Das alte Dogma von weniger Staat

Hätte Wien beim Ausbruch der Krise ein sofortiges Nulldefizit angestrebt – die Stadt wäre nicht so gut durch die Krise gekommen.

In seiner „Bilanz“ vom 31.Jänner hat sich Josef Urschitz unter dem Titel „Im Elfenbeinturm der Steuererfinder“ auch kritisch zur Wiener Vizebürgermeisterin Renate Brauner geäußert, weil diese Ausnahmen von den Schuldengrenzen des Stabilitätspakts gefordert hätte.

Nun, die Herausforderungen für Wien lassen sich mit den Worten Infrastruktur, Bildung und Krisenbekämpfung zusammenfassen. Denn jährlich 30.000 zusätzliche Einwohner benötigen auch weiter Infrastruktur und Bildung. Die Wirtschaftskrise hat zudem auch in Wien Spuren in der Arbeitslosenstatistik und im Budget hinterlassen. Dennoch: Wien steht gut da – auch dank einer beherzten Konjunkturpolitik.

Für Wien gilt: In den Jahren 2000 bis 2012 ist die Stadt um 176.000 Einwohner gewachsen. Im gleichen Zeitraum ist die Anzahl der Beschäftigten der Stadtverwaltung zurückgegangen. Die Stadtverwaltung hat demnach erhebliche Effizienzpotenziale gehoben.

Zudem hat Wien in den Jahren vor der Krise seine Schulden zurückgefahren. Im Jahr 2001 betrug der Schuldenstand 3,6Prozent des Bruttoregionalproduktes (BRP) und ging bis 2008 kontinuierlich auf zwei Prozent des BRPs zurück. Dieser Rückgang war das Ergebnis sowohl eines wachsenden Regionalprodukts – merke: Aus Schulden kann man herauswachsen – als auch eines Abbaus des Schuldenstandes. Ab 2009 wurde auf die Krise mit antizyklischer Fiskalpolitik reagiert. In der Folge ist Wiens Schuldenstand bis 2012 auf – immer noch überschaubare – rund 5,5Prozent des BRPs gestiegen.

Doppelte Dividende nutzen

Die Krise ist noch nicht überwunden. Gleichzeitig wird Wien nach allen vorliegenden Prognosen weiter wachsen und zur Zwei-Millionen-Metropole werden. Besonders erfreulich: Auch die Zahl der unter 15-Jährigen wird erheblich (um 24 Prozent bis 2031) ansteigen.

Das aber bedeutet einen großen Bedarf etwa an Bildungsinfrastruktur. In einer solchen Konstellation muss eine Kommune wie Wien die doppelte Dividende ausschöpfen: Es sollten Investitionen in nachhaltige Maßnahmen getätigt werden, um einerseits die krisenhaften Entwicklungen abzufedern, andererseits den Infrastrukturbedarf einer wachsenden Stadt abzudecken.

Neuverschuldung und Werte

Hierbei besonders nachhaltige Investitionen wie die in Bildung und Forschung vom Stabilitätspakt auszunehmen – wie Renate Brauner das fordert – lässt sich gut begründen. Die Fremdmittelfinanzierung von Investitionen war etwa in der Bundesrepublik Deutschland über Jahrzehnte Verfassungsrecht. Dies nicht zuletzt deshalb, weil Vermögen ja erhalten bleibt, wenn der Neuverschuldung entsprechende Werte gegenüberstehen. Das gilt für Privathaushalte und Unternehmen übrigens auch.

Eine größere Anschaffung wird immer kreditfinanziert erfolgen, und die Eigenkapitalquote der Klein- und Mittelbetriebe lag 2012 bei 29Prozent – 71Prozent sind demnach Fremdkapital. Dieses wird genutzt, um Investitionen zu tätigen und in der Zukunft Erträge zu erzielen.

Zur Begründung staatlicher Schulden wird andererseits das „Pay as you use“-Prinzip herangezogen: Da etwa Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen auch den künftigen Steuerzahlern zugutekommen, können über Kredite Zahlungsverpflichtungen teilweise auf die Zukunft verschoben werden.

Hätte Wien beim Ausbruch der Krise auf diejenigen gehört, die ein sofortiges Nulldefizit anstreben – die Stadt wäre nicht so gut durch die Krise gekommen. All das nimmt Josef Urschitz leider nicht zur Kenntnis, wenn er in seinem Kommentar dem alten Dogma von weniger Staat folgt. Ein Gemeinwesen sollte sich aber an den ökonomischen Rahmenbedingungen orientieren – und nicht an Dogmen.

Klemens Himpele ist Diplomvolkswirt und leitet die Magistratsabteilung23 – Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2014)

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