Auswege aus dem drohenden Klimadesaster

Mit der jetzigen Energiepolitik leitet die Bundesregierung eine Geisterfahrt zurück ins fossile Zeitalter ein.

Drei Ereignisse haben mich in den letzten Monaten nachdenklich gestimmt: die Berichte des Weltklimarates über den fortschreitenden, von Menschen verursachten Klimawandel, die Ereignisse in der Ukraine, die wieder das Thema Sicherheit der Energieversorgung ins Bewusstsein gerückt haben, und schließlich eine China-Reise, bei der ich die Dynamik des dortigen Energiesektors studieren konnte. Das verbindende Element dieser drei Themen: die fossile Energie.

Wenn man die naturwissenschaftlichen Analysen des Klimarates auf den Punkt bringt, kommt man zum Schluss, dass die CO2-Emissionen global um zwei Drittel geringer sein müssten als derzeit, um den Temperaturanstieg in diesem Jahrhundert auf 2°C zu beschränken. Ein höherer Temperaturanstieg wird zwar die Großelterngeneration wenig berühren, aber den Kindern und Jugendlichen von heute im Laufe ihres Lebens ein Klimadesaster bescheren. Diese Aussicht wirft sowohl auf nationaler wie auch auf globaler Ebene eine Reihe von Fragen auf.

Die Welt wächst zusammen, und immer mehr Menschen wollen einen Lebens- und Konsumstil praktizieren, wie er sich in Europa oder Nordamerika etabliert hat. Das gilt für Afrika, Indien, China und andere Länder der Welt.

Chinesische Völkerwanderung

China ist gleichsam ein Modell, das auf diesem Weg bereits weit fortgeschritten ist. Noch immer aber lebt von bald 1,4 Milliarden Chinesen mehr als die Hälfte auf dem Land unter ärmlichen Verhältnissen und mit einem minimalen Energieverbrauch. Doch jährlich ziehen Millionen Menschen vom Land in die boomenden Großstädte und übernehmen schrittweise den westlichen Konsumstil. Mit dem Ergebnis, dass China schon heute um 50 Prozent mehr Energie verbraucht als Europa, um 500 Prozent mehr Kohle und daher schon wesentlich mehr CO2 emittiert als der alte Kontinent. Der Energieverbrauch wächst jährlich weiter um etwa fünf Prozent.

China wird seine CO2-Emissionen nicht senken, indem es die Migration der Menschen in die Städte stoppt, sondern nur, wenn es die Effizienz des Energiesystems verbessert, erneuerbare Energien massiv ausbaut und Kohle so weit wie möglich durch Gas ersetzt. Der Gasverbrauch steigt derzeit um über zehn Prozent jährlich. China könnte in zehn bis 15 Jahren die gesamte Gasmenge, die Russland exportieren kann, aufnehmen, um den Kohleeinsatz zu reduzieren, die Luftqualität zu verbessern und die CO2-Emissionen zu senken. Ähnliche Überlegungen werden bald auch für Indien gelten.

Noch hat Europa einen Vorsprung in der technologischen Entwicklung und praktischen Anwendung erneuerbarer Energien. Diesen Vorsprung gilt es zu nutzen. Zurück zu den Aussagen des Klimarates. Die Klimaziele erfordern, dass der Einsatz fossiler Energien so rasch wie möglich massiv gesenkt wird. Welcher Kontinent, wenn nicht Europa, soll damit beginnen? Im Sinne der Klimapolitik sollte Europa verstärkt auf erneuerbare Energien umsteigen, den Einsatz fossiler Energien – Gas eingeschlossen – reduzieren und Länder wie China unterstützen, ebenfalls die Erneuerbaren zu forcieren.

In Europa werden derzeit fast 70 Prozent des Bedarfs an Niedertemperaturwärme mit Erdgas gedeckt. Auf Dauer ist es unsinnig, energetisch und exergetisch so wertvolles Erdgas überwiegend zur Raumwärmeversorgung zu verwenden; es sollte zu günstigen Preisen der Industrie vorbehalten bleiben. In Brüssel wurde jüngst eine Studie präsentiert, die aufzeigt, dass Europa den Bedarf an Erdgas binnen 15 Jahren halbieren könnte, würde es die Strom- und Wärmeversorgung beschleunigt auf erneuerbare Energiequellen umstellen. Dann könnte Europa auf Gas aus Russland verzichten.

