Militärische Macht und ihre Kosten

Die Konfrontation mit dem Westen führt Russland auf den Weg zurück zum Sowjetsystem. Wenn das Schicksal der UdSSR eine Warnung sein kann, muss man die einsetzende Abschottung aber als fatalen Irrweg ansehen.

Apodiktisch stellt Wladimir Putin im Oktober 2011 fest: „Die Sowjetunion – das ist Russland, nur unter einem anderen Namen.“ Seitdem haben sich die Dinge in der dritten Amtszeit des Präsidenten so rasch und dramatisch entwickelt, dass man versucht sein könnte, die umgekehrte Feststellung zu treffen: „Russland – das ist die Sowjetunion, nur unter einem anderen Namen.“

So weit ist es allerdings nicht, und dazu wird es auch nicht kommen. Der Marxismus-Leninismus als Ideologie ist tot, und die Sowjetunion mit ihren 15 Republiken staatsrechtlich wiederherzustellen ist schlichtweg undenkbar. Dennoch sind wichtige Strukturelemente des Sowjetsystems, die sich unter den Parteisekretären Breschnjew, Andropow und Tschernenko herausgebildet haben, in das „System Putin“ wieder eingeführt worden. Dazu gehört vor allem die herausragende Bedeutung militärischer Faktoren in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft des Landes sowie in der Außenpolitik.

Mehr Geld für die Sicherheit

Ein wesentliches Merkmal dafür, welcher Stellenwert militärischen Machtfaktoren eingeräumt wird, sind Volumen und Verteilung von Verteidigungsausgaben. Aufschluss über derartige Posten gab die Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats der Russischen Föderation, die am 22. Juli unter dem Vorsitz Putins stattfand. Kernpunkt des Treffens war die Überprüfung des im Vorjahr verabschiedeten Dokuments „Hauptrichtungen für die Budgetpolitik für 2015 und die Planperiode der Jahre 2016 bis 2017“.

Eine Überprüfung war offensichtlich wegen der auf der Sitzung prognostizierten „Abschwächung des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts auf 0,5 Prozent und der geopolitischen Spannungen“ geboten. Gespannt konnte man auf ihr Resultat sein. Denn während der Rückgang der Wirtschaftskraft und seine vermutliche Beschleunigung durch internationale Sanktionen Kürzungen nahelegten, ließen die Auseinandersetzungen mit dem Westen um die Annexion der Krim und der Konflikt in der Ostukraine das Gegenteil erwarten.

Das Treffen entschied sich für die konfrontative Option. Es hielt nicht nur an den Vorgaben des Vorjahres fest, sondern verschärfte diese. So sollen die für 2014 geplanten Ausgaben von umgerechnet 94 Milliarden Euro für innere und äußere Sicherheit auf 114 Milliarden Euro steigen. Der Anteil dieser Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt erhöht sich damit von 6,1 Prozent auf 6,7 Prozent. Bis 2020 ist geplant, umgerechnet 482 Milliarden Euro für Rüstungsvorhaben auszugeben.

Man fragt sich, wie das gehen soll, wie die Ausgaben für innere und äußere Sicherheit trotz sinkender Wirtschaftsleistung und internationaler Sanktionen erhöht werden können. Schließlich liegt Russland auf der Weltrangliste des Bruttoinlandsprodukts zu laufenden Preisen lediglich auf dem neunten Platz, nach Kaufkraftparität berechnet hinter den USA, China, Indien, Japan und Deutschland auf dem sechsten Platz.

Warum Kudrin gehen musste

Während aber Deutschlands Militärbudget 2014 lediglich 30,9 Mrd. Euro betrug und im darauffolgenden Jahr auf 30,4 Mrd. Euro sinken soll, gibt Russland allein für die „nationale Verteidigung“ umgerechnet 53,6 Mrd. Euro mit steigender Tendenz aus.

In einer vergleichenden Studie über den Aufstieg und Fall von Großmächten hat Paul Kennedy von der Yale-Universität die These entwickelt, der Niedergang setze dann ein, wenn die Ausgaben für innere und äußere Sicherheit die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Staates überstiegen. Die Sowjetunion war für ihn eines der Fallbeispiele. Kritiker im Nachfolgestaat Russland, die entsprechend auf die Gefahren überzogener Großmachtpolitik hinweisen, werden allerdings kaltgestellt.

