Nahost-Friedenssuche in der Endlosschleife

Eine für Israelis wie die Palästinenser akzeptable Lösung wäre für beide Seiten auch gleichermaßen schmerzhaft. Doch die Führung auf beiden Seiten hat es bisher verabsäumt, die eigene Bevölkerung darauf einzustellen.

Der Friedensprozess im Nahen Osten scheint in einer Endlosschleife gefangen. Routinemäßig wiederholen sich die gleichen Vorgänge. Eine Friedensinitiative wird lanciert, ein Feilschen um Bedingungen und formale Abläufe beginnt, darauf folgen Gespräche. Am Ende kommt man sich zwar oft näher, aber für ein Friedensabkommen liegen die Positionen doch zu weit auseinander. Für das Scheitern wird dann die jeweils andere Seite verantwortlich gemacht.

Dass US-Außenminister John Kerry in den vertrackten Nahost-Friedensprozess überhaupt so viel politisches Kapital investiert hat, kommt einer riskanten Strategie gleich. Die USA sehen sich einer Vielzahl sicherheitspolitischer Herausforderungen gegenüber, wie die jüngste Krise in der Ukraine gerade veranschaulicht. Dass es im Juli 2013 überhaupt gelungen ist, die Parteien zurück an den Verhandlungstisch zu holen, zeugt vom Bemühen Washingtons.

Netanjahu scherte aus

Inzwischen musste Kerry seine ehrgeizigen Ambitionen wieder zurückschrauben. Ursprünglich sollte bis Ende April dieses Jahres ein umfassendes Friedensabkommen ausgehandelt werden. Aber bereits nach wenigen Monaten war klar, dass die Zeit dafür nicht ausreichen wird. Stattdessen wurde zuletzt ein Rahmenabkommen anvisiert, das Parameter für die Regelung zentraler Streitfragen festlegt.

Auf dieser Grundlage soll dann weiter verhandelt werden – über die Grenzen eines zukünftigen Palästinenserstaates, den Status Jerusalems, die Flüchtlingsfrage, die israelischen Siedlungen sowie Sicherheitsgarantien für Israel.

Seit zwei Wochen stecken die Verhandlungen jedoch fest. Ja gegenwärtig ist nicht einmal klar, ob überhaupt weiterverhandelt werden kann. Israels Ministerpräsident, Benjamin Netanjahu, hat nicht, wie vereinbart, vertrauensbildende Maßnahmen eingeleitet. Die rechtsnationalen Mitglieder seiner Regierungskoalition mag er damit bei der Stange halten, von den USA erntete er dafür deutliche Kritik. Bereits zu Beginn der Friedensgespräche hatte Netanjahus Ankündigung, den israelischen Siedlungsbau im Westjordanland weiter voranzutreiben, Israels Glaubwürdigkeit unterminiert.

Auf palästinensischer Seite sieht man sich einem alten Dilemma gegenüber. Kein anderer Akteur hat vergleichbaren Einfluss auf Israel wie die USA, keiner könnte einen Friedensvertrag glaubhafter absichern als die Amerikaner. Gleichzeitig nähren die engen strategischen Beziehungen der USA zu Israel die Zweifel an Washingtons Neutralität als Vermittler.

Das 2003 geschaffene Nahost-Quartett (Vereinte Nationen, USA, EU und Russland) hätte die externe Vermittlerrolle eigentlich auf eine breitere internationale Basis stellen sollen, es konnte diese Rolle jedoch nie ausfüllen.

Politischer Kleinkrieg droht

Dass Präsident Mahmud Abbas sich jetzt wieder an die UNO gewandt hat, um das Projekt eines Palästinenserstaates voranzutreiben, ist Ausdruck dieser Skepsis. Netanjahu antwortet mit einer Reihe wirtschaftlicher Sanktionen. Wieder einmal droht das Einfrieren der monatlichen Steuer- und Zolltransfers an die Palästinenser, zu denen Israel vertraglich verpflichtet wäre. Statt historischer Kompromisse droht ein politischer Kleinkrieg. Überraschen kann dies niemanden. Eine Mehrheit sowohl der Israelis und Palästinenser unterstützt zwar eine Zwei-Staaten-Lösung. Bei der konkreten Umsetzung gehen die Meinungen jedoch auseinander.

