Alfred Gusenbauer und der Ballhausplatz

Der amtierende SPÖ-Vorsitzende sollte nicht als Kanzlerkandidat seiner Partei auftreten.

MMag. Körner-Lakatos ist Verwaltungsjurist in Wien.

Manchmal kommt man schon ins Nachdenken. Wer ist das also, dieser Alfred Gusenbauer? Der SPÖ-Vorsitzende ist zwar ins Mostviertel heimatzuständig, aber das Rustikale scheint ihm fremd. Auf der anderen Seite kann man ihn auch nicht als urban ansehen, dafür wirkt er allzu unbeholfen, fast gehemmt. Das altmodisch gestelzte Funktionärsdeutsch erinnert an einen Menschen, der sich gewöhnlich nicht der Schriftsprache bedient.

Gusenbauer befindet sich, was seine Schichtzugehörigkeit betrifft, im luftleeren Raum. Er ist jemand, der zeitlebens im Parteiapparat war und in diesem Milieu seinem Broterwerb nachgegangen ist; so gesehen gehört er nirgends so richtig dazu und scheint dies auch zu ahnen.

Dabei hat alles ganz gut angefangen, vor zwei Jahren. Der Bestand der neuen Regierung schien eine Sache von Wochen zu sein; Gusenbauer champagnisierend an der Seite Europas, das Kanzleramt vor Augen. Doch es kam anders. Die anfangs filigran scheinende Regierung erwies sich als stabil, die Sanktionen verflüchtigten sich und vor der SPÖ lagen die Mühen der Ebene.

Gusenbauer formte - bewußt als Gegensatz zur Buberlpartie Haiders - ein feminines Gespann als Geschäftsführung. Und zeigte keine recht glückliche Hand. Die eine Geschäftsführerin, mit der Aufgabe, die einfacher strukturierten Fans bei der Stange zu halten, ist nur scheinbar lieb und nett. Sie kann sich, mit schriller Stimme und weit geöffneten Augen, furchtbar aufpudeln, wenn ihr etwas gegen den Strich geht. Die zweite Zentralsekretärin, immerhin ausgelernte Soziologin mit dem Part, die Intellektuellen des Landes für die SPÖ zu interessieren, hat den tiefsinnig-wissenden Blick eines Menschen, der bisher noch jedes Kreuzworträtsel gelöst hat. Grundsätzlich gilt für beide Damen: Jeder weiß, daß sie keiner kennt.

Der Oppositionsführer selbst ist ein zutiefst unsicherer Mensch, lechzend nach Signalen der Zuneigung, sein Lächeln wirkt verlegen. Es ist nicht das maliziöse Grinsen eines Franz Vranitzky, nicht das Blecken eines Viktor Klimas, beileibe nicht. Everybodies darling zu sein, ist eben nicht jedermanns Sache. In seinem Gehaben ähnelt Gusenbauer vielmehr dem einzigen pannonischen Vormann. Alfred Sinowatz. Gusenbauer hat nicht nur den Vornamen mit ihm gemein, auch das Schicksal: Beide sind plötzlich in eine Führungsrolle gedrängt worden. Sinowatz von Kreisky, vielleicht nach dem Grundsatz ex oriente lux. Gusenbauer wieder vom Partei-Establishment in einer um etliches turbulenteren Zeit, als die Regierungsmacht abhanden gekommen und Klima abgetaucht war.

Auf die Privatwirtschaft umgelegt, nimmt sich der SP-Chef ein bißchen wie ein Oberbuchhalter aus, den das Unternehmen - vom plötzlichen Gewinneinbruch überrascht - in die erste Reihe gestoßen hat - und der jetzt den Generaldirektor mimen soll. Tatsächlich ist Gusenbauers Faible fürs Buchhalterische unverkennbar, wenn er davon spricht, der Bevölkerung "Bilanz legen" zu wollen; und auch nutzbringend, denn sein professionell betriebener Schuldenabbau macht die Partei vor den nächsten Wahlen wieder halbwegs kreditwürdig.

Aber warum kann er nicht einfach sagen: Liebe Freunde, im damaligen Durcheinander seid Ihr zufällig auf mich gekommen. Es hat mich sehr gefreut, aber ich bin nicht derjenige, der Euch wieder an die Macht führt?

Solange die Sozialdemokraten mit Alfred Gusenbauer nach dem Ballhausplatz greifen, kann die Koalition ruhig schlafen.

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