Dieses Schicksal ereilte beispielsweise den ehemaligen Finanzminister Alexej Kudrin, der im September 2011 zum Rücktritt gezwungen wurde. Er selbst erklärte, er sei freiwillig gegangen. Der Kreml wies dies aber als unzutreffend zurück.

Was war sein Vergehen? Kudrin hatte argumentiert, dass eine Erhöhung des Militäretats nur auf Kosten der Ausgaben für Bildung und Gesundheit möglich sei, Investitionen für die Modernisierung der Wirtschaft abgezogen würden und das Land sich noch abhängiger von seinem Öl- und Gasexport mache. „Wir haben weder die Fähigkeit noch das Geld, um die Militärausgaben zu erhöhen“, warnte Kudrin.

Zurück in die Stagnation

Ein weiterer Schritt in Richtung der Breschnjew-Ära und der für diese Zeit charakteristischen Stagnation (sastoj) ist die immer stärkere Rolle, die staatlicher Regulierung der Wirtschaft zugewiesen wird.

Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums entfallen auf den staatlichen Sektor derzeit bis zu 50 Prozent des russischen BIPs. Nach Angaben des Instituts für Wirtschaftspolitik, Jegor Gaidar, hat dieser Wert 2006 bei nur 38 Prozent, aber 2008 schon bei 40 Prozent gelegen. Weltweit entfallen durchschnittlich 30 Prozent auf das staatliche Wirtschaftssegment.

Die Tendenz zu Rezentralisierung und staatlicher Regulierung wird zwangsläufig wegen der westlichen Sanktionspolitik steigen. Die russische Marine mag zwar noch von Frankreich die vertraglich vereinbarte Lieferung eines oder beider Hubschrauberträger des Typs Mistral und die Armee von Großbritannien verschiedene Waffen und Militärtechnik erhalten. Künftige Lieferungen sind allerdings nach dem offiziellen Beschluss der EU vom 31. Juli über neue Sanktionen ausgeschlossen.

Hochgesteckte Erwartungen

Das mit den USA koordinierte Waffenembargo betrifft sämtliche Rüstungsgüter, die in einer entsprechenden Liste enthalten sind. Außerdem besteht ein Ausfuhrverbot für zivil und militärisch nutzbare Güter an das russische Militär. Schon vor diesem Beschluss hatte allerdings die Regierung in Berlin der Firma Rheinmetall die Genehmigung für den Aufbau eines Gefechtsübungszentrums in Russland entzogen. Rüstungstechnische Kooperation zwischen westlichen und russischen Firmen dürfte in absehbarer Zukunft ausgeschlossen sein. Dies betrifft auch die Zusammenarbeit Russlands mit der Ukraine. Der Kreml muss also seine eigenen Ressourcen mobilisieren.

Für denjenigen Klüngel in Putins Umgebung, der schon lange auf Eigenständigkeit und Entwicklung des heimischen militärisch-industriellen Komplexes drängt, ist die Abkoppelung von ausländischer Hochtechnologie eine gute Nachricht, verspricht diese doch neuen Geldsegen. Ob aber die russische Rüstungsindustrie der neuen Herausforderung erfolgreich genügen kann, ist eine ganz andere Frage. Die Erwartungen sind jedenfalls hochgesteckt. Immer wieder hat Putin die These vertreten, dass die Rüstungsindustrie der „Motor für die Modernisierung der Gesamtwirtschaft“ sein kann.

Wenn das Schicksal der Sowjetunion eine Warnung sein kann, muss man allerdings den Weg der Abschottung als fatalen Irrweg ansehen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Professor Hannes Adomeit (* 1942 in Memel), langjähriger Mitarbeiter und Leiter des Russland-Referats an der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin und bis 2013 Professor für Osteuropa-Studien am College of Europe in Warschau. Als sein nächstes Buch wird angekündigt: „Die Außenpolitik Russlands“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2014)

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