Seit über 20 Jahren gibt es Verhandlungen zwischen Israel und der PLO zur Schaffung eines unabhängigen Palästinenserstaates. Trotzdem hat es die Politik auf beiden Seiten verabsäumt, die eigene Bevölkerung konsequent darauf einzustellen. Eine Zwei-Staaten-Lösung würde die Aufteilung der begrenzten Ressourcen bedeuten, sensible Fragen der politischen Identität und Religion berühren. Eine für beide Seiten akzeptable Lösung wäre auch gleichermaßen für beide Seiten schmerzhaft.

Die Politik hat sich dieser Realität bisher weitgehend verweigert. Seit Beginn des Friedensprozesses hat Israel seine Kontrolle über das Westjordanland – das integraler Bestandteil eines künftigen Palästinenserstaates ist – kontinuierlich ausgebaut. Mehr als eine halbe Million Israelis leben heute in Siedlungen im Westjordanland und Ostjerusalem, darunter auch mehrere Mitglieder der Mitte-rechts-Koalition Netanjahus. Dahinter steht eine politische Dynamik, die kaum mehr kontrollierbar scheint.

Schmerzliche Erfahrungen

Zu Beginn seiner ersten Amtszeit musste US-Präsident Barack Obama das schmerzlich erfahren, als Israel sein Bemühen um einen Stopp des Siedlungsbaus abblitzen ließ. Gleichzeitig hat Israel ein wirkungsvolles System aus Barrieren, Militärcheckpoints und sicherheitspolitischer Kooperation mit den Palästinensern entwickelt, über das es Kontrolle ausübt und ein relativ hohes Maß an Sicherheit für seine Bürger schafft.

Gegenüber der islamistischen Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert, setzt Israel auf militärische Abschreckung, auf Raketenabwehrsysteme und Blockade. Israel kann mit dem jetzigen Status quo leben, als Dauerzustand ist er jedoch schwer zu rechtfertigen.

Die Palästinenser vermuten ihrerseits hinter israelischen Forderungen, etwa zu sicherheitspolitischen Übergangsregelungen im Jordantal, taktische Finten, um dauerhaft die palästinensische Souveränität zu beschneiden. Das Westjordanland liegt in unmittelbarer Nähe zu israelischen Bevölkerungszentren und strategischen Einrichtungen. Hier bedarf es wirkungsvoller Regelungen, damit für Israel von einem Palästinenserstaat keine Gefahr ausgeht.

Junge kennen nur Besatzung

Gleichzeitig sind die Palästinenser politisch und territorial gespalten, was die Autorität von Abbas in den Verhandlungen schwächt. Ob sich die Hamas – die weiter auf Gewalt gegen Israel setzt und die Abbas als einen Ausverkäufer palästinensischer Rechte ansieht – einem Friedensschluss anschließen würde, ist ungeklärt.

Viele Palästinenser glauben nicht mehr daran, einmal in einem unabhängigen Staat leben zu können. Gerade die junge Generation kennt nur Israels Besatzung, die sie täglich in der Verwirklichung ihrer Lebensmöglichkeiten einengt. Diese Grundstimmung hat Tarek Abbas, Sohn des palästinensischen Präsidenten, wie folgt zusammengefasst: „Wenn du mir nicht meine Unabhängigkeit geben willst, dann gib mir zumindest Bürgerrechte.“

Viele Israelis betrachten solche Gedankenspiele als Bedrohung der Identität Israels als jüdischer Staat. Auch die Palästinenserführung wehrt sich gegen die Abkehr von der Zwei-Staaten-Lösung, die ihr zu breiter internationaler Anerkennung verholfen hat und ihr großzügige wirtschaftliche Unterstützung der Staatengemeinschaft sichert.

Es scheint absurd, aber in der Realität rückt die Zwei-Staaten-Lösung in immer weitere Ferne. Dann bliebe nur die Wahl zwischen der fortwährenden Besatzung oder einem gemeinsamen Staat.

DER AUTOR

E-Mails an: debatte@diepresse.com



Dr. Patrick Müller
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für europäische Integrationsforschung (EIF) der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Außenpolitik der Europäischen Union, internationale Beziehungen und Nahost-Politik. Er hat mehrfach zu diesen Themen publiziert und ist auch als Politikberater tätig. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.