Die Ukraine – ein europäischer Staat

Replik auf „Ukraine und Türkei nicht in die EU“, 21. Februar.

Das Interview mit einem der bekanntesten Bankiers des Landes, dem hochgeschätzten Finanzfachmann in der Ukraine, dem Vorstandsvorsitzenden der Raiffeisen International Bank-Holding AG, Herrn Herbert Stepic, beinhaltete außer einigen positiven Beurteilungen der wirtschaftlichen Entwicklung in der Ukraine, auch seine Worte, dass man der Ukraine eine EU-Perspektive bieten soll, „aber eine andere als den Vollbeitritt. Die Ukraine ist ein klassischer Pufferstaat zwischen Ost und West.“ In diesem Zusammenhang, fällt es uns Ukrainern schwer, diese Äußerung kommentarlos zu lassen.

Die Ukraine mit ihrer mehr als tausendjährigen Geschichte war aus geografischer, kultureller und geistlicher Sicht schon immer ein europäischer Staat. Auch beim Blick auf die Weltkarte ist es kaum zu übersehen, dass die Ukraine auf der Kreuzung der wichtigsten Handelswege liegt. Wir sind momentan tatsächlich von zwei großen Nachbarn umgeben: einerseits von der EU, andererseits – von Russland. Aber die Ukraine wird niemandem erlauben, sie als eine Pufferzone zu bezeichnen. Ein klares strategisches Ziel Kiews ist der EU-Beitritt. Vollbeitritt. Und es gibt in der ukrainischen politischen Elite keine Diskussionen darüber – 399 von 450 Parlamentsbgeordneten haben kürzlich die EU aufgerufen, im neuen Abkommen das Prinzip der EU-Offenheit für die Mitgliedschaft der Ukraine zu verankern.

Ich möchte auch betonen, dass der EU-Beitritt der Ukraine nicht gegen jemanden ausgerichtet ist, vor allem nicht gegen die Russische Föderation. Im Gegenteil, dank ihren engen Beziehungen zu Russland würde die Ukraine als Mitglied der großen europäischen Familie zum Bindeglied zwischen Brüssel und Moskau werden und würde zur weiteren Annäherung beitragen.

Politik der doppelten Standards?

Im Zusammenhang mit den Balkanstaaten spricht Stepic davon, dass im Transformationsprozess ein Ziel wie der EU-Beitritt wichtig sei. Die Ukraine hat ihren Transformationsprozess auch noch nicht abgeschlossen. Was soll dann diese Politik der doppelten Standards? Gerade die Ankündigung der lang ersehnten europäischen Perspektive wäre eine wichtige Unterstützung der jungen ukrainischen Demokratie und der Fortsetzung des Reformprozesses. Die Stabilität in der Ukraine und in Osteuropa ist nicht weniger wichtig als die Stabilität auf dem Balkan. In Anbetracht dessen, dass dieses Interview auch in einigen populären ukrainischen Internetmedien erschien, möchte ich gerne noch einige Fragen an Herrn Stepic richten: Rechnen Sie mit einer positiven Einstellung der Ukrainer zu österreichischen und EU-Investoren, wenn bei vielen meiner Mitbürger nach Ihren Worten nur das Gefühl „Der Westen will uns nicht“ bleibt? Warum werden bei ungefähr gleicher Wirtschaftslage einige europäische Länder EU-Mitglieder oder bekommen eine Beitrittsperspektive, für andere werden aber irgendwelche Halbprojekte ausgedacht? Ich möchte gerne auch daran erinnern, dass laut Paragraf 49 des Amsterdamvertrages jeder europäische Staat der EU beitreten darf, wenn er die notwendigen Kriterien erfüllt.

Und zu guter Letzt: Der Warenumsatz zwischen der Ukraine und Österreich wächst stetig. 2006 erreichte er zum ersten Mal die 1-Milliarden-Euro-Marke (Jahreswachstum +20%). Die österreichischen Investoren zeigen in letzter Zeit großes Interesse für den ukrainischen Markt, viele neue Projekte entstehen. Ich will nur hoffen, dass die meisten Geschäftsleute Österreichs die Ukraine als gleichen europäischen Partner ansehen und nicht als eine Grauzone.

Wir schauen positiv in die Zukunft. Mehr Optimismus gibt uns zumindest die Tatsache, dass der Bericht des Europaparlaments bezüglich des neuen vertieften Abkommens zwischen der Ukraine und der EU, das im März veröffentlicht wird, die Beitrittsperspektive der Ukraine vorsieht.

Wolodymyr Schtschelkunow ist Präsident des Ukrainischen Nationalkomitees der Internationalen Handelskammer.


meinung@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2007)

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