Ihr eigenes Energiedilemma muss die EU selbst lösen

Die Krise in der Ukraine sorgt für Diskussionen über die Energieversorgung Europas. Aber viele Probleme sind hausgemacht.

Politische Krisen wie in der Ukraine sorgen immer wieder für Diskussionen über die Energieversorgung der Europäischen Union. Bei aller Berechtigung und Verständnis für die Sorge um die geopolitische Energiesituation, sollten wir den Blick auf das Wesentliche nicht verlieren. Die Probleme der Energiepolitik in Europa sind im Großen und Ganzen hausgemacht: einander widersprechende Ziele auf europäischer Ebene, nationale Besonderheiten und Alleingänge machen eine effiziente und effektive Energiepolitik auf nationaler und EU-Ebene nur schwer erreichbar.

Einer der Gründe für das Scheitern: Die Diskussionen werden zu wenig gesamtheitlich geführt, stattdessen stehen die individuellen Interessen verschiedenster Interessensgruppen im Vordergrund.

Umso mehr, als die EU und ihre Mitgliedstaaten drei Ziele – leistbare Energie bei gleichzeitiger Nachhaltigkeit und hohe Versorgungssicherheit – verfolgen, die auf den ersten Blick unvereinbar scheinen. Hier muss die Politik an den richtigen Stellschrauben drehen, um Europa aus dem jetzigen Energiedilemma zu führen. Ansatzpunkte dafür stehen zur Verfügung.

Neue Instrumente

Für das Ziel leistbarer Energiepreise für alle Marktteilnehmer braucht es vor allem zwei konkrete Maßnahmen: erstens mehr Transparenz und Druck durch Politik und neue Instrumente für Regulierungsbehörden, damit auch die Privathaushalte von den günstigen Großhandelspreisen profitieren. Die zweite Maßnahme klingt profan, ist aber unumgänglich: Wir brauchen einen funktionierenden Markt.

Das heißt, dass wir auf nationaler und europäischer Ebene auch die erneuerbaren Energien in den Markt integrieren müssen. Dort müssen sie auch eigenständig, ohne Subventionen, überleben können. Deutschland zeigt diese Entwicklungen bereits vor und setzt auf verstärkte Direktvermarktung von erneuerbarer Energie.

Das führt uns gleich zum nächsten EU-Ziel, Nachhaltigkeit. Die Ökostromförderungsmodelle in Europa reichen von geförderten Einspeisetarifen, über Bonusprämien, Auktionen bis zu Quotensystemen. Ein Kraut-und-Rüben-Ansatz, der zwei unerwünschte Ergebnisse produziert: Fördersysteme, die den Markt verzerren und zu höheren Gesamtbelastungen für die Konsumenten führen und die eine einheitliche Energiepolitik der Europäischen Union für erneuerbare Energieträger unmöglich machen.

Um diesen auf Dauer unhaltbaren Zustand zu verändern, ist beispielsweise die Umstellung der Förderung auf Investitionsförderungen in Zukunft der Schlüssel für Investitionssicherheit, Kostenwahrheit und Marktintegration der Erneuerbaren. Wie prinzipiell überhaupt bei den Förderungen Skaleneffekte genutzt und das Primat der Kosteneffizienz im Fokus stehen sollte. Ein geordneter Übergang von Einspeisemodellen zur Marktverantwortung ist hier anzustreben. Durch die verzerrten Energiepreise an der Börse ist es selbst für effiziente Anlagen wie beispielsweise Kleinwasserkraftwerke kaum mehr möglich, wirtschaftlich zu agieren. Dem Ruf nach Folgeförderungen nach Ablauf der bisherigen Förderungen sollte man nicht nachkommen – für alle Energieerzeuger, ob erneuerbar oder konventionell, sind Marktpreise notwendig, die es zulassen, Investitionen zu tätigen. Gerade im Bereich der erneuerbaren Energien ist weniger Eingriff durch die Politik notwendig, um das Ziel eines fairen Wettbewerbs und offener Energiemärkte zu erreichen.

