Sprache: Zwischen Tautologie und Heimatsinn

Heinz-Dieter Pohl spricht von österreichischer Sprache, Rudolf Muhr von Österreichischer. Dazwischen liegen Welten.

In der „Presse“ publizierten jüngst zwei Spezialisten für die Verwendung deutscher Sprache in Österreich. Ihre Positionen waren nicht nur unterschiedlicher als westösterreichische Tomaten und ostösterreichische Paradeiser, sie demonstrierten zudem in verblüffender Plakativität den Gegensatz von Wissenschaft und Ideologie, von Analyse und Zirkelschluss, von Gelassenheit und Hysterie.

Heinz-Dieter Pohl hatte das Wort, das ihm Rudolf Muhr, weil diesem die Kraft zum Gegenwort fehlte, am liebsten verbieten wollte. Ersterer legte mit der konstanten Überzeugungskraft seiner Argumente dar, warum es österreichisches Deutsch nicht so geben kann, wie es die Designer einer nationalen Identität gerne hätten; dabei ist er nicht etwa einer objektiven Wahrheit verpflichtet, die es bekanntlich nicht gibt, sondern bloß der größtmöglichen historischen und kulturgeographischen Komplexität, die jener schon recht nahekommt. Muhr hingegen ist der österreichischen Identität verpflichtet, und das macht ihn so reizbar.

In seinem Kommentar extrapoliert Pohl die Heterogenität des süddeutsch-bajuwarisch-österreichischen Sprachkontinuums, die sich erstaunlicherweise noch immer kraftvoll gegen Standardisierungen spreizt. Wie kann von einer österreichischen Variante gesprochen werden, wenn ein beträchtlicher Teil ihrer Elemente über das österreichische Staatsgebiet hinausreicht?

Nationale Keksformen

Ganz gleich, ob dialektal, standard- oder hochsprachlich, Sprachgebrauch enthüllt Wahrheit wie Lüge seiner identitätspolitischen Reglementierungen.

Die vornationalen Kulturlandschaften Europas (und der gesamten Welt) erwiesen sich als einander tausendfach überlappende Sets aus kulturellen Merkmalen, auch sprachlich ließ sich, wie der Sarajevoer Linguist Miloš Okuka einmal schrieb, „von Dorf zu Dorf ein allmählicher Übergang zwischen den Idiomen feststellen, immer so, dass Nachbarn einander verstehen können; es gibt keine scharfen Sprachgrenzen“.

Erst der ethnoromantische Nationalismus würde aus diesem Gärteig der Heterogenität mit seinen zackigen Formen, die seine politischen Grenzen sind, Kekse stechen, homogene Klumpen und ihnen im Ofen auch die Keime ihrer geschichtlichen Dynamik abtöten. So entstanden, nicht früher als vor fünf Generationen, Nationalstaaten, und über Beschulung binnen kürzester Zeit auch dazugehörige Kulturen in den Köpfen der Beschulten und Administrierten.

Österreich ist ein besonders eklatantes Beispiel einer nachholenden Nationalisierung und der damit einhergehenden Identitätsunsicherheit.

Und Rudolf Muhr einer ihrer intellektuellen Zuckerbäcker, der seine liebste Keksform, die selbst schon drastisches Beispiel ihrer Kontingenz sind (die Einbuchtung in Burgenland, die darauf zurückgeht, dass der Magnat Esterházy seine Ländereien lieber dem ungarischen Staat zuschlug, das sich missmutig zwischen Italien und Deutschland durchzwängende Tirol und der alemannische Knubbel an dessen Westzehe), mit Essenz und Homogenität ausspachteln will, anstatt sich, wie die meisten es tun, mit Staatsloyalität und vagem kulturellem Heimatgefühl zu bescheiden.

