Weissagungen in Moskau

Europa, die USA und Militärinterventionen: Was 32 frühere Außenminister vor 15 Jahren dazu zu sagen hatten.

Vor 15 Jahren hat die Nato Serbien bombardiert, um die ethnische Säuberung der kosovarischen Albaner zu stoppen. Im Juli 1999 lud Russland 32 frühere Außenminister nach Moskau ein, um die politische Weltlage zu analysieren. Deren Beiträge habe ich damals sinngemäß notiert. Es könnte von allgemeinem Interesse sein, was von den damals geäußerten Meinungen heute noch relevant und was überholt ist.

Tarek Aziz, irakischer Vizepremier, stellte die Frage, welchen Feind die Nato nach Auflösung der Sowjetunion noch habe und wozu ihre Osterweiterung diene. Adrian Nastase, damals rumänischer Parlamentsvizepräsident, meinte, dass 80 Prozent der Rumänen für einen Nato-Beitritt seien, aber ebenso 80 Prozent gegen die Bombardierung Serbiens durch die Nato. Viele Rumänen betrachteten die Nato als Garantie für die Durchsetzung jener Werte, die sie durch die wieder an die Macht kommenden Ex-Kommunisten gefährdet sähen.

Der französische Ex-Außenminister Roland Dumas sah einen akuten Handlungsbedarf der EU zur Reformierung ihrer Institutionen, sonst gehe die nächste Erweiterung schief.

Gianni de Michelis, früherer Außenminister Italiens, sah die Rolle der EU gegenüber der Dominanz der USA skeptisch. Er hielt mehr Eigenständigkeit der EU für notwendig.

Welt aus dem Gleichgewicht

George Jakovou, langjähriger zypriotischer Außenminister und seinerzeit knapp unterlegener Präsidentschaftskandidat, meinte, dass es mit der „Balance“ aus der Zeit des Kalten Krieges vorbei sei. Die USA hätten die Vormacht und bestimmten alles.

Der ehemalige türkische Außenminister Ilter Türkmen erachtete die militärische Präsenz der USA in Europa zwar für notwendig, die Verhinderung von Völkermord müsse aber völkerrechtlich geklärt werden. Nach geltendem Recht sei die Nato-Intervention in Serbien nämlich nicht zulässig. Der frühere indische Außenminister und mehrmalige Ministerpräsident, Inder K. Gujral, sah große Staaten in Asien und Lateinamerika durch die Welthandelspolitik, vor allem aber durch die Spekulation des Globalkapitals, unter Zugzwang. Nachweis: die Asienkrise.

Priština und die Ukraine

Gennadij Udovenko, Parlamentsvorsitzender der Ukraine, bedauerte, dass weder die USA noch die EU der Ukraine ein Nato-Beitrittsangebot machen würden, aus Angst vor Russland. Dennoch habe ihn die Nato-Intervention in Serbien schockiert, noch mehr allerdings die Besetzung des Flughafens Priština durch die Russen. Denn das könnten die Russen ja auch in der Ukraine machen. Gareth Evans, australischer Außenminister von 1988 bis 1996, nannte fünf Voraussetzungen für die Berechtigung einer Intervention:
1) schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen;
2) Kontakt zur betreffenden Regierung;
3) alle gewaltlosen Mittel wurden ausgeschöpft;
4) Berichtsgrundlage, dass die humanitäre Krise gelöst werden muss;
5) Kontakt mit allen betroffenen Parteien.

Als ehemaliger österreichischer Außenminister zitierte ich den früheren US-Außenminister Henry Kissinger, der 1995 sinngemäß in der „Nato Review“ geschrieben hat: Im europäischen Einigungsprozess müsse Russland draußen bleiben; es passe nicht zur europäischen Kultur. Das heißt: Die USA wollen in Europa bleiben. Und da die EU-Staaten kaum höhere Verteidigungsausgaben tätigen werden, beherrschen die USA militärisch und zu einem wesentlichen Teil auch politisch Europa.

Erwin Lanc (*1930) war zwischen 1977 und 1974 der Reihe nach österreichischer Verkehrs-, Innen- und Außenminister. Seit 2008 ist er Ehrenpräsident des International Institute for Peace.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2014)

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