Krim-Krise: Der Kalte Krieg ist zurückgekehrt

Das System Putin sieht die innenpolitischen Veränderungen in Ostmitteleuropa als Bedrohung der eigenen Macht.

Wie nach der russischen Intervention in Georgien im August 2008, ist nach der Entsendung russischer Truppen auf die Krim wieder von der Gefahr eines Wiederaufflammens des Kalten Krieges die Rede. In der Tat erinnert einiges an die Krisen und Konflikte dieser Ära. Dazu gehört Moskaus grobe Verletzung des Völkerrechts und einer Reihe von Verträgen, in denen es die Souveränität und territoriale Integrität von Nachbarländern anerkennt, aber seine Truppen auf ihr Staatsgebiet schickt, um das Land ganz oder einen Teil davon zu annektieren.

An Musterbeispielen aus der sowjetischen Vergangenheit herrscht kein Mangel. Dazu gehören Stalins Einverleibung Ostpolens 1939 nach einem „Plebiszit“ der dort ansässigen Bevölkerung sowie die Annexion Estlands, Lettlands und Litauens 1940 nach der militärischen Besetzung dieser Länder durch die Rote Armee und der Schaffung von „Parlamenten“, die willfährig für die Eingliederung in den Staatsverband der UdSSR stimmten. Der Intervention Chruschtschows in Ungarn 1956 lag ein nach dem Einmarsch rückdatiertes Ersuchen eines moskautreuen Politikers zugrunde, der um Hilfe gegen den Umsturz „faschistischer, reaktionärer“ Kräfte bat.

Keine militärische Bedrohung

Ähnliche Hilfeersuchen produzierte die Sowjetführung unter Breschnjew 1968 in der Tschechoslowakei und 1989 in Afghanistan – und jetzt die russische Regierung in der Krim-Krise. So wedelte der russische UNO-Botschafter Vitalij Tschurkin vor einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates mit der Fotokopie eines angeblichen Schreibens des ukrainischen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch, in dem er um den Einsatz russischer Streitkräfte bittet.

In ausnahmslos allen Interventionen während des Kalten Krieges lag keine militärische Bedrohung der Sowjetunion vor. Auslöser der Eingriffe waren innenpolitische und gesellschaftliche Veränderungen im betroffenen Land. Um sein Vorgehen innenpolitisch und international zu legitimieren, behauptete Moskau allerdings regelmäßig, ausländische Mächte, allen voran die USA, hätten ihre Hand im Spiel. Der amerikanischen CIA und den Geheimdiensten anderer Nato-Staaten wurde unterstellt, „reaktionäre, antisozialistische Kräfte“ zu unterstützen, um einen Umsturz herbeizuführen.

Ein für das Verständnis auch der gegenwärtigen Krise wichtiges Phänomen ist allerdings die Verbindung zwischen innenpolitischem und gesellschaftlichem Wandel in Nachbarstaaten und den sicherheitspolitischen Vorstellungen des Kreml. Macht im Sowjetsystem und im Sowjetimperium gründete sich ja auf die marxistisch-leninistische Ideologie.

Jede ideologische Abweichung im Inneren oder im sowjetischen Machtbereich stellte infolgedessen die Legitimationsbasis der Partei- und Staatsführung infrage. Dies erklärt auch, warum „linke“, sozialdemokratische Bemühungen um Einflussnahme als größere Herausforderungen aufgefasst wurden, als „rechte“, konservative Anstrengungen.

Mit Glasnost, Perestroika und dem Neuen Politischen Denken in der Außenpolitik unter Gorbatschow schien diese Verbindung endgültig aufgelöst worden zu sein. Mit dem Zugeständnis der Freiheit der Wahl sah es auch so aus, als gehöre militärischer Interventionismus der Vergangenheit an. Dies hat sich jedoch als eine Illusion herausgestellt.

Die Herausbildung des Systems Putin lieferte dafür die Grundlage. Entsprechende Warnzeichen hatte der Kreml-Chef mit der Behauptung gesetzt: „Die Sowjetunion – das ist Russland, nur unter einem anderen Namen.“ Sie finden sich auch in Putins Feststellungen, der Zusammenbruch der Sowjetunion sei „eine nationale Tragödie riesigen Ausmaßes“ und „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“.

