Mitkämpfer. Er antwortete mir auf die Frage, was sie denn gemacht hätten, hätten sie im Februar 1934 gewonnen: „Na, gleich hätten wir die Demokratie sicher nicht wieder eingeführt!“

Faktum ist, dass es keinen einzigen konkreten Plan zur Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse gegeben hat. Dafür gab es etliche Pläne, wie mit Gewalt die Macht errungen und behalten werden sollte. Der bekannteste dieser Pläne ist jener des Schutzbundführers Alexander Eifler, bereits 1927 entworfen: Dieser Plan sah einen gewaltsamen Staatsstreich vor, die Regierung und alle Offiziere sollten verhaftet, die Regierungseinrichtungen sowie Rundfunkstationen besetzt werden.

Richard Bernaschek, dem oberösterreichischen Schutzbundführer, der die Februarkämpfe ausgelöst hatte, schwebte nach erfolgreichem Putsch gar ein Staat nach sowjetischem Muster vor. Die Motive des Schutzbundes waren also nicht die Wiederherstellung der Demokratie, sondern ein gewaltsamer Umsturz. Es ist also leicht nachvollziehbar, warum die sozialdemokratischen Parteiführer gegen ein Losschlagen des Schutzbundes waren. Dessen ungeachtet ist anzuerkennen, dass etliche Mitkämpfer aus idealistischen Motiven heraus gehandelt haben, dass es ihnen tatsächlich um Freiheit und Demokratie gegangen ist. Die Todesopfer verdienen jedenfalls Respekt, das Blutvergießen war schrecklich und die Vollstreckung der Todesurteile ein entsetzliches Unrecht.

Hitlers Truppen standen bereit

Der dritte Irrtum in all dem politischen Pathos zum 12.Februar betrifft die Rolle des Nationalsozialismus. Es ging damals längst nicht mehr um die vor allem von den Heimwehren verabscheuten Sozis, sondern um die Abwehr des Nationalsozialismus.

Von sozialdemokratischer Seite wird gern ausgeblendet, dass die Todesstrafe 1933 wegen des brutalen nationalsozialistischen Terrors in Österreich eingeführt wurde. Diesem versuchte die Regierung Einhalt zu gebieten. Außerdem wird im Diskurs über die Februarkämpfe stets die Außenpolitik ausgeblendet, die aber entscheidend für das Tun der Regierung war.

Auf der einen Seite machte Mussolini Druck, mit den Sozialisten nicht zusammenzugehen. Auf der anderen Seite wartete Hitler nur auf eine Gelegenheit, auf ein Zeichen der Schwäche, um in Österreich einzugreifen. Seine Sturmtruppen standen in jenem Februar'34 an der Grenze schon bereit.

Das ganze Land war vergiftet

Das ganze Land, alle politischen Lager waren von der nationalsozialistischen Propaganda bereits vergiftet: Die Heimwehren waren unterwandert, die Polizei ebenso, die Abwerbeaktionen der Nazis bei arbeitslosen Arbeitern gestalteten sich sehr erfolgreich. Richard Bernaschek, der nach der Niederschlagung des Aufstands in Linz im Gefängnis saß, wurde bald von Nationalsozialisten befreit und nach München gebracht. Dort machte er fleißig NS-Propaganda.

Die rein innenpolitische Sichtweise, man hätte nur die austrofaschistische Diktatur beseitigen müssen, um Freiheit und Demokratie zu sichern, ist also in mehrfacher Hinsicht falsch. Im Gegenteil: Hitler hätte schon wesentlich früher Gelegenheit gehabt, die Macht an sich zu reißen. Die Parteiführung, allen voran Otto Bauer, hatte das erkannt, daher versuchte sie, den Schutzbund an der Ausführung seines Plans zu hindern.

Die gravierenden Fehler in der Überlieferung der Februarereignisse finden sich leider im aktuellen Diskurs, auch im akademischen. 30Jahre ideologisch einseitige Besetzung von Planstellen im Fach Zeitgeschichte zeigen eben ihre Wirkung! Diese spiegeln sich dann in Publikationen und Dokumentationen, etwa des ORF, wider.

Schade, denn nach 80 Jahren wäre es eigentlich höchst an der Zeit, den Tatsachen ohne ideologische Brille ins Auge zu sehen!

DER AUTOR

E-Mails an: debatte@diepresse.com



Dr. Gudula
Walterskirchen
ist Historikerin und Publizistin. Nach einigen Jahren als Redakteurin bei der „Presse“ arbeitet sie nun als freie Journalistin. Sie hat sich speziell mit der Zwischenkriegszeit auseinandergesetzt und Biografien verfasst – so über Engelbert Dollfuß und Ernst Rüdiger von Starhemberg. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2014)

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