Die Weltwirtschaft heute – ein einziges Tollhaus

Es sind die Zentralbanken, die es vereiteln, dass die Politik endlich die unausweichlichen, grundlegenden Reformen angeht.

Endlich: Die jüngsten Wirtschaftsprognosen für die westlichen Industriestaaten wie insbesondere auch für die Eurozone wurden nach oben revidiert, die überwiegende Mehrzahl der Wirtschaftsforscher ist deutlich optimistischer. Irland hat Ende 2013 den Euro-Rettungsschirm verlassen, Portugal verzeichnete im letzten Quartal 2013 den stärksten Aufschwung der Euroländer überhaupt. Sogar griechische Banken spielen mit dem Gedanken, sich wieder direkt auf dem Kapitalmarkt Geld zu besorgen.

In den USA wächst die Wirtschaft wieder markant und auch in Großbritannien entwickelt sich eine ansehnliche Dynamik. Alles in allem also durchaus vielversprechende Aussichten! Ist die Krise, sind die Krisen also endlich vorbei?

Wie schön wäre es! Doch der Schein trügt. Zwar hat sich das ökonomische Umfeld – abgesehen von der skandalösen Höhe der (Jugend-)Arbeitslosigkeit in vielen Ländern – in der Tat deutlich aufgehellt, doch von der Überwindung der Krisen und damit von fundierten Wachstumsaussichten sind wir weit entfernt.

Toxische Nebenwirkungen

Denn einerseits bestehen die zentralen Krisenursachen überwiegend fort. Andererseits offenbaren die wirtschaftspolitischen, in erster Linie die geldpolitischen Ablenkungsmanöver und Beruhigungspillen mehr und mehr ihre Wirkungslosigkeit, während ihre toxischen Nebenwirkungen immer deutlicher zutage treten.

Das sich derzeit bietende weltweite ökonomische Bild zeigt ein einziges Tollhaus (Österreich fügt sich da nur zu gut ins größere Bild!). In Japan, das seit dem Platzen der dortigen Vermögenspreisblasen vor mehr als 20 Jahren eindrucksvoll bewiesen hat, dass man mit billigem Geld außer schwerwiegenden weltweiten Verwerfungen (Yen Carry Trade!) nichts ausrichtet, versucht man gerade geldpolitisch durchzustarten. Unter der Regierung Abe ist ein Geldmengenausweitungs- beziehungsweise Inflationierungsprogramm der Sonderklasse angelaufen, während die geplanten strukturellen Reformen, die allein Japan aus seiner Malaise führen können, bereits ad acta gelegt wurden.

Der US-Zentralbank, die seit nunmehr 100 Jahren den Beweis geliefert hat, die Kaufkraft des US-Dollars einebnen zu können, also geldpolitisch versagt hat, dafür aber für zwei der größten Finanzcrashes (1929 ff. und 2008 ff.) wesentlich verantwortlich ist, gelingt es tatsächlich, der Öffentlichkeit einzureden, dass die Geldpolitik auf einen restriktiven Kurs einschwenkt: Sie hat ihre Bilanzsumme seit dem Ausbruch der Krise vervierfacht, kauft aber jetzt nur mehr um 65 Milliarden statt um 85 Mrd. Dollar pro Monat US-Anleihen.

Die angeschlagene Bank of England versucht es mit dem Zauberbegriff „forward guidance“ – ein peinlicher Pleonasmus, der mehr Ahnungs- und Hilflosigkeit als Kompetenz signalisiert.

Und dann ist da noch die Europäische Zentralbank (EZB), die heuer 15 Jahre Euro feiert. Wobei kaum jemandem so richtig zum Feiern zumute ist. Außer vielleicht den europäischen Zentralbankern selbst, zumal man sich auch dort durch intensives Feuerlöschen äußerst erfolgreich darüber hinweggeschwindelt hat, dass man selbst Brandstifter war und für die dramatische Krise des Euro durch eine grundfalsche Geldpolitik selbst verantwortlich zeichnet.

Denn der aus drei zentralen Elementen – viel zu hohen Schulden, außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten und viel zu großen und höchst instabilen Banken – bestehende Ursachencocktail der Eurokrise (wie der ökonomischen Probleme in vielen anderen Ländern der Welt ebenso) lässt sich auf fehlgeleitete Geldpolitik und damit auf ein zentrales Versagen der Geldpolitiker zurückführen.

