Wem die Welt gehört? Immer noch dem Westen!

Zum Versuch Michael Leys, die abendländische Zivilisation zu radikalisieren.

Michael Ley zeichnet in seinem Beitrag „Wem gehört die Welt“ im „Spectrum“ (9. August) ein düsteres Bild der Zukunft Europas und unterstellt „dem Islam“, Europa islamisieren zu wollen. Einige Anmerkungen zu zwei seiner Argumente: der Vorstellung, es gebe einen islamischen Antijudaismus und dem Topos der Islamisierung europäischer Gesellschaften.

Der Verweis auf einen islamischen Antisemitismus begegnete den Lesern in den vergangenen Wochen rund um den Krieg in Gaza unaufhaltsam. Den muslimischen (und hierbei besonders den türkischstämmigen) Menschengruppen wurde ein tiefer Antisemitismus unterstellt. So heißt es auch in Leys Artikel, der „extreme Judenhass“ sei „längst in die europäischen Gesellschaften übergeschwappt und verbreite“ sich rasch unter den Muslimen (der Autor verwendet den aus dem rechten Lager kommenden Kampfbegriff „Parallelgesellschaft“). Das muss wie Balsam für die Ohren der Neuen Rechten sein, die bereits seit mehr als einem Jahrzehnt versuchen, sich strategisch von ihrem Ruch des Antisemitismus reinzuwaschen und sich dabei auf das neue Feindbild Islam werfen.

Einseitige Interpretation

Der Autor fährt fort, diesen Antisemitismus nicht im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt zu kontextualisieren. Vielmehr sei dieser ähnlich dem christlichen Antijudaismus religiös verankert.

Von einem islamischen Antijudaismus kann aber nur die Rede sein, wenn Jahrhunderte der Koexistenz und fruchtbarer theologischer Debatten bewusst ausgeblendet werden. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass der Prophet Muhammad selbst eine Jüdin ehelichte. Wie sich das mit den seltsam einseitigen Interpretationen des Autors harmonisieren lässt? Zumindest al-Qaida und der Islamische Staat (IS) folgen am ehesten Leys Interpretation.

Zum Topos der „Islamisierung europäischer Gesellschaften“: Es wundert, dass derlei Argumentationen, wonach der „linke Mainstream“ die Islamisierung durch die Forcierung der Kultur des Multikulturalismus fördere, nach Anders Behring Breivik immer noch des Schreibens würdig erscheinen. Während der islamophobe norwegische Massenmörder wie andere Rechte behauptete, die Linke sei willige Vollstreckerin der Islamisierung Europas, macht Ley den „linken Mainstream“ zum „nützlichen Idioten“ der Islamisten.

Griff nach der Weltherrschaft

Gerade diese Darstellung erlaubt es, mit Verweis auf Moshe Zuckermann von der Islamophobie als Projektionsfläche eines tabuisierten Antisemitismus zu sprechen. Waren im völkischen Antisemitismus die Juden jene Gruppe, denen man die Weltherrschaft unterstellte, so spielen diese Rolle heute die Muslime. Die politischen Forderungen, die dem entspringen, sind nur allzu bekannt in rechtsextremen Kreisen. Nicht nur Islamverbände, selbst die Auslandsvertretungen der türkischen Religionsbehörden sollen verboten werden: welch progressive Weiterschreibung von Religionsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

Zu befürchten ist aber weniger, dass der „endgültige Tod der abendländischen Zivilisation“ nicht durch eine sowohl demografisch wie auch ökonomisch und politisch enorm schwache Minderheit herbeigeführt wird, sondern von Hetzern, die der Dominanzgesellschaft angehören und durch das Herbeireden derartiger Szenarien zu einer mentalen Radikalisierung weiter Teile der sogenannten abendländischen Zivilisation beitragen, die nach wie vor den Globus dominiert. Und die Welt „gehört“ nebenbei noch immer mehrheitlich „dem Westen“.

Farid Hafez ist promovierter Politikwissenschaftler und Herausgeber des Jahrbuchs für Islamophobieforschung.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2014)

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