Nonnen, "ein Zimmer für dich allein" und die Folgen

In der schönen Provinz Österreich erreichen uns Debatten nur zeitverzögert; Deswegen wird hierzulande noch über Quoten diskutiert, während international die Frauenfrage längst im Turbokapitalismus angekommen ist.

Es gab eine Zeit, das war die post-feministische Phase der späten 1970er Jahre, da konnte das Wort Emanzipation keiner mehr hören. Heute sind wir in einer neuen Ära, das Wort Emanzipation kommt gar nicht mehr vor. Die Frauenbewegung ist weder zu radikal noch zu gemäßigt, sie ist einfach inexistent. Oder fast. Aber langsam. Es hat doch alles so vielversprechend angefangen.

Uns alle hat die Bewegung mitgerissen mit einer Flut von Literatur. Frauen begannen zu schreiben, öffentlich zu diskutieren und Forderungen zu stellen. War aber letztlich alles nur im Kopf? Wie weit haben die schreibenden und laut artikulierenden Frauen nicht nur unsere Gedanken, sondern auch unsere Taten mobilisiert?

Eine Klassikerin, Virginia Wolf, mit ihrem Bestseller „Ein Zimmer für Dich allein“ hat Frauen dazu gebracht, ihr Umfeld kritisch zu betrachten. Waren Küche und Herd tatsächlich ihr primärer Aktionsradius? Ihre Botschaft war ganz klar: Frauen, die etwas erreichen wollen, die nach Kreativität und Selbstäußerung streben, brauchen Raum, Zeit und finanzielle Unabhängigkeit. Das waren sehr diffizile Forderungen und am Beginn der Frauenbewegung waren alle damit beschäftigt, sich vorerst mit den Gewaltverhältnissen in unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen. Es ging nicht um subtile Äußerungen, sondern ganz massiv um die Thematisierung von Gewalt, in der Ehe, um Vergewaltigung – ein Terrain, von der Öffentlichkeit noch nicht als Problem realisiert, in den Familien tabuisiert und von der Gesetzgebung unangetastet.


Vorbild Nonnenkloster. Unsere mittelalterlichen Schwestern hatten uns da etwas voraus. In den Nonnenklöstern haben sie sich den Raum und die Zeit genommen, um sich der Wissenschaft und Kunst zu widmen. Hildegard von Bingen hat es im 12. Jahrhundert geschafft, zu einer der hervorragendsten Repräsentantinnen der Kirchenwelt zu werden. Sie hat sich über den Widerstand der Benediktinermönche hinweg gesetzt und den Bau des Frauenklosters Mitte des 12. Jahrhunderts forciert.

Bevor ihre feministischen Schwestern ein halbes Jahrhundert später den weiblichen Körper entdeckten und Menstruationsbeschwerden, Empfängnisverhütung und Klimakterium als Normalität der weiblichen Konstitution propagierten und gegen den etablierten medizinischen Betrieb antraten, der deviante Interpretationsformen nahelegte, hat sich diese Nonne damit auseinandergesetzt. Der Papst sandte ihr seinen Segen und bat sie, alles niederzuschreiben, alles: ihre Visionen und ihre Erkenntnisse.

Der Umgang mit feministischen Kritikerinnen und Analytikerinnen später war weniger sachlich.

Heute beobachten wir Revolutionen und Aufstände quer durch den Nahen Osten bis Venezuela und in die Ukraine. Der Mut der Frauen in diesen extrem patriarchalen Gesellschaften wie zum Beispiele auch im Jemen, wo sie es wagten, sogar nächtelang mit ihren männlichen Mitkämpfern auf den neu propagierten Freiheitsplätzen zu campieren, hat der jungen Jemenitin Tawakkul Karman 2011 sogar den Friedensnobelpreis eingebracht.

Eines hat die weiblichen Revolutionäre aber von ihren männlichen Partnern unterschieden: Beide Gruppen waren den Schlagstöcken der Polizei und dem Tränengas der Sicherheitskräfte ausgesetzt, aber die Frauen wurden zusätzlich belästigt, vergewaltigt. Und die männlichen Massen schienen nicht in der Lage, sie zu beschützen.

In Wien kam es 1848 als Reaktion auf die Senkung der Löhne für 8000 Erdarbeiterinnen zur ersten Frauendemonstration quer durch die Innenstadt. Als einige Tage später die Frauen wieder auf die Straße gingen, diesmal quer durch den Prater zogen, rückte die kaiserliche Nationalgarde aus und griff zu den Waffen. Es mussten 18 Menschen sterben und 282 wurden verwundet, darunter viele Frauen.

Karoline von Perin, eine Pionierin der bürgerlichen Frauenbewegung und Gründerin des Wiener demokratischen Frauenvereins, warnte die Frauen, sich in die karitative Sackgasse lenken zu lassen und forderte immer noch vorsichtig genug die soziale und bildungsmäßige Gleichberechtigung von Frauen.

Das Medienecho war niederschmetternd. Es war von Versammlungen von Freudenmädchen die Rede, die ohnehin keiner heiraten wollte. Sie hat einen hohen persönlichen Preis bezahlt: Sie musste ins Gefängnis, verlor das Sorgerecht für ihre Kinder und ihren gesamten Besitz.

Die neue Frauenbewegung im Anschluss an die 68er Bewegung hatte sich viel vorgenommen: Die Frauen wollten alles. Vor allem Gerechtigkeit, Teilhabe an der Macht, aber auch die Reflexion und Diskussion der Machtstrukturen. Das schwache Geschlecht war stark im Kommen, bis in die entferntesten Winkel der Sexualität, wo auch hier Lust-Gerechtigkeit öffentlich thematisiert und privat eingeführt wurde.

