Bitte die Fakten berücksichtigen!

Die Aussagen von Christian Ortner zu Israel/Palästina haben mit der Realität absolut nichts zu tun.

Beim Kommentar von Christian Ortner werden wohl manche mit den Realitäten in Israel/Palästina vertraute Leserinnen und Leser zum Schluss gekommen sein, dass hier über ein anderes, möglicherweise fiktives Land, geschrieben wird. So ist es mir ergangen. Nun ist Ortner leider nicht der einzige, dessen Wahrnehmungen und Behauptungen mit der Realität absolut nichts zu tun haben. Dazu einige Feststellungen meinerseits.

1. Israel als Rechtsstaat: Manche versteigen sich sogar zur Apotheose, Israel als die „einzige Demokratie im gesamten Nahen Osten“ zu bezeichnen. Tatsächlich könnte man Israel als den größten internationalen Rechtsbrecher bezeichnen, da es kein anderes UN-Mitglied gibt, welches so oft und so provokant UN-Beschlüsse verletzt hat. Der gravierendste Rechtsbruch besteht zweifellos darin, dass Israel seit 1967 gegen -zig UN-Beschlüsse arabisches Territorium besetzt und dort in völkerrechtswidriger Weise bislang rund 600.000 Siedler implantiert hat. Ministerpräsident Netanjahu hat erst jüngst wieder erklärt, dass er sich einen Rückzug aus diesen Gebieten und die Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates absolut nicht vorstellen kann.

2. Ich weiß nicht, ob Herrn Ortner bekannt ist, dass gegenwärtig rund ein Drittel der gewählten palästinensischen Abgeordneten ihr Amt nicht ausüben kann. 34 von insgesamt 132 sind in israelischer Haft und weitere 12 (plus 2 Minister) sind deportiert.

3. Zudem finde ich es absolut nicht demokratisch, wenn die israelische Armee seit Jahren gezielte Tötungen von Politikern durchführt. Auch die gezielte Zerstörung von Wohnhäusern von Politikern in Gaza ist kaum konform mit international geltenden Standards.

4. Seit 2000 hat Israel 9.000 Kinder verhaftet, derzeit befinden sich noch über 200 in Haft, davon 50 im Alter unter 16. Zwischen September 2000 und April 2013 haben israelische Sicherheitskräfte 1.518 Kinder getötet.

5. Dann noch die Richtigstellung einer tatsachenwidrigen Behauptung von Herrn Ortner, die Versorgung des Gazastreifens betreffend. Einerseits wäre Israel tatsächlich als Besatzungsmacht – und Israel kann angesichts seiner absoluten Kontrolle von Gaza weiterhin als solche betrachtet werden – für die Versorgung der Bevölkerung verantwortlich. Die nackten Zahlen beweisen aber das Gegenteil. Israel hat die Versorgung der knapp zwei Millionen Menschen in Gaza zu einem zynischen und unmenschlichen Spiel werden lassen. Dazu einige Zahlen: Die seit sieben Jahren von Israel verhängte Blockade hat die Wirtschaft Gazas fast zum Erliegen gebracht, die Exporte liegen bei drei Prozent des Niveaus vor 2007.

Die Arbeitslosigkeit liegt über 40 Prozent, bei der Jugend bei knapp über 50; 80 Prozent der gesamten Bevölkerung ist von internationaler Hilfe (wer zahlt die wohl? Sicherlich nicht Israel!) abhängig. Ja, und zur von Ortner so gelobten Stromversorgung: Seit Verhängung der Blockade erhält Gaza durchschnittlich 46 Prozent des Bedarfes, und davon kommt wiederum gerade die Hälfte aus Israel, aber nicht kostenlos.

Es gäbe noch viele weitere Fakten über die ach so hochgelobte und gefährdete israelische Demokratie zu erwähnen, zu der Bedrohung Israels durch einen eigenen hausgemachten Faschismus möchte ich mich hier nicht weiter äußern. Man nimmt halt immer nur das wahr, was man hören und sehen will. Aber als seriöser Journalist sollte man sich nicht völlig über Fakten hinwegsetzen.

Abschließend noch eine kurze persönliche Feststellung: Es wäre zu schön, sich sachlich und in durchaus kritischer Weise mit Lösungsperspektiven des Nahostkonfliktes befassen zu können, leider machen völlig unsachliche Einwürfe à la Ortner das öffentlich kaum möglich.


Fritz Edlinger ist Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen und Herausgeber der Zeitschrift INTERNATIONAL.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2014)

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