Veränderung benötigt Risiko

Die orientierungslose Sozialdemokratie könnte von ihrem Schreckgespenst Wolfgang einiges lernen. Leider hat sie sich in ihrem ersten Regierungsjahr die falschen Sachen abgeschaut.

Aus SPÖ-Sicht ist Wolfgang Schüssel das Enfant terrible der Zweitausenderjahre. Er hat die SPÖ nach dreißig Jahren aus der Regierung vertrieben, mit Jörg Haider – dem Enfant terrible der Neunzigerjahre – eine Koalition geschmiedet und im gemütlichen sozialpartnerschaftlichen Österreich einen wirtschaftsliberalen Kurs eingeschlagen. Es mag für einen SPÖ-internen Diskurs an Ketzerei grenzen, Wolfgang Schüssel politische Qualitäten zu attestieren, aber von einzelnen Aspekten seines Führungsstils könnte sich die SPÖ-Spitze in der Tat etwas abschauen. Vielmehr entsteht jedoch der Eindruck, dass anstatt der Qualitäten die politstilistischen Unsitten der Ära Schüssel in der SPÖ Anwendung finden.

Wolfgang Schüssel ist ein Tabubrecher, der – unter hohem Risiko – gegen den damaligen Konsens aus Medien (anfänglich inklusive Krone!), Zivilgesellschaft und dem Bundespräsidenten eine Regierung geschmiedet hat. Im Jahre 2002 hat der „Hasardeur“ Schüssel (Peter Pelinka) als Reaktion auf die Haider-Spielchen wieder riskiert, Neuwahlen vom Zaun gebrochen und den größten Wahlsieg in der Geschichte der Zweiten Republik eingefahren (plus 15,4 Prozent). Selbst als angeschlagener Wahlverlierer machte Schüssel die Niederlage vom Oktober 2006 mit dem aus ÖVP-Sicht sehr zufriedenstellenden Regierungsabkommen wieder wett.

Oft riskiert und meistens gewonnen

Schüssel hat oft riskiert und meistens gewonnen. Risiko ist die Voraussetzung, um den gesellschaftlichen Konsens zu ändern und ideologische Überzeugungen in die soziale Realität umzusetzen. Das Kleben am Posten um des Postens willen und die persönliche Eitelkeit können diese Risikobereitschaft drastisch reduzieren. Was in den letzten Jahren auch immer Schüssels tatsächliche Motive gewesen sein mögen, der Wechsel vom Ballhausplatz in den Klub ist für einen Wendekanzler kein Akt, der sich mit überdosierter Eitelkeit vertragen hätte.

Die SPÖ-Führung hat nie riskiert und meistens verloren. Zuerst die Regierungsverhandlungen, dann etliche Konflikte um Sachthemen. Alfred Gusenbauer und Co. betrachten den gesellschaftlichen Konsens als statisches Faktum und nicht als veränderbaren Prozess, somit trauen sie sich nie, die Notwendigkeit von Veränderung – etwa beim Thema Umverteilung – zu betonen. Obwohl alles aufgelegt ist: Österreich ist bei den Vermögenssteuern das Schlusslicht aller OECD-Staaten, deren Anteil am gesamten Steuer- und Abgabenaufkommen macht hierzulande etwas mehr als ein Prozent aus. Im Schnitt der EU-15 sind es über fünf Prozent, in den USA und Großbritannien sogar zwölf Prozent. Stattdessen wird die Erbschaftssteuer – die treffsicherste aller Reichensteuern – abgeschafft. Laut der „Presse“ vom 20. März 2007 wurde die Hälfte des Erbschaftssteueraufkommens von den obersten 1,3 Prozent der Erbfälle bezahlt, zwei Drittel aller Erben/innen zahlten hingegen im Schnitt 181 Euro.

Die SPÖ-Führung scheut davor zurück, ein Tabu zu brechen und klarzustellen, was für alle Demografen/innen sonnenklar ist: Migrationspolitik ist Bevölkerungspolitik, Zuwanderung ist bei einer Fertilitätsrate von 1,4 die einzige Garantie gegen einen drastischen Bevölkerungsrückgang. Anstatt mit dem Vorschlag einer Generalamnestie vorzupreschen, wie es Sozialist Zapatero in Spanien bereits vorexerziert hat, wird Arigona Zogaj – das Paradebeispiel für gelungene Integration – von einer SPÖ-geführten Regierung abgeschoben.

Unsitten der Schüssel-Ära abgeschaut

Die SPÖ kann bei Konflikten um Sachthemen nicht glaubwürdig mit einer öffentlichen Konfrontation, geschweige mit dem Koalitionsbruch drohen, weil alle Akteure/innen wissen, dass die handelnden Personen rund um Alfred Gusenbauer im Fall der Fälle lieber ihren Posten behalten, als für eine Überzeugung ein Risiko einzugehen.

Statt zu riskieren hat sich die SPÖ-Führung leider vielmehr die Unsitten der Schüssel-Ära abgeschaut. Das „Drüberfahren“ von Schwarz-Blau bei der Umstrukturierung der Sozialversicherungen, die aggressive Umfärbung bei den ÖBB oder das völlige Ignorieren von Mittelbau und Studierenden bei Uni- und ÖH-Gesetz wurden in Oppositionszeiten zurecht kritisiert.

Das „Drüberfahren“ über parlamentarische Einrichtungen (Stichwort Untersuchungsausschüsse) oder sogar über eigene Minister/innen, die per Tischvorlage erfahren, was in ihrem Ressort zu geschehen hat, ist die Fortsetzung der Schüssel-Autokratie im rot-schwarzen Gewande.

Nikolaus Kowall ist Vorsitzender der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund. www.sektionacht.at


meinung@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2008)

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