Rechte, Linke schützen? Oder den Rechtsstaat?

Die Polizei muss alle Menschen vor Angriffen Andersdenkender beschützen – gleichgültig, ob deren Meinung als rechts oder links, weit oder eng eingestuft wird, solange sie sich im Bereich des rechtlich Zulässigen bewegt.

Polizeiliche Arbeit unterliegt in entwickelten Demokratien steter Kontrolle und Kritik. Das ist einer der signifikanten Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur. Daher darf eine Polizei darin kein Problem sehen. Widerspruch ist aber dort notwendig, wo Kritiker oder politische Akteure von der Polizei Beihilfe zur Unterdrückung missliebiger – wohlgemerkt: missliebiger, nicht strafrechtlich sanktionierter – Meinungen fordern.

Das Recht, sich friedlich zu versammeln und seine Meinung frei zu äußern, ist ein Grundpfeiler jeder demokratischen Gesellschaft und eines ihrer höchsten Rechtsgüter. Die Anstrengungen vieler Generationen waren erforderlich, um diese im Verfassungsrang stehenden Rechte für Österreich in vollem Umfang zu erkämpfen.

Missionarischer Ungeist

Wesentliche Aufgabe der Polizei ist es dabei, durch das Schaffen geordneter Rahmenbedingungen der Bevölkerung die Ausübung ihrer Rechte zu ermöglichen; gleichgültig, ob die Polizei als Organisation – oder ob der einzelne Polizist oder die einzelne Polizistin – mit dem sachlichen Zweck und Inhalt einer Versammlung übereinstimmt oder nicht.

Jeder durch die Rechtsordnung nicht ausdrücklich für unzulässig erklärte Zweck einer Versammlung, jede nicht ausdrücklich verbotene Meinungsäußerung ist vor dem Gesetz gleich zu behandeln und gegen rechtswidrige Angriffe zu schützen. „Ich teile deine Meinung nicht, aber ich werde mich mit meinem Leben dafür einsetzen, dass du sie frei äußern darfst“, gilt zu Recht seit der Aufklärung als jener Leitgedanke, der den Grundkonsens einer freien Gesellschaft zum Ausdruck bringt.

Die österreichische Rechtsordnung ist der einzige zulässige Maßstab dafür, ob eine Versammlung als rechtswidrig zu untersagen ist oder nicht. Äußerungen, die dem Verbotsgesetz unterliegen, bilden zum Beispiel eine solche unüberschreitbare Grenze.

Die Zulässigkeitsfrage darf aber nicht vom Belieben einzelner Andersmeinender abhängen, die ihre Überzeugungen jenseits des rechtlichen Konsenses einer demokratischen Gesellschaft absolut setzen. Sobald eine Gruppe die an sich zulässige Meinungsäußerung einer anderen Gruppe mit Gewalt zu unterdrücken sucht, bedient sie sich der Mittel jenes Übels, das sie zu bekämpfen vorgibt.

Wenn der missionarische Ungeist so weit führt, dass einzelne politische Gruppierungen die Abschaffung jener rechtlichen Instrumentarien, die den eigentlichen Schutz für die freie Ausübung demokratischer Grundrechte ausmachen, nur deshalb fordern, um Andersdenkende einzuschränken, dann sollten alle demokratisch gesinnten Kräfte in dieser Gesellschaft sehr wachsam werden.

Keine parteiischen Wertungen

Die Wiener Polizei bemüht sich, einerseits die Mitte zwischen den verschiedenen Gruppen und andererseits den öffentlichen Frieden zu wahren, ohne eine parteiische Bewertung der vorgetragenen Inhalte einer Versammlung vorzunehmen. Wir wollen, ja wir müssen alle Menschen vor rechtswidrigen Angriffen Andersdenkender schützen – gleichgültig, ob ihre Meinung als rechts oder links, weit oder eng, mehrheitsfähig oder minderheitlich anzusehen ist, solange sie sich im Bereich des rechtlich Zulässigen bewegt.

Rechtswidrigkeit setzt dabei nicht unbedingt Gewaltausübung voraus. Bereits das Hindern eines Demonstrationszuges am Weitermarsch durch einen „passiven“ Sitzstreik untereinander eingehakter oder angeketteter Aktivisten kann einen gerichtlich strafbaren Tatbestand erfüllen.

