Das Österreichische Deutsch gibt es sehr wohl

Ad „Eine österreichische Sprache gibt es nicht“: Zu den sprachpolitischen Absichten und linguistischen Irrtümern von Herrn Pohl.

Vergangene Woche hat Kollege Pohl an dieser Stelle unter dem Titel „Eine österreichische Sprache gibt es nicht“ das Meisterstück vollbracht, die Herausgabe der Broschüre des Unterrichtsministeriums zu Förderung des Österreichischen Deutsch* (ÖD) zu loben, gleichzeitig die Existenz des ÖD in Abrede zu stellen und eine lange Erklärung dafür geliefert, warum das ÖD „naturgemäß“ verschwinden wird.

Psychologisch gesehen hat das Züge eines Borderline-Syndroms, das darin besteht, dass man wahrnehmungstechnisch nicht mehr zwischen Realität und gewünschter Realität unterscheiden kann und sich die Grenzen zwischen dem Selbst und den anderen beliebig verschieben.

So geschehen im Artikel des Autors, der zuerst nach einem fragwürdigen historischen Exkurs feststellt, dass die „Staatsgrenze keine Sprach- oder Mundartgrenze sei“, sondern bloß eine politische, die „die sich nur auf sprachliche Erscheinungen des öffentlichen Lebens beschränkt“, es nicht sehr viele österreichische Wörter [gibt], die in Deutschland nicht verstanden werden, sondern bestenfalls ein paar Dutzend, und die nationale Varietät Österreichs „überhaupt eine süddeutsche“ sei.

Sprachpolitisches Kalkül

Einige Zeilen zuvor wurde noch erklärt, dass es einen österreichischen Wortschatz, Ausspracheunterschiede und das „Österreichische Wörterbuch“ („ÖWB“) gibt, in dem das alles verzeichnet ist. Das ist nicht nur mangelnde inhaltliche Konsistenz, sondern sprachpolitisches Kalkül: Die Eigenständigkeit des ÖD wird vom Autor minimiert, indem er die Gemeinsamkeiten mit dem Süddeutschen betont, die sprachlichen Eigenmerkmale des ÖD auf ein Minimum reduziert oder seine Existenz überhaupt negiert. Parallel zu den fehlenden Sprachgrenzen zwischen Süddeutschland und Österreich werden diese innerhalb Österreichs behauptet, da das ÖD „keine Einheit bildet“, „nicht homogen“ sei und „die areale Gliederung, wie sie in der BR Deutschland im Großen besteht, sich im Kleinen in Österreich“ fortsetze.

Ich habe diese Vorgangsweise schon vor 15 Jahren einmal als das „Überschneidungsargument“ und als „Uneinheitlichkeitsargument“ bezeichnet. Ihre politische Funktion zeigt sich, wenn der Autor schließlich die Katze aus dem Sack lässt, wonach es eine „einheitliche österreichische Sprache“ bzw. „Nationalsprache“ analog zur gefestigten österreichischen Staatsnation nicht gibt: Das gipfelt in der Feststellung, dass „der Umkehrschluss, weil es eine österreichische Nation gibt, muss es auch eine Nationalsprache geben, nicht zulässig ist“.

So wird klar, worum es geht: Unter allen Umständen soll das Konzept des ÖD unterminiert werden, indem man es als Phantom einer „eigenständigen Sprache“ in den Raum stellt. Das wird aber von niemandem behauptet und auch nicht angestrebt.

Wozu also das Ganze? Hier versucht sich jemand in philologischer Entgrenzungskunst und erntet damit vermutlich noch den Applaus all jener, die meinen, dass Nationalstaaten der Kern alles politischen Übels seien, die es abzuschaffen gelte, und damit auch gleich alle sprachlichen Merkmale des ÖD. Diesen Wunsch gibt es in paralleler Weise bei der politischen Linken wie auch bei der politischen Rechten.

