Der diskrete Charme der Universitäts-Ranglisten

Die internationalen Uni-Rankings bilden die komplexe Realität des heutigen universitären Wirkens nur sehr unzureichend ab.

Und wieder hat es ein Uni-Ranking gegeben. Diesmal war es das „Times Higher Education (THE) World Ranking“, das die universitäre Weltordnung bestätigte. Es kommt zu dem für Kontinentaleuropa nicht sehr erfreulichen Ergebnis, dass die nach dessen Kriterien besten Universitäten im angelsächsischen Raum beheimatet sind: Unter den ersten zehn Universitäten befinden sich sieben in den USA, drei im Vereinigten Königreich.

Die beste Uni in Österreich ist die Universität Wien an der 170. Stelle. Die Universität Innsbruck, die TU Wien, Med-Uni Wien sind unter den besten 300, Graz und Linz unter den besten 400.

Was die Schweizer Universitäten anbetrifft, liegen die ETH Zürich an prominenter 16. und Lausanne an 49.Stelle. Als beste deutsche Uni befindet sich die Münchner Ludwig-Maximilian-Universität an 55.Stelle. Das entspricht im Wesentlichen auch dem bekannten Shanghai- sowie dem QS-Ranking (QS steht für die Firma Quacquarelli Symonds, die bereits seit 2004 eine weltweite Universitäts-Rangliste zusammenstellt).

Stark gestiegene Erwartungen

Wie aussagekräftig aber sind solche Rankings wirklich? Sind sie imstande, die Erfüllung der Ansprüche an das Universitätssystem zu erfassen? Diese sind in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen und vielfältig geworden: Die Zahl der Studierenden nahm mit dem Bologna-Prozess zu, Massenuniversitäten müssen sich auf Massenausbildung einstellen.

Mit einer wissensbasierten Gesellschaft stiegen die Erwartungen in Richtung Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen auch an Universitäten. Forschung soll nicht nur nach den üblichen akademischen Exzellenzkriterien erfolgen, sondern auch direkte und indirekte Auswirkungen für Wirtschaft und Gesellschaft, öffentliche Verwaltung und Politik schaffen, die Universitäten dadurch ihrer „dritten Mission“ nachkommen.

Ranglisten bilden dies – wenn überhaupt – nur sehr unzureichend ab. Die Vorwürfe sind bekannt: Sie geben der in anerkannten Zeitschriften veröffentlichten Forschungsleistung überproportionales Gewicht, bevorzugen dadurch sich englischsprachig darstellende und naturwissenschaftlich orientierte Publikationen, sind oftmals vergangenheitsorientiert (der Shanghai-Index inkludiert Nobelpreisträger), geben der Lehre wenig bis gar kein Gewicht, erfassen auch die vielfältigen „Dritte-Missions-Aktivitäten“ nicht – sind somit „eindimensional“.

Universitätsaktivitäten sind jedoch multidimensional, da sie sowohl die Schaffung als auch die Verbreitung von Wissen durch Forschung, Lehre und die direkte Interaktion mit Wirtschaft und Gesellschaft umfassen. Eine vergleichende Gesamtbetrachtung von Universitäten muss dieser Multidimensionalität gerecht werden, muss also die verschiedenen Aktivitätsdimensionen gleichzeitig und in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit berücksichtigen.

Ein Zugang, dieser Herausforderung ansatzweise gerecht zu werden, besteht in der Anwendung fortgeschrittener statistischer Verfahren, die in der Lage sind, mit der Multidimensionalität von Inputs und Outputs umzugehen. So können mittels der Data Envelopment Analysis (DEA) die Input/Output-Verhältnisse sehr heterogener Akteure vergleichend dargestellt werden.

Dabei wird die technische Effizienz einer Einheit – dies kann eben auch eine Universität sein – im Verhältnis zu einer hypothetischen, effizienten Grenze von Input/Output-Relationen berechnet. Diese Grenze bezieht sich dabei auf die für die betrachtete Einheit relevanten Vergleichseinheiten. Diese Methode wurde zu einer explorativen Gesamtbetrachtung von 135 Universitäten in der Schweiz, den Niederlanden, Italien, Finnland und Österreich eingesetzt, für die eine ausreichende Vergleichbarkeit der Daten vorhanden war.

