Ministeranklage als ein bedeutendes Minderheitenrecht

Die kleinmütige Reaktion von Prammer und Brandstetter auf Holzinger.

Im Normalfall schweigt ein Präsident des österreichischen Verfassungsgerichtshofes (VfGH). Das hat gute Gründe: Eine Verwicklung in tagesaktuelle Geschehnisse könnte den VfGH schnell insgesamt in den Strudel politischer Unwägbarkeiten reißen.

Nun aber hat VfGH-Präsident Gerhart Holzinger in einem Interview mit der „Presse“ (12.5.) vorsichtig angeregt, die Ministeranklage (Art. 142, 143 B-VG) in Hinkunft als Minderheitenrecht auszugestalten. Die derzeit geltende Regelung komme nicht zur Anwendung, weil ja die Mehrheit im Parlament regelmäßig identisch sei mit den politischen Verhältnissen in der Regierung, es handle sich um „totes Recht“.

Reflexhafte Ablehnung

Reflexhaft lehnte die Präsidentin des Nationalrates, Barbara Prammer, den Vorschlag ab, und Justizminister Wolfgang Brandstetter setzte noch eins drauf: Die Ministeranklage sei generell überflüssig, das Strafrecht reiche aus. Man solle die Ministeranklage überhaupt streichen, und der Vorschlag sei wohl nicht besonders gut überlegt, so der Verteidiger in Strafsachen a.D. und wohl auch in spe.

Drei Gründe sprechen jedoch dafür, Holzingers Vorschlag trotz dieser Invektive ernst zu nehmen und darüber zu diskutieren:
•Unser parlamentarisches Leben ist eine Farce. Offenkundig betätigen sich unsere Abgeordneten als Vollzugsmaschine der Regierung, das schwindende Ansehen des Parlaments in der Öffentlichkeit ist eine Folge davon. Die Einführung von Minderheitenrechten würde diesen Missstand nicht von heute auf morgen bessern, aber die Stärkung von Minderheitenrechten könnte eine gewisse Änderung der parlamentarischen Kultur herbeiführen. Das immer wieder angeführte Missbrauchsargument ist nicht nur falsch, es ist auch dumm: Jedes Recht kann missbraucht werden, sonst ist es keines, es hieße sonst Gnade.
•Unsere Verfassung unterscheidet zwischen politischer und strafrechtlicher Verantwortlichkeit (Art. 142, 143 B-VG). Der Umfang der politischen Verantwortlichkeit oberster Bundes- und Landesorgane geht weit über das Strafrecht hinaus. Es geht dabei um „die durch ihre Amtstätigkeit erfolgten schuldhaften Rechtsverletzungen“ und nicht um die Einhaltung des Strafgesetzbuches. Nicht alles, was rechtswidrig ist, ist auch strafbar, und nur dort, wo es sich um strafbare Handlungen von obersten Organen handelt, ist der VfGH auch als Strafgericht zuständig.
•Der VfGH hat bei seinem Urteil über eine Ministeranklage ein anderes Sanktionsinstrumentarium als die Strafgerichte; er kann zum Verlust des Amtes und auch zum zeitlichen Verlust der politischen Rechte verurteilen. Bei der Frage nach der Ministerverantwortlichkeit geht es nicht vorrangig um strafrechtliche, sondern um politische Sanktionen.

Wer der Abschaffung der Ministerklage das Wort redet, will von politischer Verantwortung nichts wissen. Wer sich gegen die Erhebung der Ministeranklage als Minderheitenrecht wehrt, spricht sich gegen die Belebung des parlamentarischen Lebens aus. Und wer die politische Verantwortung der obersten Organe aufs Strafrecht reduziert, missversteht den Sinn parlamentarischer Souveränität.

Subalternes Parlament

Die Reaktionen von Barbara Prammer und Wolfgang Brandstetter auf den Vorschlag von Holzinger sind bedauerlich. Hier wird, und das müsste uns alle zur Verzweiflung bringen, der untrügliche Nachweis dafür erbracht, dass sich das Parlament gegenüber der Exekutive in den dauerhaften Zustand der Subalternität begeben hat und dass eine Rückeroberung parlamentarischer Souveränität weit und breit nicht in Sicht ist.

Univ.-Prof. Dr. Alfred J. Noll ist
Rechtsanwalt in Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2014)

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