Woran das Burgtheater wirklich krankt

Der Name, der mit dem steten Abstieg der Burg in Verbindung zu bringen ist, lautet nicht Matthias Hartmann, sondern Klaus Bachler. Schon unter seiner Intendanz hat die Burg ihr Alleinstellungsmerkmal verloren.

Matthias Hartmann hat die Auswirkungen der auf ihn bezogenen üblen Nachrede auf seine Kinder beklagt. Also erspare ich mir, verbürgte Aussprüche zu zitieren, die Auskunft darüber geben, mit welcher Verachtung Hartmann zum Beispiel über Autoren spricht – die Kinder sollen schließlich nicht ständig Unangenehmes über ihren Vater zu lesen bekommen.

Ich schicke das deshalb voraus, damit nicht der Eindruck entsteht, ich würde etwas Gutes am fristlos entlassenen Intendanten finden oder mich gar dazu genötigt fühlen, ihn zu verteidigen.

Dennoch ist es im Sinne einer sachlichen Analyse des Burgtheater-Dilemmas wichtig festzustellen, dass die Art und Weise, wie die Fehlentwicklungen an der Burg Hartmann persönlich und ursächlich angelastet werden, lächerlich und schlicht unwahr ist. Der Name, der zuerst mit dem langsamen, aber steten Abstieg des Burgtheaters in Verbindung zu bringen ist, lautet nicht Matthias Hartmann, sondern Klaus Bachler.

Relevanz und Brisanz

Die Ära Claus Peymann ist geprägt von einer beispiellosen gesellschaftlichen Relevanz und Brisanz des Burgtheaters. Peymann schafft das, indem er den Medien ein Spektakel bietet, sich verbal und programmatisch in Szene setzt, dass es einer politischen Intervention gleichkommt.

Gleichzeitig arbeitet er mit Hermann Beil akribisch am Alleinstellungsmerkmal der Burg – der Tatsache, dass es gewisse Inszenierungen und eine enge Zusammenarbeit mit für die Gegenwart prägenden Autoren in Kombination mit einem brillant aufgestellten Ensemble so nur an der Burg zu sehen gibt. Wer wissen will, was in der Gegenwart Sache ist, muss gefälligst anreisen, sich die Stücke ansehen und in den endlosen Diskussionen um die Burg Stellung beziehen.

Die Ära Bachler hat der gesellschaftlichen Relevanz und dem Alleinstellungsmerkmal des Burgtheaters unaufgeregt den Garaus gemacht. Böse Zungen behaupten, das sei schließlich das, wofür Bachler von der Politik geholt wurde. Das ist eine Unterstellung, der es gar nicht bedarf. Bachler ist der netzwerkintensive, unsentimentale Kulturmanager neuen Typs.

Für Bachler war das Burgtheater von Anfang an nur eine Station auf dem Weg zu seiner nächsten Station. Im Gegensatz zu Claus Peymann hat er die Burg nicht gestaltet, sondern nur verwaltet – ein smarter Makler, der Luxusimmobilien exquisit mit lebendem Inventar auszustatten und zu bespielen weiß. Wie der Burg-Herr, so das Burg-Gscherr.

Die Burg wurde zu einem Durchhaus, zu dem die ausgewählten Vertreter des Regietheaters von ihrer letzten Arbeit am Hamburger Thalia Theater anreisten, um zu ihrem nächsten Projekt ans Deutsche Theater Berlin abzureisen. Dieses Theaternomadentum im Zeichen üppiger Regiehonorare hat die Burg endgültig zu einem Theater unter vielen gemacht.

Nicht Fisch, nicht Fleisch

Es kam einem Glückstreffer gleich, ob die Regisseure auf ihrer Theatertour bei ihrem Halt an der Burg mehr, oder aber weniger gut drauf waren. Ungeachtet einiger Glanzlichter wie Martin Kušejs „Weibsteufel“ fiel das Ergebnis einfach zu oft bescheiden aus, was im gegenwärtigen Stadttheatersystem jedoch keine Rolle spielt, da das von Steuergeld finanzierte Honorar so oder so ausbezahlt wird, gleichgültig, ob man eine relevante Leistung erbracht hat oder nicht.