Leider gehen die Aktivisten einiger Gruppierungen, die sich im Besitz des Privilegs der „einzigen richtigen“ Meinung wähnen, über zivilen Ungehorsam weit hinaus. Wer vermummt Steine auf seine Mitmenschen schleudert, um sie mundtot zu machen, wer eine Spur der Verwüstung durch die Stadt zieht oder wer auf Ordnungshüter einprügelt, setzt sich selbst so weit ins Unrecht, dass die Appellation auf vermeintlich noch so legitime Anliegen dem Täter keine Rechtfertigung zu schaffen vermag.

Keine Polizei der Welt ist ohne Fehler. Doch können wir in Wien mit Stolz darauf verweisen, dass jeder Vorwurf ernsthaft und objektiv von mehreren unabhängigen Institutionen überprüft wird. Im Zusammenhang mit dem Einschreiten gegen Gewaltbereite ist es umso schmerzlicher, wenn (nachweislich) falsche Vorwürfe ungeprüft in die Medienberichterstattung Eingang finden.

Verletzte Sorgfaltspflicht

Mit der unkritischen Weitergabe von Unwahrheiten gegen alle journalistische Sorgfalt wird unfreiwillig die Sache einiger weniger Gewalttäter gefördert, die sich mit lauteren Argumenten zu Recht kein Gehör hätten verschaffen können. Über das kurzzeitige Ärgernis hinaus zeitigt eine solche Sorgfaltsverletzung aber längerfristig für die Gesellschaft sehr schädliche Folgen: dann nämlich, wenn dadurch das Vertrauen vieler rechtschaffener Bürger in ihre, also unsere Polizei ungerechtfertigt belastet wird.

Dass dieser Vertrauensverlust ein von gewaltbereiten Randgruppen absichtlich herbeigeführter Effekt ist, der die Polizeikräfte verunsichern und ihre Bereitschaft zum aktiven Eintreten für die rechtlich geschützten Interessen der Gesellschaft schwächen soll, ist beileibe kein neues Phänomen.

Polizeiliches Einschreiten beim unfriedlichen Zusammentreffen von Anhängern konträrer Weltanschauungen ist schwierig und kann nie zur Zufriedenheit aller ausfallen. Dabei wird die Polizei vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Interessenausgleiches sowie der „3D“-Philosophie geleitet.

Ohne Wenn und Aber

Der strategische Ansatz beginnt mit Dialog, wo wir uns schon im Vorfeld um Kontakt mit allen beteiligten Gruppen bemühen und eine einverständliche Lösung der möglichen Konflikte anstreben. Dialog wird auch vor Ort so lange wie möglich angeboten und fortgesetzt.

Dem Dialog sind aber dort Grenzen gesetzt sind, wo Steine fliegen und Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen hervorgerufen wird – vornehmlich von jenen, die längst von sich aus das Feld des Dialogs verlassen haben. Dann ist es ohne Wenn und Aber die Pflicht der Polizei, die gefährdeten Rechtsgüter zu schützen und ihren gesellschaftlichen Auftrag durchzusetzen.

Ich werde als Polizeipräsident auch künftig nicht dem Druck einzelner Gruppen und deren Interessen nachgeben. Ebenso wenig kann ich auch Pauschalverurteilungen der Polizei in sozialen Netzwerken oder in einzelnen Medien als Maßstab für zukünftiges Handeln akzeptieren.

Die Exekutive in Österreich hat einen klaren, demokratisch legitimierten, gesetzlichen Auftrag. Wir werden uns weiterhin mit allen Kräften bemühen, unsere Aufgabe unvoreingenommen und maßhaltend im Rahmen der Gesetze zu erfüllen. Letztlich werden wir aber dort konsequent einschreiten, wo alle gelinderen und deeskalierenden Mittel angesichts der entgegengebrachten Gewalt versagen.

DER AUTOR

E-Mails an: debatte@diepresse.com



Gerhard Pürstl
(* 1962 in Wien) studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien, danach seit 1988 Beamter des rechtskundigen Dienstes bei der Bundespolizeidirektion Wien. 2008 wurde er Polizeipräsident in Wien. Seit der Neustrukturierung der Sicherheitsbehörden 2012 ist er Landespolizeipräsident in der Bundeshauptstadt. [ Landespolizeidirektion Wien]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2014)

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