Gemeinsam mit dringend notwendigen und verbindlichen Energieeffizienz-Maßnahmen, in die alle Primärenergieträger (Mobilität, Wärme, Elektrizität) einbezogen sind, bekäme das Thema Nachhaltigkeit auf EU- und nationaler Ebene neues Gewicht und ein marktfähiges Design. Das nunmehr beschlossene Energieeffizienzgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung, ob die Maßnahmen zu den gewünschten tatsächlichen Einsparungen beim Energieverbrauch führen, werden wir in den nächsten Jahren sehen.

Schnellere Verfahren

Das dritte Ziel – Versorgungssicherheit – hängt mit dem Thema günstige Preise und Nachhaltigkeit zusammen. Durch den Ausbau der erneuerbaren Energie sind Investitionen in leistungsstarke, intelligente Netze nötig, um die Netzstabilität nicht zu gefährden und zukünftig die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Um den Ausbau nicht zu gefährden, müssen wir in Europa und in Österreich zudem bei den Genehmigungsverfahren endlich schneller werden. Durch die Schaffung eines One-Stop-Shops für Umweltverträglichkeitsprüfungen inklusive klarer Entscheidungsfristen und Anlagengenehmigungen für prioritäre Netzprojekte, könnten die Genehmigungsverfahren zukünftig deutlich beschleunigt werden. Dabei geht es darum, Klarheit für die betroffenen Menschen, aber auch die Projektwerber zu schaffen.

Neben einem grenzüberschreitenden Netzausbau und einer Regionalisierung der Märkte über die eigenen Landesgrenzen hinweg, werden auch regional thermische Kraftwerke einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten, damit die neuen Herausforderungen im Stromnetz auch bewältigt werden können. In Österreich haben wir hier bereits zahlreiche funktionierende Instrumente – wie beispielsweise für Engpass-Situationen und bei Instandhaltungsmaßnahmen - im Einsatz, aber auch hier ist der überregionale Blick wesentlich.

Integrierter Energiemarkt

Ein in Deutschland derzeit diskutierter Kapazitätsmarkt – die Idee von Reservekraftwerken, die ausschließlich für Netzsicherheitsthemen eingeschaltet werden – wird ohne Einbindung der Nachbarn das Erzielen eines integrierten europäischen Energiemarkts erschweren und zusätzliche Verzerrungen des Markts verursachen.

Aber auch bei den Finanzierungsinstrumenten müssen neue, innovative und intelligente Wege gefunden werden. Allein in Österreich müssen bis 2020 rund 8,7 Milliarden Euro in die österreichischen Stromnetze investiert werden. Hier braucht es neues Denken im großen Stil.

Die Europäische Investitionsbank (EIB) ist auf diesen Zug aufgesprungen und bietet neue Instrumente für die Infrastrukturfinanzierung an. Jetzt liegt es an den Energieunternehmen, diese Möglichkeiten auch im Sinne der Konsumenten zu nutzen.

Insgesamt steht die europäische Energiepolitik in naher Zukunft vor großen Weichenstellungen. In den Bereichen erneuerbare Energien, Energieforschung, Energiemarktdesign, aber auch in der Entwicklung der Energienetze und der Energieeffizienz gibt es genug Handlungsfelder, die anzugehen sind. Eine Energiezukunft aus einem Guss – ohne Individualinteressen – ist gefragt. In welche Richtung der Zug fährt, entscheidet sich dabei nicht im Osten, sondern in Brüssel und den nationalen Regierungssitzen.

DER AUTOR

E-Mails an: debatte@diepresse.com



Martin Graf
wurde im März 2011 zum Vorstand der Energie-Control Austria bestellt. Seine Verantwortungsbereiche umfassen u. a. die Abteilungen Volkswirtschaft, Tarife sowie Ökoenergie und Energieeffizienz. Graf wurde 1976 in Niederösterreich geboren. Er studierte Betriebswirtschaft sowie Wirtschaftsingenieurwesen und hat an der WU Wien den Executive Master of Business Administration (MBA) abgeschlossen. [ Energie-Control ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2014)

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