Die Richtlinienkompetenz hat der Finanzminister

Michael Spindelegger hat Faymanns Schicksal in der Hand. Die SPÖ kämpft dafür auf ideologischen Nebenkriegsschauplätzen.

„Read my lips“, sagte Andreas Khol nach der Wahl im vergangenen Herbst in seiner Vorliebe für exotische Aussprüche: „No more taxes.“ Das ist ein bekanntes Zitat von George Herbert Walker Bush senior, Präsident der Vereinigten Staaten von 1989 bis 1993. Er verwendete es im Wahlkampf 1988. Es bedeutet in seiner Konsequenz, dass man die nächste Wahl schon verloren hat, wenn man dieses Versprechen bricht. Im heurigen Herbst wird sich entscheiden, ob Michael Spindelegger sein Versprechen, keine neue Steuern einzuführen, wird halten können. Wenn nicht, wird er – zumindest laut Khol – die Wahl 2018, schon vier Jahre bevor sie stattfindet, verlieren.

So wie sie jetzt abläuft, hat sich Spindelegger eine Debatte über Steuern allerdings nicht vorgestellt. Er konnte darauf vertrauen, dass zumindest in seinem Publikum des arbeitenden und leidlich bis gut verdienenden Mittelstands das Versprechen, keine neuen Steuern, auch keine Vermögenssteuern einzuführen, Verständnis und Zustimmung finden würde. Da das Budget bis 2016 fixiert ist und darin Steuererhöhungen nicht vorgesehen sind, konnte er alle Aspirationen des Koalitionspartners gelassen abwehren.

Es ist anders gekommen: Die SPÖ trommelt für eine Entlastung bei der Lohnsteuer. Der Korrektheit halber muss man sagen, dass es sich bei einer „Entlastung“ ohnehin nur darum handeln würde, die kalte Progression abzufangen, also die permanente Enteignung zu bremsen. Dafür haben durchaus auch jene Leute Verständnis, die keine neuen Steuern haben möchten, weil sie wissen, dass selbst sogenannte Reichensteuern entweder auch den Durchschnittsverdiener treffen oder keinen entsprechenden Ertrag bringen. Für eine Steuerentlastung des „Mittelstands“ ist jeder, aber die meisten fragen nicht, wo das Geld dafür herkommen soll. Der Wähler denkt nicht immer logisch, jedenfalls nicht in der Logik eines Finanzministers, der eine Entlastung nicht finanzieren kann.

Politik im Zwischenwahlkampf

Das heißt, er könnte schon, aber dazu müsste er Ausgaben kürzen, was nach der österreichischen Realverfassung bekanntlich nicht möglich ist. Wo die großen Reserven liegen, wissen alle, und der Rechnungshof und eine Legion von Ökonomen rechnen es ihm und uns seit Jahren vor: Es sind die Fördertöpfe für die Landwirtschaft und in Wien für Dutzende von Vereinen und angeblich kulturellen Initiativen; die Doppelgleisigkeiten im Gesundheitswesen und die Pfründe in 27 Sozialversicherungsanstalten; in den Pensionssystemen der Länder, etwa der Gemeinde Wien, die sich seit Jahren beharrlich weigert, Reformen nachzuvollziehen, die der Bund schon vorgenommen hat; die Feuerwehren, das beliebteste Spielzeug der Männer am Land. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.

Also werden wir im Herbst einen Zwischenwahlkampf um die Steuerreform erleben. Das Wort hat insofern seine Berechtigung, als es um die Köpfe der beiden Protagonisten der Regierung geht. Werner Faymann hat übersehen oder jedenfalls unterschätzt, dass sein politisches Wohl oder Wehe von Spindelegger abhängt. Dieser muss Vermögenssteuern schon aus Gründen der Selbsterhaltung weiterhin ablehnen. Da er unter Hinweis auf die Budgetlage auch eine Entlastung bei der Lohnsteuer für unfinanzierbar hält, muss er Faymann mit leeren Händen in einen schwierigen SPÖ-Parteitag gehen lassen. Wohin die innere Dynamik der SPÖ in einem solchen Fall treibt, lässt sich nicht vorhersagen.