Empörung und Denunziation

Es lohnt sich aber, Muhrs untergriffige Kritik näher zu betrachten. Exemplarisch entblößt sie die Pathologie des Nationalen, die immer auch eine der nationalen Angst ist. In seinem Glanzstück der Unterhosenrunterlassung gelingt es ihm, weder ein Argument seines Kollegen zu entkräften noch auch nur ein einziges eigenes zu lancieren. Weil sein Wort keine Macht hat, muss er Machtworte schreien: Wir sprechen Österreichisch, weil wir Österreicher sind! Und basta!, poltert da die Linguistenfaust auf den Stammtisch.

Aus dieser Leit-Tautologie ergießen sich alle anderen Tautologien kaskadenhaft durch seinen Text. „Durch Heftigkeit“, wusste Goethe, „ersetzt der Irrende, was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt.“

Pohls unwiderlegbarer Conclusio, mit der so viele politische Staaten ganz gut leben können, nämlich dass die Existenz eines Staates nicht die Existenz einer Nationalsprache voraussetze, kann sein Widersacher nur mit empörter, denunziatorischer Wiederholung begegnen!

Gelassene sehen anders aus

Die Diagnose seiner eigenen nationalen Paranoia aber will Muhr ungeschehen machen, indem er sie Pohl in die Schuhe schiebt: „Psychologisch gesehen hat das Züge eines Borderline-Syndroms, das darin besteht, dass man wahrnehmungstechnisch nicht mehr zwischen Realität und gewünschter Realität unterscheiden kann und sich die Grenzen zwischen dem Selbst und den anderen beliebig verschieben.“

Da Pohl wissenschaftlich, Muhr hingegen ideologisch, also gar nicht argumentiert, muss dieser jenem zudem Ideologie vorwerfen. Pohl säge an der österreichischen Identität, ob aus rechts-deutschnationalistischen oder links-internationalistischen Motiven, ist ihm nicht ganz klar, doch komme es auf dasselbe raus, denn schließlich wollten die einen die österreichische „Sprachseele“ (Herder) an die „Daitschen“, die anderen an ein abstraktes Europa verraten.

Gleichermaßen ein klassischer Fall pathischer Gegenübertragung: Da es auch für den hiesigen Ethnonationalisten keinen Staat ohne homogener, also homogenisierter Kultur geben darf, müsste er sofort die rot-weiß-rote Fahne einrollen und die schwarz-rot-goldene hissen, wiese man ihm nach, dass das Österreichische eben kein ahistorischer Kulturblock ist, dessen edle Zacken nur 900 Jahre darauf gewartet haben, von den politischen Kartographen als Staatsgrenzen nachgezogen zu werden. Der österreichische Nationalismus ist beständiger Ausdruck der Angst, eigentlich deutscher sein zu müssen. Gelassene Staatsbürger sehen anders aus.

Gier nach Homogenität

Dass eben jene ordnungstechnische Gier nach Kohärenz, Homogenität und eindeutigen Entitäten zu den verheerendsten Verirrungen der Moderne zählt, haben Theodor Adorno, Jacques Derrida, Zygmunt Bauman und andere eindrucksvoll erörtert.

Auch Sprachwissenschaftler wie Heinz-Dieter Pohl tragen ihr Scherflein zur Aufklärung bei, indem sie in ihrem Fach dem Inkohärenten, Heterogenen und Uneindeutigen in Zeit und Raum Gehör verschaffen.

Denn je mehr kulturelle Muster variieren und einander überlappen, desto weniger lassen sie sich in Ordnungsschemata pressen, über die nationale Achse wie Kebabfladen spießen und dann zur Deckungsgleiche schnipseln. Solch subversive Aufklärung intendiert weder eine neue Regionalisierung noch die Idyllisierung einstiger Multikulturalität, sondern verwirrt bloß unsere simplen Vorstellungen von Sprachen, Völkern und Kulturen durch Wirklichkeiten, wie sie der Nation vorausgingen und ihr als neue – hoffentlich – folgen werden.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2014)

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