Putins Bedrohungstrauma

Im Kern sind in solcher Perzeption der Wunsch und das Bemühen angelegt, Russlands Kontrolle und Einfluss auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion wiederherzustellen. Zum „System Putin“ in der Innen- und Außenpolitik gehört auch die Rückkehr der Vorstellung, innenpolitische und gesellschaftliche Veränderungen in Ostmitteleuropa seien eine Bedrohung der eigenen Machtbasis.

Folgerichtig werden autonome Emanzipationsbestrebungen in dieser Region als Teil einer gegen Russland gerichteten internationalen Verschwörung betrachtet. Dieser Sicht verlieh Putin schon in seiner Fernsehansprache nach dem Terrorangriff in Beslan im September 2004 mit einer Unterstellung quasi offiziellen Charakter, als er von dem Bemühen ungenannter Kräfte oder Mächte sprach, die ein „saftiges Stück Fleisch“ aus Russland herausreißen möchten und für die das Land „immer noch eine Bedrohung darstellt, die es zu beseitigen gelte“. Nichts kann dabei den Zusammenhang zwischen politischem und gesellschaftlichem Wandel in Ostmitteleuropa und Bedrohungsvorstellungen im Kreml besser erhellen, als Putins Interpretation der sogenannten „Farbrevolutionen“.

Die „europäische Option“

Diese wurden und werden nicht als eine Folge des Zusammenwirkens der Attraktivität des europäischen Modells freiheitlich-demokratischer Grundordnung und wirtschaftlicher Prosperität sowie autonomer und spontaner gesellschaftlicher Bewegungen in dieser Region betrachtet, sondern als von außen gesteuerte Destabilisierung. Ihr Ziel sei, Russland selbst zu schwächen und seinen Einfluss in dieser Region zu beseitigen.

Diesen Vorstellungen folgt die jetzige Politik des Kreml gegenüber der Ukraine. Die „europäische Option“ – also ein System anzustreben, das auf demokratischen und rechtstaatlichen Prinzipien beruht, in dem freie Marktwirtschaft mit fairem Wettbewerb herrscht und eine aktive Zivilgesellschaft ihren Platz findet – wird von der russischen Machtelite nicht als positive Herausforderung, sondern als Bedrohung betrachtet.

Also hat Putin der europäischen Orientierung politischer und gesellschaftlicher Kräfte in Ostmitteleuropa und den Bestrebungen der dortigen Regierungen, Assoziierungsabkommen mit der EU abzuschließen, sein Projekt der Eurasischen Union entgegengesetzt.

Strafaktion gegen die Ukraine

Dem Druck auf die Adressaten der Östlichen Partnerschaft der EU, sich der Russland, Weißrussland und Kasachstan umfassenden Zollunion anzuschließen, hat sich Armenien im September 2013 gebeugt. Am 21. November schien sich Moskau auch gegenüber Kiew durchgesetzt zu haben, als die Regierung die Vorbereitungen für die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens „zum Nutzen der nationalen Sicherheit“ aussetzte.

Die Massendemonstrationen gegen Janukowitschs Kniefall sowie in der Folge gegen seine autoritäre und korrupte Herrschaft haben das Kalkül des Kreml zunichtegemacht. Die Regierung in Kiew ist wieder auf proeuropäischem Kurs. Bestraft wird sie dafür mit dem Verlust der Krim. Damit nicht genug: Um die Ukraine vom Westkurs abzuhalten, deuten die Zeichen der Zeit schon auf russische Unterstützung für separatistische Bestrebungen in der Ostukraine hin.

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DER AUTOR



Professor Hannes Adomeit
(* 1942 in Memel), langjähriger Mitarbeiter und Leiter des Russland-Referats an der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin und bis 2013 Professor für Osteuropastudien am College of Europe in Warschau. Als sein nächstes Buch angekündigt wird: „Die Außenpolitik Russlands“. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2014)

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