Die sozialistische Frauenbewegung hat sich für die Reduzierung der Arbeitszeit, der Vergesellschaftung der Hausarbeit und auch für die Organisation des Mutterschutzes eingesetzt. Vor allem die ersten beiden Forderungen sind bis heute noch nicht umfassend eingelöst, im Gegenteil: Frauen arbeiten, vielleicht überspitzt gesagt, heute bereitwillig an ihrer eigenen Versklavung, getrieben von ökonomischer Notwendigkeit, Ambition, Karrierestreben und Perfektion. Oft ohne entsprechende Infrastruktur und tatkräftige (männliche) Hände, die mit anpacken.

Die Frauenhausbewegung ist eine Erfolgsgeschichte, sie ist angetreten, das Gewaltverhältnis in der Geschlechterbeziehung aufzudecken und zu reparieren. Es entstanden Frauenhäuser quer durch Europa, Mahnmale gegen männliche Gewalt. Da ja davon ausgegangen wurde, dass die Ehe vorranging eine Liebesgemeinschaft ist, wurden Gewalttätigkeiten als Entgleisungen Einzelner definiert. Aber mit einem Schlag wurden die ungleichen Normen und die sexistische Organisation von Gesellschaft und Familie transparent gemacht. Die Resonanz, die die Thematisierung von Gewalt hervorrief, ging oft in dieselbe Richtung: Wo bleibt denn der Privatbereich?

Das Thema Gewalt ist ein Dauerbrenner der globalen Frauendiskussion. Gewaltverbrechen gegen Frauen beschäftigen mittlerweile internationale Gerichtshöfe, NGOs und Regierungsorganisationen rund um die Welt. Die Frauen an der Basis mobilisieren, um das Schweigen, das strukturelle Ungleichheit und Gewalt immer begleitet, zu durchbrechen.


Unangenehme Erfolgsgeschichte.
Eine Frau, die an ihre Mission glaubt und mit ebenso entschlossenen und ambitionierten Frauen aufrüttelt, ist Sheryl Sandberg, CEO von Facebook. Sie hat alle Glasdecken durchbrochen und mit ihrem Buch „Lean in“ eine Bewegung initiiert, deren Losung ungefähr so lautet: Häng dich rein, dann schaffst Du alles. Zweifel an der Machbarkeit sollten Frauen erst aufkommen lassen, wenn sie mit einer schwierigen Situation konfrontiert sind: dem Kinderwunsch und Work Life Balance. Auf dem rasanten Weg nach oben stellen sich diese Fragen (und Fallen) unweigerlich.

Im Eilzugstempo hat sie Havard, McKinsey und die Weltbank durcheilt und danach den „Richtigen“ geheiratet, der bereit war, Kind und Haushalt zu übernehmen.

Von prominenter Seite bekommt sie in einem „Washington Post“-Kommentar vehementen Widerspruch unter dem Titel „Why I hate Sheryl Sandberg“ von Rosa Brooks. Ihre Botschaft: „Don't lean in, lean back“ wollte sie nicht als persönlichen Angriff verstanden wissen, sondern als strategisches Resume hinsichtlich des Leistungsdrucks auf Frauen – auf allen Ebenen. Als Professorin an der Georgetown-Uni und Beraterin am Pentagon ist sie eine Titanin des weiblichen Erfolgs, aber ihre innere Ambivalenz konnte sie auf Dauer nicht unterdrücken: Wo waren ihre Freundinnen geblieben, wann hatte sie zuletzt die Muße für einen Roman, und warum tagträumte sie in Sekundenbruchteilen von einem Kunsthandwerkladen in Santa Fe.

Aber würden ihr Mann und ihr Kind ihr überhaupt noch folgen? Und dann ist da auch Ann Marie Slaughters Essay „Why women can't still have it all“, den Millionen Frauen in aller Welt heftig online diskutiert haben.

Sie hat als erste weibliche Foreign-Policy-Beraterin direkt für Hillary Clinton gearbeitet, aber als ihr pubertierender Sohn zunehmend Aufmerksamkeit und Supervision brauchte, entschloss sie sich, auf ihren flexibleren Universitätsposten zurückzukehren. Diese vielbeachteten Debatten finden in den USA in hochangesehenen politischen Fachpublikationen wie im Foreign Policy Magazine statt.

Bei uns wird hierzulande ein bisserl über Quoten gestritten, ob es Frauen „einfach so“ verdienen würden, in höhere Sphären aufzurücken, umzingelt von einer Armarda von hochqualifizierten, begabten und fleißigen Männern. Die internationale Frauenbewegung – oder besser Frauendebatte – ist im Turbokapitalismus angekommen, aber Widerstand regt sich – und wer weiß, was draus wird. In der schönen Provinz Österreich erreichen uns diese Botschaften ja nur mit Zeitverzögerung, läuft ja alles auf Englisch, da draußen in der weiten Welt. Und die Verlage übersetzen klassische Frauenthemen nur mehr bei Bestsellerverdacht.

Tu felix Austria nube – stimmt auch nicht mehr, denn immer mehr Frauen leben von vornherein oder irgendwann allein. Es gibt sie aber doch, die Bewegung der Frauen, und sie haben einiges gemeinsam: die Entschlossenheit sich einzusetzen, für das Fortkommen ihrer Familien, ihrer Kinder, der Gemeinschaft, in der sie leben – und immer öfter auch für sich selbst.

zur Autorin

Edit Schlaffer ist Sozialwissenschaftlerin, Autorin und Aktivistin; 2002 hat sie die NGO „Frauen ohne Grenzen“ gegründet. Zu ihren Publikationen zählen „Die Physik der Liebe. Warum selbstbewusste Frauen die besseren Beziehungen haben“ (Kösel) und „Supermacht Mann - oder das Ende der Vernunft“.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2014)

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