Letztere will zwar nur die österreichische Nation abschaffen und sie in die deutsche Nation eingliedern (siehe deutschnationale Burschenschaften). Das ist politischer Internationalismus à la FPÖ, der nur bis nach Deutschland reicht. Jener der politischen Linken reicht zwar theoretisch bis zur EU, endet aber aus Angst, als Nationalist gebrandmarkt zu werden, sprachlich auch im Kotau vor der „gemeinsamen deutschen Standardsprache“, die dann von allem Österreichischen gereinigt wird, indem man fast alles Eigene als umgangssprachlich oder mundartlichmarkiert und damit schriftunfähig macht.

Allen ist die Behauptung gemeinsam – siehe Broschüre und den Artikel von Pohl –, dass es eine „österreichische Sprache“ nicht gibt. Gleich dem Kasperl, der auf das böse Krokodil einschlägt und so die Prinzessin rettet, liest man das in der Broschüre, bei einem Kommentator in einer anderen Tageszeitung und bei Pohl.

Verein mit Schlagseite

Dieser ist ein ausgezeichneter und äußerst fleißiger Linguist, zugleich aber auch Vorstandsmitglied des Vereins „Muttersprache“, der als Ehrenmitglied Professor Mehl auf seiner Website anführt, der lange Zeit Obmann des Vereins und ein bekennender Nazi gewesen ist, während des Nationalsozialismus Vorlesungen mit dem Titel „Rasse und Leibeserziehung“ abgehalten, nach 1945 seinen Posten verloren, aber noch 1978 den Aufruf der „National-Zeitung“ zu einer Generalamnestie der Nazi-Verbrechen unterschrieben hat.

Der Verein Muttersprache hat zumindest eine großdeutsche Schlagseite – erkenntlich nicht nur an der Verehrung von Mehl, sondern auch daran, dass auf der Website nur von der „Muttersprache“ Deutsch und mit keinem Wort vom ÖD die Rede ist und Sprachreinigung betrieben wird.

Der linguistische Aktionismus des Autors in Bezug auf das ÖD erscheint damit in einem anderen Licht und ist ein sprachpolitischer Versuch, die nationale Varietät des ÖD auf das Niveau einer beliebigen regionalen Variante des Deutschen herabzustufen, die Funktion des ÖD für die Identität der ÖsterreicherInnen zu leugnen und sie als ein Element der österreichischen Nation und der Selbstdefinition der ÖsterreicherInnen wegzudiskutieren.

Das war nicht die Absicht der AutorInnen der Broschüre, sehr wohl jene von Herrn Pohl, wie zahlreiche Publikationen bezeugen. Man mag sich nun bei all dem fragen, wie es sich den wirklich mit dem ÖD verhält? Die Antwort darauf ist sehr einfach: Alle sprachlichen Erscheinungen, die im weitesten Sinn dem Deutschen zuzurechnen sind und auf dem Gebiet der Republik Österreich vorkommen, gehören zum ÖD. Der Bezugsrahmen für ihre Beschreibung sind die Grenzen der Republik, die nicht nur die überschaubaren Überschneidungen mit anderen Sprachgebieten berücksichtigt, sondern auch die Variation innerhalb Österreichs.

Tatsache ist, dass der Wortschatz des ÖD mindestens 20.000 Wörter umfasst, es gibt zahlreiche grammatische Unterschiede in den Tempora, in der Aussprache, im Gebrauch der Präpositionen, Artikel usw., vor allem aber im Sprachgebrauch. Das ÖD ist keine eigene Sprache, wohl aber eine sehr ausgeprägte nationale Varietät des Deutschen und integraler Teil der österreichischen Identität.

Alle Versuche von Pohl und Kollegen, das aus politischen Gründen wegzudiskutieren, sind umsonst. Worauf es ankommt, ist, die eigenen Sprachnormen in den Mittelpunkt zu stellen, sich nicht für die eigene Sprache zu schämen, sondern sie als „normal“ und schützenswert zu betrachten und auch die Unterschiede in der Schule und im Elternhaus bewusst zu machen.


* „Österreichisches Deutsch“ ist ein Eigenname und wird daher mit zwei Großbuchstaben geschrieben.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2014)

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