Überraschend hohe Effizienz

Da ein Großteil der Aktivitäten an den Universitäten nach wie vor der Lehre und der Forschung gewidmet ist, war es erforderlich, dass zumindest diese beiden Dimensionen in eine Gesamtbetrachtung einfließen. Darüber hinaus bestehen deutliche Unterschiede in den erforderlichen (und vorhandenen) Ausstattungen mit finanziellen Ressourcen.

Insgesamt führte dies zur Berücksichtigung von drei Output-Faktoren (Absolventen Diplom- beziehungsweise Masterstudium, Doktoratsstudium, ISI-Publikationen) und sieben Input-Faktoren (finanzielle Ressourcenausstattung, wissenschaftliche Mitarbeiter unterschieden nach fünf Wissenschaftszweigen und allgemeine Mitarbeiter).

Das Ergebnis war überraschend: Der Vergleich der 135 Universitäten in fünf Ländern und damit auch deren jeweiliger Universitätssysteme zeigt, dass ein Großteil der betrachteten Universitäten bei Berücksichtigung von Struktur- und Ausstattungsunterschieden ein sehr günstiges Verhältnis von zur Verfügung stehenden Ressourcen und erbrachten Outputs in Forschung und Lehre, und damit ein sehr hohes Maß an technischer Effizienz aufweist.

Standortbestimmung

Anders gesagt: Berücksichtigt man gleichzeitig verschiedene Outputs und auch verschiedene Inputs (darunter auch die finanzielle Ausstattung), berechnet daraus, was als Leistungsergebnis in der Realität der 135 betrachteten Universitäten überhaupt möglich ist (eine sich aus den Daten aller Universitäten endogen ergebende Leistungsobergrenze), sind die meisten Universitäten dieser sehr nahe und unterscheiden sich voneinander bis auf einige Ausreißer (und leichte Unterschiede in den einzelnen Ländern beziehungsweise Universitätssystemen) relativ wenig.

Nochmals anders gesagt: Für das, was Universitäten an Input zur Verfügung steht, leisten (fast) alle so viel wie andere auch.

Daraus lassen sich mehrere Schlüsse ziehen. Rankings haben wichtige Funktionen: Sie ermöglichen eine Standortbestimmung, können als Strategie- und Kontrollinstrument nach innen dienen, unterstützen nach außen die Kommunikation und das Marketing. Dabei muss aber klar kommuniziert werden, worin der Aussagegehalt dieser Ranglisten überhaupt besteht.

Nur publizieren ist zu wenig

Der Charme ist jedoch begrenzt: Als Spitzenuniversitäten gelten die, an denen Forscherinnen und Forscher tätig sind, die die für die wissenschaftliche Karriere dominanten, leicht nachweisbaren Kriterien der Publikation erfüllen und den darauf basierenden Selektionsprozess erfolgreich durchlaufen haben. Nicht (oder nur unzulänglich) ausgewiesen wird allerdings, wie es um die Lehre bestellt ist, welche finanziellen und personellen Ressourcen dafür zur Verfügung stehen, welche sonstigen Missionen erfüllt werden.

Universitäten sind jedoch mehr als nur eine Ansammlung viel publizierender Forscherinnen und Forscher – die Situation in Forschung, Lehre und „dritter Mission“ kann nur im Kontext des gesamten universitären Handelns sinnvoll interpretiert werden. Charme hat eben viele Dimensionen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Michael Steiner
(geboren 1951 in Bruck/Mur) studierte Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Graz. Er ist Professor am Institut für Volkswirtschaft der Karl-Franzens-Universität Graz. Sein Gastkommentar beruht auf Arbeiten, die er gemeinsam mit Andreas Niederl und Michael Ploder (Joanneum Research Graz) durchgeführt hat. [ Breitfuss ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2014)

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