Der verlogene Anspruch der 68er

„Die 68er“, das steht heute für jene Funktionärskaste, die Sozialismus meinte, wenn sie von Liberalität sprach, die (kommunistische) Diktatur meinte, wenn sie von Freiheit sprach, die Terror meinte, wenn sie von Humanität sprach.

Über die 68er zu schreiben, das bedarf für mich einiger Vorbemerkungen. Zunächst waren sie mir suspekt einer Äußerlichkeit wegen: ihre schmuddelige Kleidung, ihre ungepflegte Erscheinung und das Gebrüll ihrer Demonstrationen fand ich von vornherein ziemlich widerwärtig.

Auch die Tatsache, dass keine Generation vorher so verbiestert, so muffelig, so humorlos war, hat mich abgestoßen. Dazu kamen dann auch noch Palästinensertücher als Ausdruck von Gesinnung – Antisemitismus habe ich damals schon für eine Form politischer Perversion gehalten. Und schließlich ihr politisches Weltbild, das sie – wortwörtlich – vor sich hertrugen, mit Plakaten der Mordgesellen Lenin, Stalin, Mao, Ho Chi Minh, Pol Pot. Und natürlich von Marx, dem Begründer des staatlichen Totalitarismus.

Natürlich weiß ich, dass nicht alle, die damals mitmarschierten, Anhänger einer kommunistischen Diktatur waren. Aber wer heute über „die 68er“ redet, meint ja auch nicht die Mitläufer, die später als Ministerialbeamte, Journalisten oder Ärzte jenes Spießertum lebten, das sie und ihre Genossen damals anprangerten.

„Die 68er“, das steht heute für jene Funktionärskaste, die Sozialismus meinte, wenn sie von Liberalität sprach, die (kommunistische) Diktatur meinte, wenn sie von Freiheit sprach, die Terror meinte, wenn sie von Humanität sprach. Der Berliner Historiker Götz Aly, damals selbst Mitglied der „Roten Hilfe“, sieht heute völlig zu recht in der Führungsclique von damals Wiedergänger der nationalsozialistischen Studenten vor 1933.

Natürlich hat Aly Recht

Und auch wenn es den Alt-68ern nicht passt, natürlich hat Aly Recht. Wer beispielsweise die Vorgänge an der „Freien“ Universität in West-Berlin kennt, weiß diese These zu belegen. Vor dem Gebäude des Fachbereiches 10 drohten drei kommunistische Studenten dem FU-Anglisten Prof. Scheler am 29. November 1973 mit den Worten: „Dich Sau schaffen wir auch noch. Du bist der Erste, der einen Genickschuss abkriegt.“ Am 26. Juni 1972 meinte ein Mitglied der „Roten Zelle Anglistik“ dem Vordirektorium gegenüber: „Scheler sieht in einer revolutionären studentischen Gruppe nur eine Gruppe zum Absägen seines Kopfes. Langfristig hat er sicher recht.“ Ein KSV-Mitglied sagte am 23. April 1973 zu Prof. Scheler: „Wir werden Sie später in ein Arbeitslager stecken, wo Sie umerzogen werden.“

Kein Wunder also, dass zum Beispiel die Professoren Richard Löwenthal und Ernst Fraenkel, die beide 1933 aus Deutschland vertrieben und in den Fünfzigerjahren nach Berlin zurückgekehrt waren, angesichts dieses Hasses zunehmend verzweifelten. Fraenkel, und nicht nur er, sah einen neuen Faschismus aufziehen und dachte erneut an Emigration. Und selbst Theodor W. Adorno war entsetzt und schrieb seinem Freund Herbert Marcuse nach Berkeley: „Die Gefahr des Umschlags der Studentenbewegung in Faschismus nehme ich viel schwerer als Du.“

Massenmörder als Idole

Mit Beispielen dieser Art ließen sich Zeitungsseiten füllen, sie belegen, dass es kein Zufall war, wenn die 68er mit Postern von Mao, Stalin und Ho Chi Minh durch die Straßen zogen: die kommunistischen Massenmörder waren ihre Idole, und es kann keinen Zweifel darüber geben, dass sie die Methoden ihrer Heilsgestalten, Genickschuss, Umerziehungslager und Stasi-Terror, in Deutschland zur Grundlage ihrer Politik gemacht hätten. Von tödlicher Logik ist denn auch, dass die Mörderbande RAF durch Deutschlands Städte zog, auch Opfer der „einfachen“ Leute billigend in Kauf nehmend, um das „Schweinesystem“, wie die 68er den liberalen Rechtsstaat zu nennen pflegten, zu Fall bringen zu können.

