Bacher-Ehrung: "Wirklicher Revolutionär, wirklich konservativ"

Im historischen Sitzungssaal des Parlaments wurde Gerd Bacher, langjähriger ORF-Generalintendant, Donnerstagabend mit dem Ehrenpreis des Presseclubs Concordia ausgezeichnet. Die Laudatio in Auszügen.

Als ich im Jänner 1969 meine ersten Schritte in den ORF gesetzt habe, meinte ich zu spüren, dass ich mich hier im Zentrum der Republik befinde. Und obwohl ich zu jenem Zeitpunkt als junger Historiker keine Ahnung vom Journalismus hatte und noch weniger Ahnung vom Fernsehen, wusste ich eines: Hier will ich bleiben – wenn sie mich behalten. Der ORF war nicht nur das modernste Unternehmen des Landes, er war auch die Zentralanstalt für die Modernisierung des Landes. Dort zu arbeiten machte stolz.

Das war das Werk von vielen, aber im Zentrum steht der Name eines Mannes, und er wird immer dort bleiben: der Name Gerd Bacher. Helmut Zilk, Bachers erster Fernsehdirektor, schreibt darüber: „Vor Bacher waren Radio und Fernsehen kaputte Betriebe gewesen, ein Unternehmen, das von Politikern und von der Öffentlichkeit missbraucht und gedemütigt worden war. Als Fernsehmitarbeiter ist man verlacht und verhöhnt worden.“ Und: „Der Aufschwung, den der Rundfunk nahm, war die Folge des Zusammentreffens einiger Besessener mit einem Oberbesessenen. Und dieser Oberbesessene war Gerd Bacher.“

Merkwürdige Ungleichzeitigkeit

An dieser Stelle soll auf eine merkwürdige Ungleichzeitigkeit hingewiesen werden: 1967, als Bacher begann, war unmittelbar vor 1968, dem Jahr der Studentenrevolte, die sich im Nachhinein als Kulturrevolution herausstellte, in deren Verlauf vieles Alte in die Luft flog. Und Bachers oberste Tugenden – Ordnung, Struktur, Disziplin – wurden als Sekundärtugenden verhöhnt. Das heißt aber: Gerd Bacher, der wertkonservative heimatlose Rechte, passte nicht in diesen Zeitgeist. Er war dagegen. Und die aufsässigen Jungen, die vom ORF fasziniert waren und dort arbeiten wollten, standen in wütendem Gegensatz zu Bacher selbst, ich ebenso, während mir schon bewusst war, was wir alle Bacher zu verdanken hatten. Das ist natürlich paradox – aber paradox war ja auch Bacher selbst: ein wirklicher Revolutionär, aber wirklich konservativ. Die Folge: Solange Gerd Bacher im Fernsehen mein oberster Chef war, war ich mit ihm nicht gut und er nicht mit mir. Erst als wir beide Rentner waren, hat uns unser gemeinsamer Freund André Heller zusammengebracht. Und in gesellschaftspolitischen Fragen liegen wir nach wie vor oft meilenweit auseinander.

Zurück zum ORF: Es gab einen Menschen, der Gerd Bacher besonders viel zu verdanken hatte und der dann für einige Zeit sein mächtigster Gegenspieler wurde, Bruno Kreisky. Es ist vielleicht kein Zufall, dass Kreisky und Bacher fast gleichzeitig an Schaltstellen der Macht kamen: Kreisky wurde am 1.Februar 1967 Parteivorsitzender der SPÖ, Bacher am 9. März desselben Jahres Generalintendant des ORF. Das Land war reif für Veränderung. Aber vielleicht war deswegen der Konflikt zwischen den beiden programmiert, ist Hugo Portisch überzeugt, obwohl Kreiskys rascher Aufstieg zum Kanzler der Republik 1970, nach einem Vierteljahrhundert ÖVP-Dominanz, ohne ORF und die allmähliche Öffnung des Landes schwer vorstellbar ist. Bald nach Kreiskys Sieg standen die beiden großen Modernisierer des Landes, Bacher und Kreisky, beide den Prinzipien der Aufklärung verpflichtet, einander in Konfrontation gegenüber. Bacher wollte den Konflikt vermeiden, aber Kreisky wollte ihn.

Wir kommen zur Abwahl 1974, die wir korrekterweise als Sturz bezeichnen, der Bacher tief getroffen hat. Die entscheidende Abstimmung im Kuratorium des ORF zwischen Bacher und Oberhammer ging 15 zu 15 aus und wurde lediglich aufgrund des für diesen Fall vorgesehenen Dirimierungsrechts durch den Vorsitzenden zugunsten Oberhammers entschieden. Helmut Zilk schreibt im Geburtstagsbuch zu Bachers Sechziger, dieser sei selbst daran „nicht schuldlos“ gewesen. Der Bacher von 1967 bis 1974 sei nämlich ein Mensch gewesen, „der gesagt hat, man muss mit dem Kopf durch die Wand“.