Die (überwiegend männlichen) Vertreter dieses Systems gehorchen der Logik des Theater- Schwanzvergleichs: viele Inszenierungen, viel Geld, hoher Status. Getarnt wird das zumeist mit dem üblichen Theaterkitsch: Der Mann brenne eben für das Theater, er sei überhaupt nur im Theater und auf der Probe zu Hause, er könne auf all den Wohlstand mit einem Lächeln verzichten. Schluchz, seufz!

Am Ende der Ära Bachler war die Burg nicht Fisch, nicht Fleisch. Es hätte als Nachfolger eines Direktors oder einer Direktorin bedurft, der oder die sich zum Ziel hätte nehmen müssen, das Theater wieder gemäß seines Potenzials aufzustellen und verloren gegangenes Terrain – etwa an die Münchner Kammerspiele – zurückzuerobern.

Stattdessen hat man mit der Wahl von Matthias Hartmann den Bock zum Gärtner gemacht, der in seiner Selbstbesoffenheit und der damit einhergehenden Selbstbereicherung dem Burgtheater trotz gesteigerter Auslastung erst recht nicht gedient hat.

Luxusverwahrlosung

Dass das Burgtheater in einer finanziellen, ästhetischen und gesellschaftlichen Luxusverwahrlosung vor sich hin dümpelt, ist nicht allein Bachler oder Hartmann, sondern in Wahrheit allen anzulasten, die in Wien direkt mit dem Theater zu tun haben.

Der Intendanz, der es zuallererst um die Befriedigung der eigenen Eitelkeit (und der eigenen Brieftasche) geht, den Schauspielern, die zum Teil viel zu wenig unter der künstlerischen Unterforderung der letzten Jahre gelitten und sich damit begnügt haben, sich an der Rampe in der Gunst des Wiener Publikums zu suhlen, dem Publikum wiederum, das einerseits euphorisch und treu, andererseits unendlich träge ist und jeder Neuerung, jeder Irritation des Gewohnten feindlich gegenübersteht, dem behäbigen Theaterbetrieb, der, statt flachere Hierarchien wie in international erfolgreichen Kreativunternehmen zu schaffen, althergebrachte, steile Hierarchien konserviert – erst recht im hofstaatlich geprägten Wien, wo jede Form von Kulturbetriebssport sich zuallererst in Kunstfiguren wie der doppelten Schleimrolle und dem eingesprungenen Bückling ergeht.

Anzulasten ist es schließlich auch der Politik, die in Bezug auf das Theater zumeist das tut, was ihr am liebsten ist – nämlich nichts.

Die Burg als Selbstläufer

Die Burg gilt als ein Selbstläufer wie der Opernball. Sich Gedanken um ein nachhaltiges Konzept zu machen, erscheint unnötig und ist außerdem mit einem gewissen Aufwand an Arbeit und Innovation verbunden, der nicht wirklich ein Markenzeichen österreichischer Kulturpolitik ist.

So viele haben das Burgtheater zur Mehrung des eigenen Glanzes im Mund geführt, geradezu zur nationalen Angelegenheit erklärt. In Wahrheit aber haben sie mehr von ihm genommen, als sie ihm gegeben haben.

Wer immer auf die gegenwärtige Interimsdirektion folgt: Er oder sie sollte mit aller Macht daran arbeiten, das Profil der Marke „Burgtheater“ wieder zu schärfen, es behutsam, aber konsequent an die einstige Spitze heranzuführen – eine aktionistische Sparpolitik ist dabei übrigens von wenig Nutzen.

Die Burg hat auf dem Sektor Kultur das Zeug zu einer österreichischen Weltmarke, die man allerdings genauso konsequent gestalten muss wie Swarovski oder Red Bull. Auf dem Weg dahin muss klar sein: Nicht irgendwelche Regisseure oder Schauspieler, sondern das Burgtheater ist der Star. Es wird noch in Tokio oder New York im Mund geführt werden, wenn all die Namen, die heute im Umlauf sind, längst verblasst sind.

DER AUTOR

E-Mails an: debatte@diepresse.com



Peter Truschner
(*1967 in Klagenfurt) studierte Philosophie, Politik- und Kommunikationswissenschaft in Salzburg und Wien. Seit 1999 lebt er als freier Schriftsteller und Fotograf in Berlin. Sein letzter Roman: „Das fünfunddreißigste Jahr“ (Zsolnay Verlag). 2014 gastierte seine Bearbeitung von „Der Mann ohne Eigenschaften“ im Wiener Musikverein. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2014)

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