Der bunte Irak, beschmiert mit Blut

Gastkommentar. Der Vormarsch des IS gefährdet vor allem auch die vielfältigen Minderheiten im Irak.

Die kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien und im Irak haben sehr rasch sehr erschreckende Ausmaße angenommen. Vor einem Monat gingen die ersten Meldungen über die rasche Besetzung der multiethnischen und multireligiösen irakischen Stadt Mossul durch die IS-Terrorgruppe um die Welt. Die gewalttätige Ausdehnung der radikalen, terroristischen IS-Gruppierung macht vor nichts und niemandem halt. Keiner kann zum jetzigen Zeitpunkt sagen, wie dieses kriegerische Vorgehen ausgehen wird und inwiefern sich der Irak konkret verändern wird.

Gerade vor dem Hintergrund der Gefahr eines sich verfestigenden Bürger- bzw. Konfessionskrieges ist der Schutz der zahlreichen im Irak lebenden Minderheiten unabdingbar. Schon 2009 hat UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon einen Bericht zur Umsetzung der Schutzverantwortung veröffentlicht, bei dem es um Schutz von Menschen vor schweren Menschenrechtsverletzungen geht. Dieser sieht insbesondere eine rechtzeitige Erkennung und Einleitung von präventiven Maßnahmen gegen Menschenrechtsverbrechen vor. Deshalb muss die UNO sofort handeln, bevor es zu spät ist.

Laut Irak-Experten Thomas Schmidinger, der an der Universität Wien über die kurdische Frage unterrichtet, gibt es im Norden des Irak außerhalb des offiziell anerkannten Gebiets der Regionalregierung Kurdistans einige Regionen, in denen Menschen verschiedene Arten des Kurdischen sprechen. Dabei handelt es sich nicht nur um Sunniten oder Schiiten, sondern auch um religiöse Minderheiten, wie etwa Ezidi (Yezidi), Kakai (Ahl-e Haqq) oder Shabak.

In den Provinzen Kirkuk und Ninive gibt es zudem kleinere Regionen mit turkmenischer Bevölkerungsmehrheit. Östlich der Stadt Mossul lebt in der Ninive-Ebene eine christliche Mehrheitsbevölkerung, die unterschiedliche Formen des Neu-Ostaramäischen spricht und die sich in ihrer Selbstbezeichnung je nach religiöser und politischer Zugehörigkeit als Assyrer, Chaldäer oder Aramäer bezeichnet. Bei den beiden Bezirken mit assyro-aramäischen Mehrheiten in der Provinz Ninava handelt es sich um Al-Hamdaniya und Tel Keppe. Die größte Stadt des Gebietes heißt Bakhdida und hat um die 50.000 Einwohner, die fast alle aramäischsprachige Christen sind.

Es zeigt sich also: Der Irak ist ein buntes Bild, dass aus verschiedensten Kulturen, Religionen und Sprachen besteht. Doch dieses farbenfrohe Bild droht durch das Vergießen von unschuldigem Blut zerstört zu werden.
Denn Christen, Ezidi und Shabak sind derzeit durch die militärische Expansion des IS (Islamischer Staat im Irak und Syrien) besonders gefährdet. Die IS- Gruppierung vertritt extremistische Ideologien, die sich besonders gegen religiöse Minderheiten richten. Die kurdischen Ezidi werden von extremistischen Muslimen seit Jahrhunderten als „Teufelsanbeter“ denunziert und wurden seit 2003 mehrfach Opfer von Anschlägen und Massakern sunnitischer Extremisten.

Die aramäischsprachigen Christen werden derzeit noch von kurdischen Einheiten geschützt, ihre Zukunft wäre allerdings bei einem Zerfall des Irak mehr als ungewiss. In der Vergangenheit forderten Vertreter dieser aramäischsprachigen Christen immer wieder eine eigene Autonomie in ihren Siedlungsgebieten.

Die Minderheiten im Ernstfall zu schützen ist auch Auftrag der internationalen Gemeinschaft. Hier hat das Außenministerium eine glaubhafte Strategie zu verfolgen, und so rasch wie möglich auf allen diplomatischen Ebenen aktiv zu werden. Es braucht Präventionsmaßnahmen zum Schutz der Minderheiten. Sonst droht die Gefahr des Blutvergießens.

Tanja Windbüchler ist grüne Abgeordnete und Mitglied des außenpolitischen Ausschusses im Nationalrat.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2014)

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