Ob der Vizekanzler sich aus Turbulenzen, in die der Kanzler gerät, heil heraushalten könnte, ist zweifelhaft. Es könnte daher sein, dass beide erkannt haben, wie sehr sie aneinander gekettet sind, und nur noch schauen, dass sie irgendwie durchkommen. Wahrscheinlich hat Faymann die Hoffnung auf Vermögenssteuern ohnehin schon aufgegeben und Spindelegger sich damit abgefunden, dass es mit dieser SPÖ und mit Faymann keine Reformen irgendwelcher Art geben wird. Auch wenn Heinz Fischer ausgerechnet zum zehnten Jubiläumsjahr im Amt glaubt, als angeblich über den Parteien stehender Präsident sich für Vermögensteuern und damit wieder einmal für die SPÖ erklären zu müssen, hilft das seinem Parteigenossen Faymann nicht. Angeblich richtungsweisende Worte des HBP weisen niemandem in diesem Land die Richtung. Er hat das nur noch nicht bemerkt, sonst ließe er es sein.

Ungestilltes Ideologiebedürfnis

Der Ärger über Spindelegger und seinen Staatssekretär Jochen Danninger ist aus jeder Äußerung zu Finanz- und Steuerthemen von SPÖ-Seite zu spüren. Dankbar nahm sie daher die Idee der Neos auf, dem Bundeskanzler eine Richtlinienkompetenz über seine Regierung nach dem Vorbild des Deutschen Grundgesetzes zu geben. Das erscheint manchem in der SPÖ als eine mögliche Revanche am Finanzminister, der – ganz ohne dass es so heißt – faktisch sehr wohl eine Richtlinienkompetenz über seine Ministerkollegen ausübt – den Bundeskanzler eingeschlossen. Dass die SPÖ zum letzten Mal den Finanzminister im Jahr 1999 gestellt hat (erinnert sich noch jemand an Rudolf Edlinger?), wird ihr bei dieser Gelegenheit schmerzhaft in Erinnerung gerufen und dürfte die Bitternis erhöhen.

Unterdessen sucht die SPÖ Erfolge auf Nebenkriegsschauplätzen, die freilich in ihren Augen keine sind. Hier kann sie auch das ewig ungestillte Ideologiebedürfnis eines kleinen, aber artikulationsstarken Teils ihrer Anhänger befriedigen und sich der Zustimmung eines Großteils der Medien sicher sein. In Zeiten der Schuldenkrise und angesichts der von EU und Eurogruppe erzwungenen und ungeliebten Politik der Budgetdisziplin sind große Umverteilungsutopien obsolet geworden. Statt im Ökonomischen wird der latente Revolutionswunsch daher im Gesellschaftspolitischen ausgelebt. Ob es dagegen eine schweigende Mehrheit etwa in der Arbeiterschaft gibt, wissen wir nicht, vermuten es aber. Im nicht erklärten Konkurrenzkampf mit der FPÖ in Wien dürfte der Faktor eine gewisse Rolle spielen.

Bundeshymne als Ablenkung

Das wichtigste Instrument dieser gesellschaftlichen Umerziehung im Namen von Toleranz und Gleichstellung ist das Genderwesen, wobei die Bundeshymne eine Lappalie ist. Aber sogar dabei hat sich die Bildungsministerin als Vorkämpferin der Sache als bemerkenswert unsouverän und verkrampft verhalten. Schon ernster ist das Binnen-I, weil dabei die Manipulationsabsicht in Namen eines vermeintlich Guten ganz offen zugegeben wird. Ein wirklich bedenklicher Eingriff in Freiheit und Privatautonomie ist aber das geplante Gesetz zum Schutz vor Diskriminierung. Der Schutz im Arbeitsrecht soll auch auf das Mietrecht und privatrechtliche Verträge über Dienstleistungen ausgedehnt werden.

Aber das sind momentan Sommerthemen. Im Herbst geht es wieder zur Sache: Wenn wir am Ende dieses Jahres doch eine Steuererhöhung erleben, können wir uns damit trösten, dass es auch für diesen Fall ein schönes Wort von Andreas Khol gibt: „Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit.“ „Read my lips“ sagt er dabei nicht, es wäre gar zu provozierend.


Hans Winkler
war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2014)

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