Sie liebten offenbar die Schweine: Der bereits erwähnte Prof. Löwenthal, Politikwissenschaftler, Jude, Sozialdemokrat, der schon in den zwanziger Jahren aus der KPD ausgeschlossen worden war, weil seine wissenschaftliche Arbeit sich nicht entlang der Parteilinie bewegte, wurde als „das größte Schwein“ beschimpft. Ein führender SDS-Funktionär von damals, Tilman Fichter, gestand denn auch, sie hätten „teilweise Techniken der chinesischen Kulturrevolution an westdeutschen Universitäten eingeführt“.

Wie ernst sie es meinten, ist daran abzulesen, dass sie den „Marsch durch die Institutionen“ ankündigten, den Marsch zur Machtergreifung. Aus heutiger Sicht ist unverständlich, dass der liberale Rechtsstaat dieser Ankündigung kaum Bedeutung beigemessen hat. Man glaubte, auch dies sei eine Idee von Radikalen, die im Laufe der Zeit schon vernünftig würden. Weit gefehlt! Zwar ist es den 68ern nicht gelungen, ein kommunistisches Zwangsregime in Westdeutschland zu errichten, sie haben jedoch eine Entwicklung in Gang gesetzt, die die Grundfesten eines zivilisierten Staates erschütterten und unter der Deutschland bis heute zu leiden hat.

Und sie gingen nicht ungeschickt vor: Wohl wissend, welch ungeheure Macht in einer Demokratie den Multiplikatoren zukommt, drängten sie in alle Schaltstellen der Kommunikation. Sie wurden Lehrer bzw. Hochschullehrer mit der Konsequenz, dass Schulen und Universitäten zu Agitationszentren wurden; sie wurden Pfarrer mit der Konsequenz, dass von den Kanzeln (besonders den evangelischen) politische Ideologie gepredigt wurde, sie wurden Juristen mit der Konsequenz, dass Richter den Täter zum Opfer machten, sie wurden Journalisten und Filmemacher, mit der Konsequenz, dass Zeitungen und Fernsehen zur Spielfläche von Gesellschafts-Veränderern wurde; und sie wurden Politiker mit der Konsequenz, dass schließlich im Jahre 1998 eine rot-grüne Chaostruppe die Regierungsgeschäfte übernehmen konnte (nachdem Lehrer, Pfarrer, Richter und Journalisten über Jahre hinweg mit dem Volk eine Art Gehirnwäsche getrieben hatte).

Politisch sind die 68er total gescheitert, ihr Ideal einer kommunistischen Diktatur blieb Deutschland erspart. Gesellschaftlich aber waren sie höchst erfolgreich: die Familie wurde in Misskredit gebracht, der kinderlose Single-Haushalt als Normalfall propagiert, was für den Staat bedeutet, dass das Rentensystem zusammengebrochen ist. Leistung, Fleiß, Vaterlandsliebe wurden zu Stichworten fürs Kabarett, Multi-Kulti dagegen als Ausweis für fortschrittliches Denken (wer an Ausländerkriminalität zu erinnern wagt, begeht einen Tabubruch).

Selbstbetrug nicht Aufbruch

68 steht heute in der Sichtweise der Mehrheit als Aufbruch, als Protest gegen überkommene Strukturen, als Bewegung, die Deutschland demokratisiert, zivilisiert und liberalisiert habe.

Nichts ist falscher! Der verlogene Anspruch der 68er, aufgeklärte Modernisierer zu sein, hält einer rationalen Betrachtung nicht stand. In seinem Buch „Der große Selbstbetrug“ beschreibt Kai Diekmann 68 denn auch als „Epochenbruch der deutschen Gesellschaft in Richtung Egozentrik, Mittelmaß und Faulheit.“ Er hat nur noch das Spießertum vergessen.

Prof. Detlef Kleinert begann seine berufliche Laufbahn beim Bayerischen Fernsehen. Er war unter anderem Südosteuropa-Korrespondent der ARD in Wien.


meinung@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2008)

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