Die „Herren der Welt“ unter uns

Unverarbeitete Kriegserlebnisse können bei Menschen explosive Energien erzeugen. Wie damit umgehen?

Neulich sprach ein Historiker in einer Diskussion im ORF-Fernsehen davon, dass der russische Präsident, Wladimir Putin, die kollektiven Traumata der Russen (Trauma der Auflösung eines Imperiums, Trauma des kommunistischen Terrors etc.) eher fördern und ausnutzen würde, als mit ihnen politisch konstruktiv umzugehen. Die Erinnerung an vergangene Gewaltherrschaft würde weggeblasen und neue Gewaltanwendung nicht eingeschränkt.

Ein Wochenendkrieger

Vor meinem inneren Auge tauchten da sogleich Bilder der Folgen der Jugoslawien-Kriege der 1990er-Jahre auf. Als damals in Kärnten ein neuer Nachbar einzog, stellten wir bald fest, dass er Söldner im Bosnien-Krieg gewesen war; ein Mann, der in Deutschland als „bosnischer Kroate“ aufwuchs und später jedes Wochenende in den Krieg zog, um zu kämpfen.

Ob er je Menschen getötet hat, wissen wir nicht. Aber augenblicklich begann er die gesamte Umgebung rund um sein Häuschen für sich in Anspruch zu nehmen. Er schlägerte ein Waldstück, das gar nicht ihm gehörte, bis der lehmige Hügel abrutschte. Er stellte, ohne zu fragen, eine Hütte auf sein Grundstück und betonierte die Gegend zu. Von Beruf Bauarbeiter, hasste er offensichtlich Blumen und Gras. Auf die Frage nach seiner Abholzaktion erklärte er, dass er Baumstämme brauche, weil er dabei sei, ein Bordell mit Poledance einzurichten.

Wo sind die Täter geblieben?

Was in der jetzigen Integrationsdebatte vergessen wird, vor allem auch von Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz, ist das Hinsehen auf echte Traumata (okay, er erwähnte während des Erdoğan-Besuchs die Armenier). Aber wo sind zum Beispiel die ehemaligen Täter des Jugoslawien-Krieges hingekommen? Die Söldner, die Kriegstouristen? Das Innenministerium warnt derzeit vor den aus dem syrischen Bürgerkrieg zurückkehrenden fanatisierten Kämpfern. Krieg erzeugt eine innere Verrohung, eine Verwahrlosung, die man nicht ignorieren darf. Aber da die Jugoslawien-Kriege bis heute nicht richtig aufgearbeitet wurden, will es keiner gewesen sein, und ehemalige Täter leben unter uns.

In der öffentlichen Debatte in Österreich kamen vergewaltigte Frauen, die geflüchtet waren, vor; es gab die Flüchtlinge, die zurückkehren mussten oder die bleiben durften. Aber die Mörder und Vergewaltiger überließ man wie in ganz Europa dem Haager Kriegsverbrechertribunal. Söldner? Bestrafung? Wie denn, wer denn, was denn?

Meine Mutter, das ehemalige Kriegskind, beobachtete das Treiben „ihres“ Söldners obsessiv. Sie rief den Bürgermeister zu Hilfe, auch die Polizei und die Nachbarn, aber de facto konnte sie die von dem Nachbarn ausgehende Bedrohung nie genau festmachen, sie konnte sie bloß in ihren Auswirkungen einbremsen. Unverarbeitete Kriegsereignisse können explosive Energien erzeugen, die ungeahntes Verhalten hervorbringen können.

Kollektive Aufarbeitung

Auf Urlaub auf der kroatischen Insel Krk knapp nach Kriegsende, hatte ich einmal mit einem jungen Soldaten gescherzt. In der Nacht kam er im offenen Jeep mit lauter Musik und Kameraden vor unser Haus gefahren. Doch unser Zimmervermieter, ein alter Fischer, vertrieb die Soldaten mit seinem Schrotgewehr.

Wer schon einmal „Herr der Welt“ gespielt und real ausgelebt hat, wird von diesem Machtgefühl möglicherweise nie mehr ganz loskommen. Nur die kollektive Aufarbeitung der dunklen Seiten der Vergangenheit dürfte solche Menschen daran hindern, ihre Gewalttätigkeit auszuleben.

Kerstin Kellermann ist freie Journalistinin Wien. Unter anderem schreibt sie regelmäßig für die Obdachlosenzeitung „Augustin“.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.