Mehrsprachige Ortstafeln für Wien?

Für die weitere Zukunft der Europäischen Union wird gewiss nicht die Krümmung der Gurke ausschlaggebend sein.

Die Sektion Kärnten der Österreichischen Richterinnen- und Richtervereinigung hat vor Kurzem in Klagenfurt eine Begegnung der Präsidenten der Verfassungsgerichte von Österreich und Slowenien arrangiert. Gerhart Holzinger und Ernest Petrič, der vor Jahren slowenischer Botschafter in Wien war, waren eingeladen, um über die Lage der Volksgruppen in ihren Staaten zu referieren.

Die Diskussion führte dann weit über die Situation etwa der Kärntner Slowenen oder der Italiener in Slowenien hinaus. Berührt wurde eine Frage, die zweifellos das Zeug zu einem heißen Thema sowohl in den Nationalstaaten als auch in der Europäischen Union haben könnte.

Schon in naher Zukunft könnte die sprichwörtliche Krümmung der Gurke zum Salat von gestern werden, zumal Migrantinnen und Migranten auf die Idee kommen dürften, ihren Status in den Nationalstaaten gründlich zu überdenken. Dann wird es darauf ankommen, ob die nationalen und das supranationale Parlament mit genug Öl auf den Essig werden antworten können und wollen, der mit Sicherheit zunächst in die Diskussionen geträufelt wird.

Holzinger und Petrič haben die Frage allochthoner Volksgruppen aufgeworfen. Als solche kommen im Gegensatz zu den autochthonen, beispielsweise den burgenländischen Kroaten oder steirischen Slowenen, die Türken in Vorarlberg oder exjugoslawische Bürgerinnen und Bürger in Wien in Betracht. In Slowenien betrifft das beispielsweise Kroaten oder Kosovo-Albaner, die arbeitssuchend ins Land gekommen und dort geblieben sind.

Migrantengruppen wachsen

Präsident Petrič wies darauf hin, dass die heutigen Migrantenströme, aber auch die demografische Entwicklung in sämtlichen EU-Mitgliedstaaten dazu geführt haben, dass in diesen Ländern größere Migrantengruppen entstanden sind. Diese Einheiten seien in den vergangenen Jahrzehnten vor allem darauf aus gewesen, ihre Identität und Kultur zu bewahren und zu tradieren. Heute gingen ihre Bemühungen immer mehr und stärker in die Erwartung über, wie autochthone Volksgruppen behandelt zu werden. Die traditionelle Unterscheidung zwischen allochthonen und autochthonen Wenigerheiten schleife sich immer mehr ab.

Ruf nach Gleichberechtigung

Einleuchtend ist, dass es den Migranten, und zwar nach der Verfestigung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Situation, nicht nur um die Identitätserhaltung, sondern um Gleichberechtigung geht – das heißt wohl, um ein bisschen mehr als ihre allgemeinen Menschenrechte.

Mit dem Anschneiden dieses Problems wollte Petrič aber nicht die selbst ernannten Hüter der österreichischen Nation aufschrecken. Keine Wienerin und kein Wiener muss befürchten, dass die Ortstafel mit dem kroatischen Beč oder dem türkischen Viyana für Wien verfeinert werden wird.

Thematisch wird man sich damit befassen müssen, ob diesen Gruppen das Recht auf den Gebrauch ihrer Sprache vor Ämtern sowie Behörden und ob ihren Kindern ein – verbrieftes – Recht auf den Elementarunterricht in der Muttersprache zukommen wird. Gruppen, die ununterbrochen über drei oder mehrere Generationen in einem Gebiet siedeln, könnten solche Ideen entwickeln.

Jedenfalls wäre es vernünftiger, wenn EU-Politiker schon früher auf die Idee kämen – vielleicht sogar noch im jetzigen Wahlkampf – sich mit solchen verfassungsrechtlichen Problemen zu befassen, damit einer Debatte darüber von Anfang an die Schärfe genommen wird.

Janko Ferk ist Jurist, Schriftsteller und lehrt an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/Univerza v Celovcu. Sein neuestes Werk ist der Sarajevo-Roman „Der Kaiser schickt Soldaten aus“ (Styria Verlag).


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2014)

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