Nachlässige EU-Kommission

Bei UNO und Weltbank ist die Klimabedrohung mittlerweile ein zentrales Thema. Die Initiative des UNO-Generalsekretärs, „Sustainable Energy for All“, mit dem Ziel, bis 2030 weltweit den Anteil der erneuerbaren Energien zumindest auf 36 Prozent zu erhöhen, ist dafür ein deutliches Zeichen.

In Brüssel hat die abtretende EU-Kommission ihre geopolitische Verantwortung in der Forcierung erneuerbarer Energien mittlerweile aus den Augen verloren. Nur so ist es zu verstehen, dass in den letzten Vorschlägen der Anteil der erneuerbaren Energien bis 2030 mit nur 27 Prozent fixiert wurde, obwohl zumindest 45 Prozent notwendig wären, um den eigenen Konzepten zur Low Carbon Economy zu folgen.

Mit diesen Vorschlägen fällt Europa sogar den Bemühungen der UNO zum Ausbau der erneuerbaren Energien in den Rücken. So ist nur zu hoffen, dass die neuen Entscheidungsträger in Brüssel weitsichtiger agieren werden. Und wie reagiert Wien auf die alarmierenden Berichte des Weltklimarates? Sie besagen immerhin, dass die CO2-Emissionen auf unter zwei Tonnen/Kopf zu senken sind, um das 2-°C-Ziel zu erreichen, während sie derzeit in Österreich bei über sieben Tonnen/Kopf liegen.

Überholte Energiekonzepte

Angesichts dieser Vorgaben sind die Energiekonzepte aus dem letzten Jahrzehnt mit dem Ziel, 34 Prozent erneuerbare Energien bis 2020 zu erreichen, überholt. Im Sinne der Klimaziele müsste Österreich bis 2020 seinen Energiebedarf zumindest mit 50 und bis 2030 zumindest mit 66 Prozent aus erneuerbaren Energien decken.

Doch die Warnungen der Klimawissenschaft sind in Wien noch nicht so recht angekommen. Nur so ist es zu erklären, dass kürzlich eine Steuer auf Solarstrom angekündigt, gleichzeitig die Steuerbefreiung für Erdgas zur Stromerzeugung beibehalten, über die Umsetzung einer ökologischen Steuerreform gar nicht diskutiert, das Geld für die Wärmedämmung gekürzt und eine neue Gasleitung gebaut wird, die niemand brauchen wird, wenn die Ziele der Klimapolitik ernst genommen werden.

Will die Bundesregierung mit dieser Politik eine Geisterfahrt zurück ins fossile Zeitalter einleiten?

So zeigen die Zusammenhänge, die es zwischen der Ukraine-Krise, den Warnungen des Klimarates und der ungebrochenen Dynamik Chinas gibt, vor allem eines: Die Frage der Energieversorgung wird zur zentralen Herausforderung der kommenden Jahrzehnte.

Die Optionen lauten: entweder die Energiewirtschaft nach den Denkansätzen des vergangenen Jahrhunderts verwalten oder sie bis Mitte des Jahrhunderts zu 100 Prozent auf solare Energieformen umstellen. Letzteres erfordert Mut, Innovation, Kreativität und technologische Führung.

Der Lohn der Anstrengung

Der Lohn für diese Anstrengung würde Wohlstand, Frieden, Energiesicherheit, mehr Beschäftigung und akzeptable Lebensbedingungen für die Enkelgeneration sein. Mein Resümee: Russland soll sein Erdgas nach China verkaufen – wesentlich mehr als die eben vereinbarten 38 Milliarden Kubikmeter, die nicht einmal den Verbrauchszuwachs Chinas von vier Jahren decken. Europa soll stattdessen auf erneuerbare Energien umsteigen. Die Wiener Regierung ist eingeladen, diesen Paradigmenwechsel mitzutragen und zu unterstützen!

DER AUTOR

E-Mails an: debatte@diepresse.com



Heinz Kopetz
(*1941) ist seit 2012 Vorsitzender des Weltbiomasseverbandes mit Sitz in Stockholm. Der Verband versteht sich als Sprachrohr der globalen Bioenergiebranche und tritt für den Umstieg auf erneuerbare Energiequellen ein. Er war langjähriger Vorsitzender des Österr. Biomasseverbandes und Präsident des Europäischen Biomasseverbandes. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2014)

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