Verzögerte Pleiten

Niemals hätten sie in den Jahrzehnten vor der Krise ein derartiges Kreditwachstum durch ihre viel zu expansive Geldpolitik befeuern dürfen! Stattdessen hätten sie ihre Aufsichtsfunktionen im Finanzsektor, der sich unter den Augen der Zentralbanken abenteuerlichen Exzessen hingegeben hat, ernsthaft wahrnehmen sollen.

Die – je nach Ökonomie – viel zu hohen öffentlichen wie privaten Schulden, die angesichts des Wirtschaftseinbruchs von 2009 weiter explodiert sind, sind heute nur durch die geldpolitische Scheinremedur extrem geringer Zinsen tragbar. Sobald indes wieder „normale Zinsen“ herrschten, sind zahllose Schuldner – öffentliche wie private – pleite.

Diese Pleiten werden seit Jahren verzögert und damit wird – siehe unser hausgemachtes Hypo-Alpe-Adria-Schlamassel – die ökonomische Malaise potenziert. Das Resultat des historisch einzigartigen geldpolitischen Experiments ultraniedriger Zinsen und explodierender Zentralbankbilanzen: wachsende Unsicherheit, Paralyse, anämisches, jedenfalls viel zu geringes Wachstum gerade angesichts der verabreichten Stimulanzien!

Spiegelbild hoher Schulden

Auch Außenhandelsungleichgewichte, eine „Ursache“ der Krise, mussten beziehungsweise müssen ja finanziert werden. „Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit“ in vielen Ländern kann an sich nicht die Ursache der Krise sein. Mangelt es nämlich an Wettbewerbsfähigkeit und damit an Einkommen, so hat man in aller Regel Probleme, seine Ausgaben zu finanzieren und muss sie daher einschränken. Tut man das jedoch nicht, so muss man Schulden aufnehmen – dazu aber erst einmal einen (dummen?) Gläubiger finden.

Diese Rolle haben zahlreiche Banken übernommen – allerdings nicht, weil Banker dumm sind, sondern schlau! Sie wissen, dass sie sich auf das (Schein-)Argument, beim Umfallen bzw. Pleitegehen jedenfalls systemrelevant zu sein, verlassen können. So entstand ein viel zu großer und nach wie vor äußerst anfälliger Bankensektor, das logische Spiegelbild der viel zu hohen Schulden.

Die Banken selbst werden nach wie vor durch implizite (in Österreich: explizite) Staatsgarantien einerseits und extreme – in der Geschichte nie da gewesene – Liquiditätsflutungen und Niedrigzinsen durch die Zentralbanken andererseits am Leben gehalten. Drohen dennoch uneinbringliche Forderungen, so darf der Steuerzahler zu Hilfe eilen und die Suppe, die im Grunde die falsche Geldpolitik eingebrockt hat, auslöffeln.

Extreme Krisenpolitiken

Und diese Suppe wird nach wie vor fleißig ausgeschenkt. Denn die extremen Krisenpolitiken der Zentralbanken wie nicht zuletzt das Signal der EZB, alles tun zu wollen, um „den Euro“ zu retten, nehmen genau jenen Druck von der Politik, ohne den sie nicht zu unpopulären, aber den einzig wirksamen Mitteln greifen wird.

Damit vereiteln die Zentralbanken genau das, was sie bei jeder Gelegenheit von der Politik einfordern: Nämlich, die letztlich unausweichlichen, jedoch seit Jahrzehnten verschleppten grundlegenden Reformen anzugehen bzw. durchzuführen. Und weil diese strukturellen Maßnahmen nicht gesetzt werden, fehlt das Wachstum – ein sich selbst tragendes und damit starkes Wachstum, ohne geld- und fiskalpolitisches Doping.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Ferry Stocker
(*1961 in Lienz) studierte Handelswissenschaften und Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er ist Fachbereichsleiter für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Wiener Neustadt.

Sein jüngstes Buch: „Zahltag. Finanz- und Wirtschaftskrise und ökonomische Prinzipien“. [privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2014)

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