Mutwillig falsche Deutung

Bosnien und Herzegowina als "failed state" zu beschreiben, wie Vesna Knezevic das tut, ist das Allerletzte, was das Land braucht.

Vesna Knezevic gibt sich in ihrem Gastkommentar in der „Presse“ (12. 2.) alle Mühe, die jüngsten sozialen Proteste in Bosnien und Herzegowina mutwillig falsch zu deuten. Die jüngsten Ereignisse sind in der Tat ein Weckruf – aber nicht für jene, die eine weitere Aufsplitterung des Landes befürworten.

Die jüngsten Proteste haben keine ethnischen Vorzeichen. Sie sind ein Aufschrei gegen soziales Elend und Verarmung, gegen Misswirtschaft und Korruption. Sie sind ein Akt der Rebellion gegen politische Eliten aller drei Volksgruppen, die seit fast zwei Jahrzehnten vorgeben, nationale Interessen zu schützen, dabei aber nur um eigene Privilegien und Interessen kämpfen und das Land wie Blutsauger leer saugen.

Ethnonationale Politiker unternehmen zuletzt alles, um die Proteste zu instrumentalisieren. Mit teils skurrilen Argumenten, wonach etwa in der Föderation Waffen für einen Kampf gegen die Republika Srpska (RS) gesammelt werden, will man die soziale Revolte ethnisieren und so diskreditieren. Dabei gehen Menschen in der RS ebenfalls auf die Straßen. Es gibt Solidaritätskundgebungen in Banja Luka, Prijedor, Bijeljina. Die bosnischen Serben leiden genauso wie Bosniaken und Kroaten unter ihren korrupten Eliten, die das Land systematisch heruntergewirtschaftet haben. Gerade diejenigen, die am lautesten von angeblichen Bedrohungen der einen Volksgruppe durch die andere schreien, sind heute steinreich. So gehört der starke Mann der RS, Milorad Dodik, zu den reichsten Männern Bosniens. Auch bei den Bosniaken und Kroaten gehören Politiker und ihre Cliquen zu den reichsten Gruppen der Gesellschaft.

Die große Angst der Elite

Nun haben sie alle Angst: Angst, dass sie ihre Privilegien verlieren könnten; Angst, dass Bosnien ein normales europäisches Land werden könnte, in dem Rechtsstaatlichkeit und Transparenz herrschen. Die Vision eines normalen europäischen Bosniens fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser. Deswegen werden sie in den nächsten Monaten bis zu den Wahlen umso lauter ethnonationale Parolen hinausschreien. Eine zynische Politik, die es zu bekämpfen gilt.

Aus nahezu jeder Zeile des Textes von Vesna Knezevic spricht eine tiefe Abneigung gegen diesen Staat. Man kann natürlich zu jedem staatlichen Wesen stehen, wie man mag. Wer aber das Scheitern Bosnien und Herzegowinas angesichts der positiven Energien der letzten Tage herbeiredet, malt den Teufel neuer Konflikte an die Wand und handelt fahrlässig.

Was Bosnien derzeit nicht brauchen kann, ist das ethnonationale Herumspielen mit dem Feuer, das Gerede vom „failed state“. Das Land braucht neue Ideen zur Bekämpfung von Korruption und Misswirtschaft sowie eine effizientere und rationalere Verwaltung. Es braucht auch eine neue, offensivere Strategie der EU, die aufgrund ihrer Passivität in den letzten Jahren eine Mitschuld an der Misere im Land trägt. Und es braucht Unterstützung aus Serbien und Kroatien für die Reformprozesse.

Bosniaken, Serben, Kroaten und all die anderen Bürger Bosnien haben politische Manipulationen satt. Sie kämpfen um ein normales Land. Eine demokratische Revolte ist im Gang und das ist ein guter Weg in die Zukunft.

Vedran Dzihic (* 1976) ist Senior Fellow am Österreichischen Institut für Internationale Politik und Lehrbeauftragter an der Uni Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2014)

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