Sprechen Sie Österreichisch oder Oberösterreichisch?

Gastkommentar. „Hähnchen“, „mein Vadder“ und „Mathe“: ein Abgesang auf die leider aussterbende Sprache Österreichisch.

In den fast voll besetzten Lift eines großen Bürohauses in der Wiener Innenstadt drängen sich auch noch zwei ziemlich modisch gekleidete junge Damen. Sie unterhalten sich so penetrant laut und wichtigtuerisch, dass die ausländischen Studentinnen, die unterwegs zu einem Sprachlehrinstitut im 3. Stock sind, das sichtlich als peinlich empfinden und betreten zu Boden schauen.

Eine der beiden beklagt sich in breitem oberösterreichischen Dialekt über den Moderator eines Privatradios. Ihr vernichtendes Urteil über ihn lautet: „Und noch dazu redet er so Oberösterreichisch.“ Offensichtlich gibt es also noch eine Steigerung.

Ausgerechnet Oberösterreichisch! Über diese Variante des Deutschen hatten kürzlich der Direktor der Albertina, Klaus Albrecht Schröder, und der Meinungsforscher Andreas Kirschhofer-Bozenhardt in dieser Zeitung eine etwas gereizte Kontroverse. Schröder stammt aus Linz, Kirschhofer ist dort ansässig, kommt aber aus der Steiermark. Diese und die folgenden biografischen Hinweise sind wichtig, denn sie erklären die Verve, mit der die Auseinandersetzung geführt wurde.

Anlass des Streits war eine Aussage Schröders, der heimatliche Dialekt sei für ihn „kontaminiert mit einer total antimodernen, reaktionären, faschistischen Haltung“. Man fragt sich wirklich, welcher Teufel Schröder dabei geritten haben mag, dem Dialekt eine solche ideologische Überhöhung zu geben. Auf der anderen Seite macht sich der weltläufige Kirschhofer zum Anwalt von „Mundart und Heimatliebe“. Er schwärmt von der „heimatlichen Tracht“, die er wahrscheinlich nie trägt und tut so, als hielte er Franz Stelzhamers oberösterreichische Landeshymne für ein Kunstwerk.

Hochdeutsch als Waffe

Andreas Kirschhofer (Ritter von)- Bozenhardt hat leicht reden. Er kann den oberösterreichischen Dialekt glühend verteidigen, weil er ihn selbst nicht spricht, sondern jenes unnachahmliche Idiom, das man mit der Abstammung aus seiner gesellschaftlichen Klasse automatisch erwirbt. Schröder dagegen hat sich nach eigenem Bekunden den Dialekt seiner Herkunft mühsam abtrainiert, weil er erkannt hat, dass das eine wichtige Voraussetzung für den gesellschaftlichen Aufstieg war, den er machen wollte. Sich vom Dialekt zu lösen, war ein Akt der gesellschaftlichen Emanzipation.

Der Prozess muss sehr schmerzhaft gewesen sein. In einem Interview schildert Schröder ihn fast mitleiderregend. Das Hochdeutsch – wie er es altmodisch nennt – empfand er als „Waffe“, mit der die „höheren Töchter“ aus Wien jemanden wie ihn deklassierten.

Er erfuhr, dass Döblinger oder Hietzinger Deutsch „das wahre Deutsch sein soll“ und nicht sein „von Reinhard Mey und Udo Jürgens angelerntes Hochdeutsch. Da war man als Provinzler schnell so etwas wie die Phäaken seinerzeit für die Athener.“

Dennoch kann man Schröder gut verstehen. Die beiden jungen Damen im Lift waren nicht nur wegen ihrer Lautstärke deplatziert. Der Dialekt aus Oberösterreich, Niederösterreich, dem Burgenland, dem 16. Wiener Gemeindebezirk, aus Kärnten und der Steiermark ist in der Wiener Innenstadt unmöglich. Wiener Innenstadt ist hier nicht als topografischer Begriff gemeint, sondern bezeichnet die Welt von Politik, Kultur, Wirtschaft, Öffentlichkeit und Medien.