Wie Garry Cooper in „High Noon“

Genau das glaube ich nicht – obwohl ich mir schon vorstellen kann, dass Bacher das einmal genauso gesagt hat, weil er die Sprache liebt und die starken Sprüche, sodass man ihm eine gewisse rhetorische Gemeingefährlichkeit nicht absprechen kann. Gerd Bacher hat ganz bewusst den Eindruck erweckt, er wolle mit dem Kopf durch die Wand. Denn genau so wollte er gesehen werden: wie Gary Cooper in „High Noon“ im Kampf gegen die Miller-Gang. Gleichzeitig kannte er aber die österreichische Realverfassung. Und er wusste auch, dass er nicht mit dem Kopf durch die Wand kommt – jedenfalls meistens wusste er es. Wäre das nicht so gewesen, wäre er noch viel öfter hinausgeschmissen worden, als es ohnehin der Fall war. Und vor allem: Er hätte ohne praktische Vernunft nichts bewegen können. Er hätte weder den ORF in der Form schaffen können, dass er über Jahrzehnte als Bachers Werk galt, noch hätte er so viel zur Veränderung des Landes beitragen können. Aber gerade das wurde 1974 sein Verhängnis: dass Kreisky, der andere große Modernisierer, in Gerd Bacher seinen wichtigsten Gegenspieler zu erkennen meinte und daraus den Schluss zog, für zwei sei an der Spitze des kleinen Landes nicht Platz.

Gelacht wie blöd

Und dann der 28. September 1978. Niemand hatte Bacher auch nur die geringste Chance auf Wiederwahl im ORF gegeben, und gerade deswegen hatte er sie, weil in der regierenden SPÖ ein verrückter Machtkampf zwischen den sozialdemokratischen Kandidaten Zilk und Oberhammer ausgebrochen war. Ich erinnere mich genau, dass ich gerade bei Franz Kreuzer im Büro saß, als dessen Sekretärin hereinplatzte: „Der Bacher ist es geworden.“ Ich begann buchstäblich wie blöd zu lachen, was Kreuzer derart wütend machte, dass er mich fragte, ob ich ein Idiot sei und nicht verstünde, was das für ihn als Intendanten und für mich als Chef des „Club 2“ bedeute. „Ich versteh's schon“, hab ich lachend erwidert, „aber komisch ist es trotzdem.“ Ab dann schien allen im Haus mein Ende im „Club 2“ besiegelt. Doch ehe es dazu kam, bat ich um einen Termin bei Bacher, den ich persönlich bis dahin nicht kannte – und er mich schon gar nicht. Das Gespräch zwischen uns verlief gut, und die Situation schien einigermaßen geklärt. Doch wenige Monate später kam uns Nina Hagen dazwischen, die Bacher in einem für mich erstaunlichen Ausmaß empörte. Später kam dazu noch der tragische Konflikt zwischen Bacher und seinem alten Freund Claus Gatterer, in dem ich auf Gatterers Seite stand. Doch abgesetzt hat Bacher mich nie, das kam später und nicht von ihm.

Auf noch eine Ungleichzeitigkeit sei hingewiesen: Parallel zum Aufstieg des ORF vollzog sich der Aufstieg der „Kronen Zeitung“. Man kann es personalisieren als Konflikt zwischen den beiden mächtigsten Medienmachern des Landes: Bacher gegen Dichand. Wichtiger scheint mir: das Prinzip der Aufklärung einerseits, das Prinzip der Gegenaufklärung andererseits. Der Versuch möglichst umfassender Information, der notgedrungen nur unvollkommen gelingen kann, gegen Kampagnen, Populismus und Hetze. Gerade weil es die Dichand'sche „Kronen Zeitung“ gab, war der Bacher'sche ORF demokratiepolitisch wichtig.

Zweiter Hinauswurf, neues Comeback

Dann die Abwahl Bachers 1986, sein zweiter Hinauswurf, und das neuerliche Comeback 1990. Diesmal war die Aufregung in der SPÖ weniger groß. Es wurden auch keine Verräter gesucht. Man hatte sich offenbar daran gewöhnt, dass Bacher so lange wiederkommt, bis er selbst sagt: Jetzt ist es genug – was er 1994 tat, 27 Jahre nach dem Amtsantritt.

In seiner letzten Periode als Generalintendant sprach Bacher mit scharfem Blick auf das Kommende wiederholt das Thema an, das ihn bis heute bewegt: „Heute gilt es, gegen die totale Trivialisierung des Leitmassenmediums zu programmieren. Im Konkurrenzkampf zwischen Trivialität und Anspruch ist der Anspruch stets im Nachteil.“ Und: „Der Auftrag von public broadcastingist, Identität zu stiften, dem Kulturellen im weitesten Sinn des Wortes eine massenhafte Basis zu schaffen.“ Das war und ist seine zentrale Botschaft.

So schwankt Gerd Bacher heute zwischen Zorn und Hoffnung, gilt den meisten im ORF als Mann von gestern, obwohl er ein Mann von morgen ist: weil der ORF nur dann überleben kann, wenn er im riesigen Konkurrenzfeld seinen Auftrag als öffentlich-rechtliches Medium ernst nimmt. Dieses Land und diese Demokratie haben Gerd Bacher viel zu verdanken. Und so gibt es keinen besseren Ort als das Hohe Haus, wo das in aller Deutlichkeit gesagt werden soll und wo Gerd Bacher dafür bedankt und geehrt werden soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2014)

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