Warum kommen Tirol und Vorarlberg in der obigen Aufzählung nicht vor? Weil das die einzigen Bundesländer sind, in denen der Dialekt auch öffentlich gesprochen werden kann. Er ist dort ein politisches Werkzeug erster Güte – wenn man ihn beherrscht und dosiert einzusetzen weiß.

Ein Meister darin war der frühere Landeshauptmann von Südtirol, Luis Durnwalder, der etwa vor Diplomaten in Wien mit größter Selbstverständlichkeit einen Vortrag in einer gekonnten Mischung aus Dialekt und Bildungssprache hielt.

Charme aus Dialekt

Alle Zuhörer fanden das originell und ungeheuer charmant, was es auch ist. Es gab seinem Auftritt ein unwiderstehliches Flair von Unmittelbarkeit und Anschaulichkeit. Den Voves „Fraunz“ aus der Steiermark dagegen kann man sich nicht vorstellen, wie er in Wien einen Vortrag auf Steirisch hält. Auch nicht Jörg Haider (schon wieder ein Oberösterreicher!), der sich auch nach Jahren in Kärnten das Kärntnerische wohl absichtlich nicht angeeignet hatte. Er konnte Kärntnerisch singen, wollte aber nicht Kärntnerisch reden.

Die österreichische Bildungssprache, die sich Schröder mühsam angeeignet hat und die er heute sehr elegant spricht, ist ein hohes Gut, und keine bloße Skurrilität. Schröder weiß das. Sie ist aber in hohem Maß gefährdet, weil sie in der Schule kaum noch verwendet wird und auch zunehmend zu einem schichtenspezifischen Idiom wird. Nicht mehr viele bemühen sich darum und gelehrt wird es auch nicht.

Kürzlich hatte ich drei Buben aus der vierten Klasse Volksschule im Auto, die ich zu einem Geburtstagsfest einer meiner Enkelinnen brachte. Die Unterhaltung, die sie auf der Hinterbank führten, verstand ich nur bruchstückhaft. Es ging hauptsächlich um das neueste iPhone, „was mein Vadder hadd“ und andere elektronisch-technische Dinge, die ich nicht kenne. Die Sprache hörte sich so an: „Gibb mal her, du“, „sei nich so dämlich“, „Ich hab in Mathe ne Eins bekommen“.

Bei der Kinderjause setzte sich das dann fort: Statt: „Kann ich bitte ein Stück Hendl haben?“, hieß es: „Wo iss's Hähnchen?“ Nur nebenbei sei erwähnt, dass die Wörtchen „bitte“ oder „danke“ im Wortschatz dieser Kinder nicht vorkommen und ein Gruß – wenn er überhaupt verwendet wird – „Hallo“ heißt.

Deutsch? Nur noch im TV

Diese Sprache sei ganz üblich, wenn daheim, wie im Fall der drei Buben, entweder Wiener Dialekt, Französisch, Arabisch oder eine Mischung von allem gesprochen wird, erklärte mir meine Tochter, die als Mutter von zwei Volksschulkindern und einer Gymnasiastin damit täglich zu tun hat. Deutsch kennen viele Kinder meist nur in der Form, wie sie es im deutschen (oder auch österreichischen) Fernsehen hören und das klingt dann eben wie in Bielefeld oder Berlin.

Kürzlich hat uns an dieser Stelle ein Sprachwissenschaftler noch viel mehr Beispiele für das Vordringen von Wendungen aus dem „deutschen“ Deutsch in den österreichischen Sprachgebrauch gegeben. Daraus ist auch wieder einmal klar geworden, wie viele feine Differenzierungen im Ausdruck „unser“ Deutsch hat und ermöglicht.

Der Professor belehrt uns auch darüber, dass es Österreichisch als eigene Sprache im wissenschaftlichen Sinn nicht gibt, sondern nur als Varietät des gemeinsamen Deutschen. Das mag schon sein.

Es ist auch gut für uns, denn es macht uns zu einem Teil einer großen schöpferischen Sprachwelt, an deren Reichtum wir teilhaben und zu dem wir hoffentlich auch etwas beitragen.

Aber es gibt die österreichische Sprache als einen täglichen Erlebnisraum, um den mir – und wie ich annehme – auch den Herren Schröder und Kirschhofer-Bozenhardt sehr leid wäre, wenn er gänzlich von der Welt verschwände.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2014)

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